La Fenice. Lea Singer

La Fenice - Lea Singer


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und seiner Tischgesellschaft am meisten Appetit gemacht. Als bevorzugter Lieferant des Elefantenpapstes hatte auch Aretino zum Bankrott beigetragen. Jeder dachte, jetzt sei es mit seiner Karriere vorbei.

      Es kam anders; mit Aretino ging es steil aufwärts. Der neue Papst war eine vernünftige Lösung: ein Mann aus Utrecht, der erste nicht italienische Papst der Geschichte, sparsam, ehrlich, gelehrt, auch noch fromm; die meisten Römer fanden: Der passt nicht hierher. Aretino lästerte darüber, dass ausgerechnet so ein Musterknabe den mit Korruption, Lügen und Hurerei verdreckten Stall ausschwemmen sollte. Zuversicht erweckte in Aretino nur, dass der neue Papst fast dreiundsechzig war, als er antrat. Nach einem Jahr und acht Monaten war er tot.

      So etwas kannte ich von hier, zu Dogen wurden ja auch nur Greise gewählt, in der Hoffnung, sie machten es nicht zu lange, aber offenbar konservierte Venedig im Allgemeinen und das Amt des Dogen speziell, die meisten waren hornalt geworden.

      Nachfolger des Utrechters wurde wieder ein Medici, Vetter des Elefantenpapstes, Clemens VII. nannte er sich; es war der, für den Aretino zuvor im Wahlkampf geworben hatte.

      Leider, sagte die alte Fedele, habe Aretino jedoch übersehen, dass nicht jeder aus dem Haus Medici wie er selbst den Liebesakt in allen Varianten für die wahre Offenbarung Gottes hielt. Einig war er sich darin mit dem hoch gehandelten Giulio Romano. Während der tagsüber einen Prachtsaal im Vatikan fertig ausmalte, zeichnete er abends Mann und Frau in …

      Da hatte die Fedele gezögert; ich wusste, dass ich in solchen Fällen nur lange genug schweigen musste.

      Was soll’s, sagte sie schließlich, in Venedig wissen alle längst über alles Bescheid, bevor das Schamhaar wächst. Also … er zeichnete Mann und Frau in sechzehn Stellungen, detailgenau, und er wollte die Freude daran mit vielen anderen teilen.

      Die Zeichnungen hatte er Marcantonio Raimondi übergeben, dem besten Kupferstecher des Landes, damit sie ein großes Publikum erreichten. I Modi stand auf dem Titelblatt der Stiche, sie wurden unter dem Ladentisch zu Liebhaberpreisen verkauft. Giberti, der Zensor des Papstes, ließ sämtliche Exemplare der Stellungen, die er zu fassen bekam, verbrennen und erklärte, man müsse Raimondi dafür foltern und hängen. Weil keiner diese Arbeit übernehmen wollte, warf er ihn ins Gefängnis. Dass Raimondi freigelassen wurde, hatte er Aretino zu verdanken, der als ehemaliger Wahlhelfer beim Papst noch etwas guthatte. Bilder, für die einer ermordet werden sollte, interessierten Aretino. Kaum hatte er Raimondis Stiche zu Gesicht bekommen, verfasste er zu jedem ein Gedicht und gab beides zusammen unter dem Titel Unzüchtige Sonette heraus.

      In einer Hochsommernacht wurde Aretino auf offener Straße niedergestochen, Stiche in die Brust, von einem, der das geübt hatte. Aretino überlebte. Durch ein Wunder, meinten seine Bewunderer, durch seine Dickleibigkeit, sagte die Fedele. Es hieß, Giberti habe den Täter beauftragt und bezahlt. Der Papst weigerte sich, den Täter und seinen Auftraggeber zu belangen. Aretino suchte das Weite und landete schließlich in Venedig.

      Wie sie über Aretino dachte, war Cassandra Fedele anzumerken. Während der ganzen Geschichte hielt sie den Rand ihres Schreibtischs umklammert. Es gab aber ein paar Bemerkungen von Aretino, die der alten Fedele gefielen.

      Christus hat, soviel wir wissen, keine Gefängnisse, keine Folterinstrumente und keine Henkersstricke hinterlassen, hatte er an die Inquisition geschrieben und den Brief wie fast alle seine Briefe öffentlich gemacht.

      Aretino sei immer stolz darauf gewesen, sagte die Fedele, dass er alles beim Namen nannte, ganz gleich wie grob der war, im Interesse der Deutlichkeit, erklärte er. Alles andere sei etwas für gelehrte Langweiler, denen höre kein Mensch zu. Odysseus habe bestimmt nie um den heißen Brei geredet.

      Sie ließ ihren Blick über die Regale wandern und aufatmend immer wieder innehalten.

      Wie das Eindeutige bei Aretino klang, wollte ich wissen. Dass die Haut der Fedele, gelblich blass und pergamentartig wie meine Schweinsblase, von innen heraus rot leuchten konnte, erlebte ich da zum ersten Mal.

      Sie verschwieg es mir, und Verschweigen löste bei mir das Gleiche aus wie Warnungen, Heißhunger, als stiege der Geruch von Röstzwiebeln in meine Nase nach drei Tagen Fasten.

      Als mir Aretino dann ein paar Wochen später auf dem Campo von San Zanipolo wie eine Bugwelle entgegenrauschte, groß und wuchtig und prächtig, sah ich ihn an mit einem Blick, für den meine Mutter mich geohrfeigt hätte. So stellte ich mir einen vor, der mich verteidigen konnte. Er blieb stehen und sah mich an mit einem Blick, für den meine Mutter ihn geohrfeigt hätte, obwohl – nein, das hätte sie sich nicht getraut, und zu klein war sie dafür außerdem.

      Du kommst aus der Kirche, sagte er. Hast du gebeichtet?

      Ja, sagte ich.

      Was hast du gebeichtet?

      Nichts, sagte ich.

      Bist du so brav?

      Nein, sagte ich, so vernünftig.

      Was sagt deine Mutter dazu?

      Sie sagt immer nur: Verschenk dich nicht.

      Er strich mir über den Kopf, und ich roch, dass er seinen Unterleib wusch und gutes Parfum benutzte.

      Deine Mutter hat recht, sagte er, du solltest Geld dafür nehmen, und zwar nicht zu wenig.

      Lächle mal.

      Warum?

      Du gefällst mir, also: Zeig mir die Zähne.

      Sie freuten ihn, es seien die Zähne eines Marders, und die bissen sich überall durch, sagte er.

      Von diesem Tag an hielt er seine Hand über mich, ja, nur über mich, nirgendwo sonst hin, und kümmerte sich um meine Fortbildung. Mein Lehrer kam weiterhin ins Haus, aber als ich ihm sagte, dass ich Aretino kennengelernt hatte, ließ er die Finger von mir.

      Aretino war im Abseits geboren worden, auf dem Abfallhaufen der Gesellschaft, sagte er, und hatte dort, mit knurrendem Magen und klammen Fingern Bücher bindend, einen Stern glitzern sehen: die wahnwitzige Idee, sich mit Schreiben seine Freiheit zu erobern.

      Wie das ohne Schreiben ging, wollte ich von ihm lernen. Ohne so dick zu werden wie er und ohne meine Ermordung herauszufordern.

      Ich hatte trotz der guten Matratze miserabel geschlafen in der Nacht, die ich mit dem alten Säugling verbracht hatte und nicht mit dem Mann, der davongepirscht war. Die Wut war schneller müde geworden als ich, aber ein ungemütliches Gefühl wachte mit mir auf.

      Der Tag war schon in der Frühe durchsichtig wie das Wasser der Kanäle nie, trübe war nur mein Kopf. Der Wein war nicht daran schuld. Ich wusste nicht, ob mein Nein noch Folgen haben könnte. Das Nächstliegende schien, Aretino beim Klären um Hilfe zu bitten. Ich hatte mir mit seiner Hilfe eine Wohnung, die erste eigene, am Campo San Giovanni Crisostomo in Cannaregio gemietet, obwohl die Kirche ein Neubau war, der mir nicht gefiel, und der Glockenturm noch eine Baustelle. Er wohnte im Palazzo Bolani, Canal Grande, linkes Ufer, dort, wo der Rio San Giovanni Crisostomo in den Kanal mündet, keine zwei Minuten entfernt von mir.

      Ich verließ das Haus am späten Nachmittag. Eine Viertelstunde würde ich brauchen; nicht zum Palazzo Bolani ging ich, sondern zum Rio della Misericordia, zur alten Fedele. Mein Grund dafür hatte einen Namen: den des Mannes, den ich am Abend zuvor weggeschickt hatte. Lorenzo Venier.

      Er war ein Freund von Aretino.

      Sie machte einen Schritt zurück in ihre Höhle, aus der es mich modrig anwehte, als sie mich vor der Tür stehen sah. Der Geruch beruhigte mich.

      Es ist fast drei Jahre her, sagte ich.

      Drei Jahre, zwei Monate und ungefähr sechs, sieben Tage, sagte die Fedele und ließ mich ein.

      Bei alten Menschen werden die Augen meistens stumpfer und blasser, tiefbraune werden ockergelb, azurblaue immer wässriger. Ihre glänzten nach wie vor saftig und prall wie schwarze Oliven. Alles andere an ihr war rissiger und trockener geworden. Ich saß am Fuß der Leiter, sie hinter dem Schreibtisch.

      Sie nahm die Brille ab und musterte mich


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