La Fenice. Lea Singer
losgeworden war, was ich von ihr wollte. Sie kam nicht auf mich zu, sie blieb einfach stehen und ließ die Arme hängen, als wären sie zu schwer.
Wie viele Leute sind an einem Brief beteiligt?
Zwei. Absender, Empfänger.
Wie kommt es, dass Hunderte im ganzen Land und drüber hinaus Aretinos Briefe kennen?
Er lässt sie abschreiben.
Reicht das?
Vermutlich lässt er die Abschriften verteilen.
An wen?
Er sagt, er sei der Fischer mit dem größten Netz des Abendlands, und dieses Netz sei das dichteste. An jedem Knotenpunkt sitze einer, der sein Freund sein wolle.
Wäre dir das recht, wenn er über dein Liebesleben schreibt, über Spezialitäten, die mit der Todesstrafe geahndet werden? Wie Aretino in einem Brief an Michelangelo, dem er vorwarf, dass er es mit Männern treibt, Männern, die er beim Namen nannte, beim Vornamen, aber jeder wusste, wer es war.
Nein, niemals.
Aber du vertraust diesem Mann?
Die Bücherrücken in den Regalen hinter der alten Fedele und neben ihr sahen mich an wie sie, abwartend.
Ach ja, ich habe bei der Einrichtung und Ausstattung etwas vergessen, Bücher sollten auch vorhanden sein.
Damit der Besucher sie sieht oder damit du sie liest?, fragte die Fedele. Dein verehrter Aretino hat dir viele Verwandlungsmärchen erzählt, die meisten hat Ovid gedichtet, sie sind aber alle viel älter, war auch das von einer jungen Frau namens Caenis dabei?
Caenis war nicht vorgekommen, in bald drei Jahren nicht.
Die Fedele schien das nicht zu erstaunen.
Caenis war jung; ob sie schön war, wissen wir nicht, jung reichte. Allein ging sie am Strand spazieren. Neptun, als Meeresgott in Strandnähe, sah sie und vergewaltigte sie. Als er sie blutend liegen sah, bot er zur Wiedergutmachung an, ihr einen Wunsch zu erfüllen. Caenis wünschte sich nur eins: Mach einen Mann aus mir, damit mir so etwas nie mehr widerfährt. Von da an hieß sie Caeneus.
Personal, sagte ich, das Personal hatte ich vergessen. Die Bestverdienenden leisten sich vier, fünf Leute, aber mindestens drei, eine Frau für Empfang und Bedienung und eine fürs Putzen, und einen athletischen Mann, der sich auch als Rausschmeißer und Leibwache einsetzen lässt.
Wenn du dir den nicht leisten kannst?
Das Vibrieren kam aus dem Bauch von weit unten, wie gestern Abend, als ich ihn davongehen sah. Mit seinem eigenartigen Gang pirschte er durch meine Eingeweide, jeden Schritt spürte ich, wie er abrollte von der Ferse bis zum Ballen.
Was hast du?, fragte die Fedele und stand auf und legte ihre Hand auf meinen Kopf.
Ein ungutes Gefühl, sagte ich.
Die Hand der Fedele kroch über meinen Scheitel wie ein Mauergecko.
Wegen Aretino?
Er wird immer mein Beschützer sein.
Wie der liebe Gott?
Nein, er vergleicht sich nur mit Jesus. Die da oben, sagte er, können jeden im Namen Gottes oder des Gesetzes niedermachen. Aber ich kann wie Jesus dafür sorgen, dass Totgesagte wieder auf die Beine kommen.
Also weshalb dann?
Wegen einem dieser Halbgötter. Ich nannte Lorenzos Namen und sagte, dass er Schriftsteller werden wollte.
Warum redest du nicht mit Aretino darüber?
Als die Fedele alles wusste, nahm sie die Hand von meinem Kopf.
Was weiß dein Vater?
Der war im Glauben, ich würde Aretino beim Briefeabschreiben helfen.
Nichts, sagte ich.
Deine Mutter?
Noch weniger. Menschen, die nicht lügen, lassen sich so leicht anlügen.
Erst beim Hinausgehen stellte sie mir ihre letzte Frage.
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