Fesseltrick. Klaus Stickelbroeck
hölzerne Schreinerwerkbank war bis auf eine einzelne Blumenvase komplett freigeräumt, ein Stehtisch. Was verbarg die konturlos über was auch immer dahingeworfene Tagesdecke ganz hinten links in der Ecke des Raumes?
Sie schlang verunsichert die Arme um sich.
Auf was hatte sie sich hier eingelassen?
Sie spürte einen leisen Anflug von Panik, fühlte sich halbnackt in ihrem Spitzenbody mit den Strümpfen mit einem Mal hilflos, verletzlich. Das war kein … Kinderspiel.
Das war überhaupt kein Spiel.
Nein, befahl sie sich, das war jetzt keine Panik, die da von ihrem Körper Besitz ergriff. Sie spürte das Prickeln. Deutete es. Deutete es um. Nein, das war die heiße Erwartung auf das, was da kommen sollte. Sie strich mit der Hand über das grobe Klinkerwerk und konnte den staubigen Dreck auf den uralten Steinen spüren.
Heiß!
Aber wo blieb er? Zehn Minuten befand sie sich bestimmt schon im Keller. Ob er schon hier war? Hatte er bereits im Dunkeln auf sie gewartet? Eine neue Welle der Erregung rauschte warm durch ihren Körper, ließ ihr Blut brodeln. Geilte er sich bereits an ihrem Anblick auf. An ihrer Angst? An ihrer Unsicherheit? Heimlich, irgendwo hinter Kartons und Gerümpel versteckt? Erregt davon, dass sie seine Anweisungen ganz genau und akkurat befolgt hatte? Ohne Widerspruch.
Als wäre sie devot. Was sie nun wirklich nicht …
Da war doch was? Da war doch jemand! Sie hielt die Luft an, wagte nicht zu atmen, jede Faser ihres Körpers angespannt, die Sinne geschärft. Ein grelles Knarzen.
Die Kellertür! Schritte! Von oben aus dem Hausflur? Vom Kellerabgang. Deutlich, ja sicher. Licht stürzte ins Kellerdunkel.
Im gleichen Moment spürte sie ganz genau, dass sie hier unten nicht allein im Raum war. Verdammt. Sie fuhr herum. Ihr Mund öffnete sich, um …
Zu spät. Bevor sie in der Dunkelheit irgendetwas erkennen konnte, wurde eine Hand von hinten grob über ihren Mund gelegt. Die Hand erstickte ihren Aufschrei, ihre Frage, was auch immer. Ein Arm fuhr um ihren fast nackten Körper. Sie versuchte, durch die kräftigen Finger Luft zu ziehen, es wollte ihr kaum gelingen. Sie spürte einen Mund ganz nah an ihrem Ohr. Heißer Atem.
»Sssshhh.«
In die folgende Stille hinein hörte sie es wieder. Schritte. Dann das Knarzen! Unverkennbar. Das Knarzen der vorletzten Stufe, jemand stieg die Treppe zu ihnen herab.
Jemand? Wer denn? Wenn da jemand die Treppe herunterstieg, wenn … er … es war, wer hielt sie dann fest umklammert, wer presste in diesem Moment eine Hand fest auf ihren Mund?
Es gelang ihr, den Kopf zu drehen, nur ein kleines Stück weit. Sie erkannte das Gesicht direkt neben ihrem. Ihr Herzschlag setzte aus. Du? Du, hätte sie fragen wollen, wenn sie denn hätte fragen können. Aber die kräftig auf ihren Mund gepresste Hand ließ das nicht zu. Sie sah, wie der Mund zum schemenhaften Gesicht lächelte.
»Sssshhh.«
Auf was hatte sie sich eingelassen?
Hartmann starrte aus dem Fenster. »Gleich, gleich kriegt er ihn.«
Alina strich eine ihrer hellblauen Strähnen hinters Ohr und runzelte fragend die Stirn. Angie, der neben ihr stand, zuckte hilflos mit den Schultern.
»Der kleine Hase hat keine Chance«, stellte Hartmann fest und deutete in den Himmel.
Zu sehen waren im strahlenden Azurblau allerdings lediglich zwei weiße Schäfchenwolken. Eine kleine und eine große.
»Er beobachtet die Wolken. Wie lange soll das jetzt so gehen?«, fragte Alina mit echter Sorge in der Stimme.
»Keine Ahnung«, knirschte Angie.
»Er hat aus dieser Colaflasche getrunken?«
»Ja. Aus der Flasche. Aber keine Cola. Also, auch Cola, aber nicht nur Cola.«
»Da war was drin«, verstand Alina.
Angie pustete. »Ja, nun. Ich hab ein wenig experimentiert.«
»Ein wenig experimentiert?«
»Ich konnte ja nicht ahnen, dass Hartmann schon so früh nach Hause kommt. Sonst hätte ich die Flasche mit dem Zeug natürlich irgendwie gesichert. Oder versteckt. Oder entsorgt.«
Alina verdrehte die Augen. »Mit was denn experimentiert?«
»Dinge, Stoffe, Verschiedenes.«
Hartmann schniefte. »Der große, böse Drache ist einfach schneller als der süße, kleine Hase.«
Alina nickte mit dem Kopf. »Und wie lange bleibt der jetzt in diesem Zustand?«
Angie zuckte erneut mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich experimentiere ja noch.«
»Das ist unverantwortlich«, erboste sich Alina, stemmte wütend die Arme in die Hüfte und rollte wild mit ihren grünen Augen. »Wir müssen einen Arzt rufen.«
»Auf keinen Fall.«
»Wer weiß, was da in seinem Körper abgeht.«
»Das muss auch keiner wissen. Kein Arzt. Ärzte stellen nur Fragen.« Angie schüttelte eindringlich seinen Kopf. »Oder untersuchen sein Blut und stellen fest … Ist auch gar nicht nötig, ein Arzt. Die ersten Selbstversuche waren alle sehr, sehr vielversprechend.«
Alina ließ den Blick über das Trinkensemble kreisen. »Sehr, sehr vielversprechend. So sieht das hier auch aus.«
»Armes, armes Häschen«, flüsterte Hartmann leise, und es stand ernsthaft zu befürchten, dass er jeden Moment bestürzt in Tränen ausbrechen würde.
»So ein Halbmarathon schlaucht«, behauptete Angie.
»Boah, schieb seinen Zustand jetzt nicht auf den Lauf gestern, du hast Scheiße gebaut.«
»Es geht ja auch gerade zügig auf Vollmond zu«, versuchte Angie eine zweite Erklärung.
»Saug dir keine blöde Rechtfertigung aus den Fingern«, zischte Alina scharf. »Dass Hartmann halb weggedämmert rumsabbert, bist allein du schuld!«
Angie drückte sein Kreuz durch. Das Ganze und Hartmanns Reaktion, das war natürlich alles ein wenig unglücklich, aber er hatte auch keinen Bock, sich von dieser blauhaarigen Osteuropäerin derart in die Defensive drängen zu lassen. »Was machst du eigentlich hier?«
Alina nickte Richtung Schreibtisch. »Ich soll Hartmanns Telefonanlage ein bisschen aufpimpen. Einige Passwörter setzen, ein paar Funktionen umlegen, Netflix einrichten.«
Angie schnaufte. Er hatte die Superspezialspezialistin bei Hartmanns letzten Fall kennen- und ihre technischen Fähigkeiten am PC schätzen gelernt. Die smarte Alina mit den blauen Haaren und den vielen, bunten Tattoos war okay. Vielleicht ein wenig nassforsch, aber – mit einem Seitenblick auf den dumpf vor sich hin murmelnden Hartmann –, da wollte Angie jetzt nicht kritisch ansetzen.
Plötzlich richtete Hartmann sich auf. »Häschen, ich werde dir helfen.«
Alina und Angie sahen sich fragend an. Hartmanns Gesicht wurde zur entschlossenen, grimmigen Fratze, was wirklich, wirklich nicht gut aussah.
»Oh-oh«, unkte Angie.
Hartmanns Kopf wurde rot.
»Äh …« Alina bekam es mit der Angst zu tun.
»Ha«, jubelte Hartmann und winkte die beiden mit wilder Geste zu sich ans Fenster. »Guckt, guckt.«
Die beiden taten zögernd wie geheißen. Alina musterte den Himmel über Düsseldorf. Nun ja. Die hintere, größere Wolke hatte sich in mehrere kleinere Wölkchen aufgelöst, wie große Wolken das schon mal machten.
Hartmann nickte bedeutungsvoll und blickte seinen beiden Freunden nacheinander eindringlich in die