Heart to heart. Alexia Meyer Kahlen

Heart to heart - Alexia Meyer Kahlen


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heute einen Ruhetag gönnen wollen, bevor es morgen nach Warendorf zum Bundesstützpunkt des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei, kurz DOKR, ging. Bogart war für die Kader-Qualifikationsprüfung top in Form, und es tat seiner Kraft sicher besser, den Tag heute einfach auf der Weide zu verbringen, als noch mal irgendwelche Lektionen abzurufen oder einen Parcours zu springen.

      Ich glaube, ich lasse Furioso noch mal über ein paar Geländesprünge gehen, sonst wird der mir zu gechillt, textete Anne jetzt zurück.

      Paula zögerte einen Moment. Da war sie wieder, diese innere Anspannung, die ihren Magen zusammenkrampfen ließ und ihren Herzschlag in die Höhe trieb.

      Ich auch, schrieb sie schnell zurück. Wollte Bogart noch mal über unsere festen Sprünge auf der Wiese nehmen, dann bleibt er schön knackig.

      Einen kurzen Moment ärgerte sie sich darüber, was sie Anne geantwortet hatte. Eigentlich war der Tag so geplant gewesen, dass sie heute Morgen Bogarts Mähne und Schweif waschen und ihn einflechten wollte und am Nachmittag mit ihren Eltern und deren Friesengespann auf eine Kutschfahrt gehen würde. Es gab für Paula nichts Entspannenderes, als neben ihrem Vater auf dem Kutschbock zu sitzen und die Welt einfach an sich vorbeiziehen zu lassen.

      Sie seufzte. Daraus wurde dann wohl nichts. Aber wahrscheinlich hatte Anne recht, und es war gut, die Pferde im Training zu halten. Ausruhen konnten sie sich nach der Quali noch genug.

      Beim gemeinsamen Mittagessen drehte sich alles um die bevorstehende Qualifikationsprüfung. Paulas Vater war von Beruf Hufschmied, und wenn seine Tochter ein wichtiges Turnier hatte, legte er seine Kundentermine immer so, dass er Paula und ihr Pferd begleiten konnte.

      »Alles gepackt, mein Schatz?«, meinte er jetzt und nahm sich einen ordentlichen Schlag Kartoffelsuppe.

      »Schon vorgestern«, versuchte Johannes seine Schwester aufzuziehen, doch ein Blick von Paula brachte ihn zum Schweigen.

      »Bogart sieht wunderschön aus«, bemerkte ihre Mutter. »Vielleicht könntest du ihm den Schweif noch etwas kürzen, meinst du nicht?«

      Paula nickte und schob ihren vollen Teller zur Seite.

      »Komm, komm, du musst doch was essen«, protestierte ihr Vater jetzt.

      »Ich kann nicht, bin zu nervös«, gab Paula zurück.

      »Die Kutschfahrt wird dir gleich richtig guttun«, schaltete sich ihre Mutter wieder ein. »Papa und ich haben eine neue Route, die geht eine Stunde nur durch den Wald. Du wirst sehen, danach kommt auch dein Appetit zurück.«

      Paula zögerte, dann stieß sie schnell hervor: »Ich komme nicht mit. Ich wollte Bogart noch mal über die festen Sprünge auf der großen Wiese gehen lassen.«

      »Was soll das denn?«, runzelte ihr Vater die Stirn. »Wir hatten doch abgesprochen, dass du ihn heute stehen lässt.«

      »Kind, damit machst du deine Nervosität sicher nicht besser«, fügte ihre Mutter hinzu.

      Paula wandte ihren Blick Hilfe suchend Richtung Johannes, doch auch der schüttelte langsam den Kopf. »Keine gute Idee, Schwesterherz. Du springst den nur sauer.«

      »Aber Anne macht das auch«, protestierte Paula hilflos.

      »Ach, daher weht der Wind«, warf ihre Mutter sofort ein. »Anne trainiert heute noch mal, also musst du auch trainieren. Die erzählt dir das doch nur, damit du dein Pferd müde reitest und sie morgen abräumen kann.«

      Paulas Magen zog sich noch mehr zusammen. Sie hasste es, wenn das Gespräch auf Anne kam und ihre Mutter so reagierte. Und vielleicht hatte sie ja noch nicht mal ganz unrecht. Paula wusste oft nicht, woran sie bei der ehrgeizigen Anne war. Aber vielleicht war es ja doch so, dass sie Furioso heute noch mal sprang, und dann war er morgen vielleicht den Hauch besser, der über Platz oder Sieg entschied.

      »Ich habe das für mich so beschlossen«, gab sie mit betont fester Stimme zurück. »Ich nehme Bogart nur mal über ein paar Baumstämme, ganz locker, damit er elastisch bleibt.«

      Ihre Mutter schüttelte resigniert den Kopf. »Den Dickkopf hast du von deinem Vater.«

      »Paula, du bist alt genug, um deine eigenen Entscheidungen zu treffen«, schaltete sich dieser nun ein. »Und du musst deine Prüfungen selbst reiten. Ich persönlich würde dir davon abraten, aber tu, was du meinst, tun zu müssen. Mama und ich machen unsere Kutschfahrt auf jeden Fall. Um zwei geht es los, wenn du es dir noch anders überlegst.«

      »Danke, Papa, aber ich weiß echt, was ich tue«, meinte Paula. Aber irgendwie klang ihre Stimme nicht so überzeugt, wie sie es gerne gehabt hätte.

      Bogart war ein angenehmes Pferd, das ohne Zögern die Leistung brachte, die man von ihm verlangte. Nachdem Paula ihn mit ein paar Biegungen und Seitengängen im Schritt, im leichten Trab und Galopp aufgewärmt hatte, ließ sie ihn zuerst locker über einzelne Natursprünge gehen. Aus verschieden dicken Stämmen und Stangen, Reisern und Strohballen hatte sie zusammen mit ihrem Vater und Johannes auf der großen Wiese einen Parcours aufgebaut, damit sie auch für den Geländeteil der Vielseitigkeitsprüfungen zu Hause ein wenig trainieren konnte. Bogart nahm die Hindernisse elastisch und in den Kombinationen war sein Gefühl für Distanzen tadellos.

      Jetzt einmal den ganzen Parcours durchspringen. Er lief wie ein Uhrwerk.

      Eigentlich ist es echt nicht nötig gewesen, dachte Paula. Wie schön wäre es jetzt, stattdessen auf der Kutsche zu sitzen und entspannt durch den Frühlingswald zu zockeln. Sie beschloss, zum Abschluss noch mal den dicken Baumstamm zu nehmen und ihr Pferd dann wirklich in Ruhe zu lassen.

      War es eine Unachtsamkeit des Pferdes oder der Reiterin? Der zu frühe Absprung, den Paula überrascht wahrnahm, als sie schon über dem Sprung waren, oder eine Ermüdungserscheinung bei Bogart, dass er die Beine nicht mehr richtig hob? Alles ging so irre schnell, und bevor Paula wusste, wie ihr geschah, drehte sich das Unterste zuoberst, sie wurde vom Pferd geschleudert und nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass auch Bogart sich irgendwie überschlug. Dann knallte sie hart auf dem Boden auf.

      Als sie die Augen öffnete, galt ihr erster Gedanke ihrem Pferd. Bogart hatte sich wieder aufgerichtet und stand mit hängendem Kopf und zerrissenem Zügel ein paar Meter von ihr entfernt.

      Scheiße, Scheiße, Scheiße, schoss ihr durch den Kopf, und sie wollte sich ruckartig aufsetzen, um nach ihm zu sehen. Sofort schoss ein scharfer Schmerz durch ihren Kopf, ihr wurde schwindlig und übel. Paula musste sich wieder hinlegen.

      Was sollte sie jetzt nur tun? Ihr Handy. Die Eltern waren noch unterwegs, aber vielleicht Johannes?

      Mit übermenschlicher Konzentration zog sie ihr Telefon aus der Tasche und fand unter den Kontakten ihren Bruder, immer wieder unterbrochen durch Flimmern vor den Augen und einen stechenden Schmerz in ihrem Kopf. Schließlich gelang es ihr, den Ruf rauszusenden. Es klingelte und klingelte. Die Mailbox sprang an.

      Als Paula versuchte, Johannes etwas draufzusprechen, lauschte sie verwundert dem Klang ihrer eigenen Stimme: nur einzelne krächzende Worte. Wieso hatte sie sich gerade nur so wenig im Griff?

      Das ganze Ausmaß des Ereignisses traf sie plötzlich mit voller Wucht. Die Kader-Quali! Sie drehte den Kopf vorsichtig zur Seite und blickte wieder zu Bogart. Er belastete alle vier Beine gleichmäßig. Das war schon mal ein gutes Zeichen. Ein Ersatzzügel war schnell besorgt. Wenn nur ihr blöder Kopf nicht wäre. Der Schmerz kam jetzt in Wellen und raubte ihr fast das Bewusstsein.

      Es konnte nichts Schlimmes sein, sie hatte doch eine Kappe getragen. Wenn der Familienarzt Dr. Kopp ihr ein gutes Schmerzmittel verschrieb, wäre sie schon wieder einsatzfähig.

      Paula hatte jedes Gefühl für Zeit verloren, als sie plötzlich rennende Schritte wahrnahm und die Stimmen von Johannes und ihrem Vater. »Sieht aus, als wäre sie vom Pferd gestürzt. Schnell, ruf den Rettungswagen.«

      Paula wollte protestieren: »Es ist doch nichts. Ich bin voll einsatzfähig«, doch aus ihrem Mund kam nur ein unzusammenhängendes Gebrabbel.

      Was dann folgte, nahm sie nur durch einen Nebel wahr. Das Martinshorn,


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