La Fenice. Lea Singer

La Fenice - Lea Singer


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Tochter vergriff, wäre ihr todsündig erschienen, eine Misstrauenserklärung an Gott. Sie war Dienstmädchen gewesen und konnte nicht anders als dienen. Widerspruch war in ihrem Kopf nicht vorgesehen.

      Frech hatte meine Mutter meinen Blick genannt, auch anderen gegenüber. Er machte ihr Sorgen; als ich den Lehrer dreist nannte und durchblicken ließ, warum, gab sie diesem Blick die Schuld. Damit hätte ich rechnen können, das musste sie tun, um den Mann Gottes zu entlasten. Sonst wäre ihr mit Weihen und Wundern vollgerammeltes Glaubensgebäude in sich zusammengebrochen und hätte das mühsam erbetete und erkniete Seelenheil unter sich begraben.

      Ich musste mich nach jemand anderem umsehen, wenn ich beschützt oder verteidigt werden wollte.

      Auf einmal merkte ich, wie zugig unser Haus war und dass keine meiner Freundinnen im Ernstfall zu gebrauchen sein würde.

      Meine Freundinnen fanden es ungerecht, dass ich mehr lernte als sie, nicht weil sie etwas lernen wollten, nur weil das meine Chancen erhöhte, einen besseren Mann zu heiraten, einen, der im eigenen Haus wohnte, ein eigenes Unternehmen hatte, Hausmädchen finanzierte und alles, was bei anderen Frauen Neid erweckte. Wohin dann mit dem gesammelten Neid, in eine Neidbüchse zum Sparen aufs Alter, wenn nichts mehr reinkam? Für solche Fragen hatten meine Freundinnen keinen Kopf, sie waren mit ihrem einen einzigen Ziel voll beschäftigt.

      Ich hatte drei Ziele. Das erste: mir niemals das nehmen zu lassen, was mein Vater für einen sicheren Posten verkauft hatte, nennen wir es Würde, es ginge aber auch kleiner, Selbstachtung vielleicht. Die Folge seines Verkaufs war wohl auf meiner Stirn eingebrannt: Alle nannten mich hier La Zaffetta, weil mein Vater für sie ein Zaffo war, ein Spitzel; mir war klar, dieser Name würde nicht mit ihm sterben. Allmählich musste ich anfangen, über einen anderen Vater nachzudenken, wollte ich nicht lebenslang die Tochter eines Mannes sein, dem keiner über den Weg traute.

      Zweites Ziel: mein Geld selbst zu verdienen, zu erben war keins, es zu heiraten kam eine Frau hier teuer zu stehen.

      Drittes Ziel: blond zu werden.

      Vorsatz Nummer eins hätten meine Freundinnen für überflüssig gehalten, sie meinten wohl, Würde sei etwas, das Greise einklagen, und die Freiheit komme über sie wie der große Regen im November. Vorsatz Nummer zwei musste ich ihnen verschweigen; sie hätten kein Wort mehr mit mir gewechselt, mit so jemandem redeten anständige Mädchen nicht. Außerdem hätten sie doch selbst beobachten können, wie die Männer, die Sorte, von der meine Freundinnen träumten, hier ihre Frauen wegsperrten, bis sie sich zu Tode langweilten; nicht einmal auf die Straße durften sie schauen, ausschließlich hinten hinaus, wo nichts los war. Die Fremden, die rund ums Jahr unsere Stadt begafften, fragten sich, warum hier außer an Festtagen öffentlich nichts zu sehen war von den schönen Venezianerinnen, die sie von Bildern und aus Reiseführern kannten, nur schwitzende und schnaufende Frauen, die schleppten und schrubbten, verkauften und verpackten, weil ohne die nichts lief.

      Ich würde jedem, der zum ersten Mal nach Venedig reist, raten, seinen Kopf vollständig leer zu räumen und auszuräuchern, als hätte jemand mit einer hoch ansteckenden Krankheit darin gewohnt. Die eingeschleppten Vorstellungen von dieser Stadt machen die klügsten Besucher zu Trotteln. Sie benehmen sich, als wären sie berauscht und umnebelt von einem Liebeswahn. Alles, was an Venedig ekelhaft, brutal und hässlich ist, übersehen sie. Dabei ist es eigentlich als Station zum Ausnüchtern ideal geeignet.

      In Venedig wurde schon immer gerechnet, nicht geträumt. Es gab hier keinen Berufsverband der einheimischen Kaufleute, die ganze Stadt war einer, jede Bäckersfrau handelte und spekulierte nebenher mit irgendetwas. Mittlerweile standen rund um den Rialto über dreißig Bankhäuser. Das Einzige, was Menschen hier zum Träumen brachte, war, wie sie das Geld in Schönheit umsetzen konnten, damit man es auch sah; für Männer gehörte dazu der Erwerb einer schönen Frau. Das Heimtückische an dieser Anschaffung war, dass sie nicht vor Diebstahl sicher war. Die bis auf Sonntage, Feiertage und Feste inhaftierten Frauen wurden in ihrem Luxusgefängnis mit schweineteurer Garderobe und Schmuck behängt, das sparte Steuern, die nach dem letzten verlorenen Krieg ein paar Jahre vor meiner Geburt steil angestiegen waren und auf jedes Bankguthaben zu entrichten waren.

      Meine Freundinnen teilten nur mein drittes Ziel, blond zu werden, weil sie wussten, dazu brauchte es Geld, also den angepeilten Mann. Das Bleichmittel war nicht kostspielig und mühelos zu beschaffen, aber nur wer einen Dachbalkon besaß, konnte es richtig anwenden. Man zog einen Hut auf, der aus nichts als einer breiten Krempe bestand – das Gesicht durfte keinerlei Farbe annehmen –, breitete die mit Bleichmittel eingestrichenen Haare auf der Krempe aus und setzte sich auf der Altana ein paar Stunden in die Sonne. Warum ich blond werden wollte, hätten sie allerdings niemals verstanden. Ein ängstlicher Mann taugte nicht als Liebhaber, und eine blonde Frau machte den meisten Männern weniger Angst, Albinos wirken auch so, als wären sie nicht recht überlebensfähig. Meine Patentante hatte ihren Mann früher Adler genannt, er war auch einer gewesen; längst hatte sie ihn in gesalzenen Bemerkungen über seine fehlende Manneskraft zum Suppenhahn verkocht. Dabei hatte sie ihn selbst kastriert mithilfe ihrer Sippe, gegen die seine nur Schrott war, ihr Vater war der Größte und ihr Bruder der Beste.

      Ich war in jenem Dezember zur Welt gekommen, als die gesamte Lagune zugefroren war. Pferdegespanne fuhren Fleisch, brettharte Stockfische, Rüben und Kohlköpfe von der Terraferma oder Torcello oder Chioggia übers Eis, jeder Feind hätte ein leichtes Spiel gehabt, die ungeschützte Stadt zu stürmen. Es passierte ihr nichts. Von Kind an war ich überzeugt, dass auch mir nichts passieren würde, und hatte niemals Angst im Dunkeln.

      Mit sechzehn Jahren hatte ich Ziel zwei und drei erreicht und nun an diesem Abend im April um halb acht Uhr abends Ziel Nummer eins verteidigt.

      Ich hatte zum ersten Mal einen Mann weggeschickt, obwohl ich wusste, wer und vor allem was er war. Er stammte aus einer Familie, bei deren Name jeder erst mal verstummte und dann etwas von altem Geld raunte, als würde Geld durchs Alter vornehmer. Den Palast, in dem er wohnte, kannte jedes Kind, seine Verwandten saßen in der Regierung, hatten schon einmal den Dogen gestellt und ich weiß nicht wie viele Prokuratoren und Admiräle. Von seinem Schneider, Nachbar meiner Eltern, wusste ich, dass das Pelzfutter seines Wintermantels doppelt so viel kostete, wie mein Vater im Jahr verdiente, warum auch nicht. Was kaum jemand verstand, der davon wusste, war sein Ziel. Er, der in einer Marmorbadewanne voll Reichtum, Ruhm und Einfluss saß, wollte ausgerechnet als Schriftsteller bekannt werden.

      Ich heiße Angela, das ist nicht mein offizieller Vorname, ich habe ihn mir selbst gegeben, als Gegengift zu La Zaffetta, nachdem ich darauf gekommen war, dass Wünsche wie Parfums überzeugen können, gerade wenn sie zu groß bemessen sind. Überirdisch war an mir gar nichts. Mein Hals etwas zu kurz, die Beine ebenfalls, die Füße stabil genug für lange Fußmärsche, die Oberarme kräftig, die Hände zupackend, geeignet, um Fische zu schuppen, Hühner zu rupfen, Böden zu schrubben; das konnten sie auch. Trotzdem galt ich als schön. Was andere Frauen auf glatt und rosarot schminkten – Karmesin wurde sogar auf die Brustwarzen gepudert –, war bei mir glatt und rosarot, mein Fleisch war so prall, dass man kaum hineinkneifen konnte, meine Brüste fest und, was angesagt war, nur so groß, dass eine kräftige Männerhand sie verdecken konnte; das wäre aber bestenfalls als Aphrodisiakum gehandelt worden, nicht als Schönheit. Mein Kapital war mein Gesicht, so offen für Deutungen, dass jeder in mir sehen konnte, was ihm verboten war oder für ihn unerreichbar, jeder sich einreden konnte, ich wäre seine Göttin, nur für ihn nach seinen Vorstellungen hergestellt. Mein Gesicht war wohl in dieser Stadt der Rechner eines der Reservate, wo ein Mann Träume haben durfte, Träume, in denen er zum Helden wurde, und das machte mich begehrt. Schon immer war das eigentliche Geschlechtsorgan der Venezianer ihr Auge. Als beliebteste unter allen Strafen, für machtlüsterne Dogen, für Diebe und Betrüger jeder Art, hielt sich daher das Ausstechen der Augen. Damit wurden sie gleichzeitig entmannt.

      Der Mann mit dem schwermütigen Blick, der sich schon auf meine gute Matratze gelegt hatte, sagte noch einmal: Es ist dein Recht.

      Jetzt kam es an. Hör auf die Stimme der Vernunft, hatte meine Mutter mir eingeschärft. Sie hatte damit nicht das gemeint, was ich jeden Morgen tat, schon aus Gründen der inneren Sicherheit, wenn ich mich abhörte vom Scheitel bis zu den Fußsohlen, ob nichts zog, nichts pochte, stach, brannte, ausfloss


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