Heart to heart. Alexia Meyer Kahlen

Heart to heart - Alexia Meyer Kahlen


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Zeit am richtigen Ort oder haben uns einfach auf einen neuen Weg eingelassen, den wir bislang immer nur im Schatten wahrgenommen haben. Er wurde überdeckt von dem Ziel, immer weiter und höher reiten zu wollen. Bessere Platzierungen, schwierigere Prüfungen. Doch es sollte nicht sein … und das war gut so!

      Ich könnte mir kaum einen schöneren und spannenderen Weg vorstellen als den jetzigen. Wir durchlaufen Höhen und Tiefen, lachen, weinen und strahlen zusammen um die Wette. Wir dürfen unser Resultat der täglichen Arbeit vor Tausenden Menschen in Shows auf den Bühnen der Welt zeigen und dabei viele tolle Menschen kennenlernen. Ich darf die Menschen auf meinen Social-Media-Accounts mitnehmen und ihnen meine Welt präsentieren.

      Das Besondere an unserer Arbeit ist die Verknüpfung zwischen Horsemanship, der Freiarbeit und dem Turniersport. Mir liegt der Sport immer noch sehr am Herzen – ich betrachte ihn lediglich aus einer ganz anderen Sicht. Ich bin weiterhin bereit, meine Sicht zu ändern und neue Positionen einzunehmen. Das ist, glaube ich, eine Sache, die wir Menschen uns öfter erlauben sollten. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß im Turniersport oder beim Horsemanship zu sehen. Beides hat unterschiedliche Facetten – wie so vieles Leben, und es ist unsere Aufgabe, die richtigen für uns herauszupicken. Und: Wir sollten uns mehr an die eigene Nase fassen und aufhören, uns durch das Kleinreden von anderen selber größer zu fühlen. Wir alle lieben die Pferde und den Pferdesport mit all seinen tollen Sparten. Wenn wir zusammenhalten und offen dafür sind, voneinander zu lernen, können wir unseren Partnern und uns selber das Beste geben.

      Beim Lesen dieses Buchs war ich selbst total gerührt und habe ziemlich oft mich und meine Familie in dem Buch wiedererkannt. Die Geschichte hat unsere Geschichte in abgewandelter Form unglaublich gut widergespiegelt und mich mit ihren Höhen und Tiefen total in ihren Bann gezogen.

      Viel Spaß beim Lesen!

      Eure Lisa

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       NEUE WEGE

      1.

      Paula griff in ihr Regal, in dem die Bandagen fein säuberlich aufgerollt und nach Farben sortiert nebeneinandergestapelt waren. Sie brauchte die weißen, auf jeden Fall zwei Paar, dann hatte sie für die Springprüfung noch einen Ersatz, bevor im Gelände dann die weißen Gamaschen draufkamen. Bogart sollte nicht nur durch Leistung glänzen, sondern auch durch ein tadelloses Aussehen, das war ihr einfach wichtig. Sie blickte auf die getippte Packliste, die in einer Klarsichthülle innen an ihrer Spindtür hing. »Schabracken« kam als Nächstes.

      Als sie noch überlegte, ob sie die dünneren aus Baumwolle oder doch lieber die gepolsterten nehmen sollte, schlenderte ihr sechzehnjähriger Bruder Johannes in den elterlichen Stall.

      »Na, Schwesterchen, mal wieder im Organisations-Overkill?«, feixte er mit Blick auf die ordentlichen Stapel, die Paula auf Bogarts Pferdedecke vor sich auf dem Boden ausgebreitet hatte.

      Sie entschloss sich, nicht auf die Sticheleien ihres älteren Bruders zu reagieren, und warf einen verachtungsvollen Blick in seine Ecke der Sattelkammer, in der Chaos pur herrschte.

      Johannes fing ihren Blick auf und zuckte lässig mit den Schultern. »Genies überblicken eben das Chaos.«

      Das Geplänkel gehörte irgendwie zu Paula und Johannes Lippold dazu. Auch wenn ihre Ausrichtungen sehr verschieden waren – Paula als ehrgeizige Turnierreiterin im Vielseitigkeitssport und Johannes als Freigeist, der mit seinem Pferd am liebsten auf einem Westernsattel stundenlang durchs Gelände streifte –, zogen sie umso mehr an einem Strang, wenn es um Pferde ging. Von Kindesbeinen an waren sie mit Pferden auf dem elterlichen Hof vertraut, auf dem zurzeit sechs von ihnen standen – die beiden alten Friesen Aaron und Caius, die ihre Eltern als Kutschpferde nutzten, Paulas Hannoveranerwallach Bogart, Johannes’ Quarterhorse Easy Joe sowie Kaya und Shirkan, die beiden alten Reitponys der Kinder, die ihr Gnadenbrot bekamen. Entsprechend waren die Abende, an denen am Esstisch im Hause Lippold nicht über Pferde geredet wurde, äußerst selten. Mit Unterstützung ihrer Eltern sowie viel persönlichem Einsatz hatte Paula sich über Ponyspiele, Führzügelwettbewerbe und erste Turniererfolge in Reiterprüfungen mit Bogart bis zu Prüfungen der Klasse M hochgearbeitet, die sie jetzt auf Turnieren bestritt. Doch das war für sie erst der Anfang.

      Sie wollte sich gerade wieder ihrer Packliste zuwenden, als sie Johannes fluchen hörte: »Mist, hast du irgendwo mein Bodenarbeitsseil gesehen? Ich hätte schwören können, dass ich es vorgestern am Knotenhalfter drangelassen habe, aber irgendwie ist es jetzt … einfach weg.«

      Ratlos blickte er seine jüngere Schwester an, die sich ein überhebliches Grinsen nicht verkneifen konnte. Sie wusste genau, was jetzt kam. Und schon murmelte Johannes zerknirscht: »Kannst du mir vielleicht suchen helfen?«, und schenkte ihr seinen treuherzigsten Augenaufschlag.

      An dieser Stelle hielt sie ihm für gewöhnlich erst mal einen kurzen Vortrag über die Tugenden der Ordnung und Selbstdisziplin, die sie selbst in Perfektion verwirklicht hatte, bevor sie ihm half, in seinem Durcheinander zu finden, wonach er schon wieder suchte. Doch heute war ihr nicht danach, die Fopperei mit ihrem Bruder weiterzuführen. Auch wenn die Qualifikationsprüfung für den Jugend-Perspektivkader erst in drei Tagen stattfand, konnte Paula schon jetzt eine innere Anspannung fühlen. Zu viel stand auf dem Spiel. Wenn sie es schaffte, in den Kader zu kommen, war sie ihrem großen Traum, einmal bei den Olympischen Spielen als Vielseitigkeitsreiterin dabei zu sein, ein großes Stück näher gekommen. Sie wusste, sie hatte das Zeug dazu – sowohl reiterlich wie auch in ihrem 12-jährigen Bogart.

      »Schwesterherz?«, unterbrach Johannes ihre Gedanken.

      »Räum dein Zeug weg, wenn du es benutzt hast, dann musst du nicht ständig was suchen«, schoss es aus Paulas Mund. Überrascht riss Johannes die Augen auf.

      Auch Paula war für einen Moment erschrocken über die Schärfe in ihrer Stimme. »Sorry«, schickte sie gleich hinterher. »Weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Komm, ich helfe dir suchen.«

      »So genervt kenne ich dich gar nicht«, schüttelte Johannes den Kopf. »Und dann schon drei Tage vorher das ganze Turnierzeug einzupacken, ist auch nicht normal. Ist es wegen Warendorf?«

      Paula entfuhr ein unwillkürlicher Seufzer. »Ich mache mich irgendwie total verrückt.«

      »Mensch, kleine Schwester«, versuchte Johannes sie zu beruhigen. »Du hast doch noch alle Zeit der Welt, auf dem Treppchen zu stehen. Vielleicht musst du einfach mal ein bisschen loslassen und entspannen. Nicht immer alles bis ins Letzte kontrollieren wollen.«

      »Wenn ich nicht alles unter Kontrolle habe, kommen Bogart und ich nirgendwohin!«, rutschte Paula heraus.

      Johannes blickte seine jüngere Schwester einen Moment nachdenklich an. »Vielleicht gerade?«

      Paula schüttelte den Kopf. »Du verstehst das nicht, Johannes. Du bist einfach anders. Für Deutschland in der Vielseitigkeit zu starten ist mein Leben. Wenn ich jetzt in den Jugend-Perspektivkader komme, sitze ich im Zug, verstehst du? Dann muss ich nur noch schauen, dass ich mein Level immer weiter nach oben verschiebe, und bin da. Am Ziel all meiner Träume.«

      »Ich weiß nicht«, sinnierte Johannes. »Ich gönne es dir ja, aber weißt du, was das für ein Druck ist? Immer Bestleistung bringen zu müssen? Da sind schon ganz andere dran zerbrochen.«

      Paula presste die Zähne aufeinander. Zerbrechen war für sie keine Option.

      2.

       Machst du heute noch was oder lässt du Bogart stehen?

      Paula las die Textnachricht ihrer Reiterfreundin Anne, als sie gerade aus der Haustür trat, um Bogart aus seiner Box zu holen.

      Freundin war eigentlich das falsche Wort, denn auf den Turnieren, wo sie sich regelmäßig trafen, waren sie erbitterte Konkurrentinnen. Mit ihrem Fuchs Furioso war die gleichaltrige Anne ähnlich ambitioniert wie Paula und auch sie stand auf der Auswahlliste


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