Heart to heart. Alexia Meyer Kahlen

Heart to heart - Alexia Meyer Kahlen


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sie ganz, ganz weit wegzuschieben.

      Sich für den Jugend-Perspektivkader der Vielseitigkeitsreiter zu qualifizieren, war all die Jahre ihr innerer Brennpunkt gewesen, ob sie auf ein Turnier ging oder unermüdlich mit Bogart trainierte, um ihn immer besser zu machen. Jetzt, wo dieser Fokus sich in Luft aufgelöst hatte, schien alles andere plötzlich bedeutungslos. Als wäre die Mitte ihres Lebens einfach herausgefallen.

      »Spinnst du?«, riss Johannes sie aus ihren trüben Gedanken. »Du hast schon auf Pferden gesessen, bevor du laufen konntest. Pferde sind dein Leben. Das kannst du gar nicht aufgeben!«

      »Der Sport war mein Leben«, flüsterte Paula. »Aber das ist jetzt für immer vorbei.« Gegen ihren Willen standen plötzlich Tränen in ihren Augen, als sie Johannes anblickte. »Wie kann ich jemals wieder einem Pferd trauen?«

      Johannes schüttelte den Kopf. »Aber Bogart hat doch nichts absichtlich getan, um dein Vertrauen zu brechen.«

      »Ich weiß«, nickte Paula. »Das ist das Schlimmste. Wenn ich wenigstens einen Grund hätte. Aber ich habe keinen. Bogart hat einfach nur seinen Job gemacht. Die Wahrheit ist, ich vertraue mir nicht mehr.«

      Was macht man, wenn man auf einem Pferdehof wohnt und beschlossen hat, mit Pferden nichts mehr zu tun haben zu wollen? Nach dem zehnten langen Waldspaziergang mit Boomer wurde Paula klar, dass sie den Pferden einfach nicht aus dem Weg gehen konnte. Gleichzeitig verspürte sie in sich keinerlei Regung, irgendetwas mit Bogart zu machen. Allein der Gedanke daran, ihn zu reiten, ließ in ihr sofort ein Gefühl von Übelkeit aufsteigen. Sie verurteilte sich dafür, zwang sich, zu ihm auf die Weide zu gehen, um ihn zu streicheln. Aber das machte alles nur noch schlimmer. Irgendetwas in ihr war einfach tot oder verschüttet in den Tiefen ihrer Seele.

      Also verbrachte sie ihre Zeit damit, Johannes zuzuschauen, wenn er mit seinem Quarterhorse Easy Joe trainierte. Johannes war ein Freigeist, der ständig etwas Neues ausprobieren musste. Seine Grundausbildung hatte auch er in der englischen Reitweise erhalten und zu Anfang war er sogar zusammen mit Paula auf Turniere gegangen. Sie seufzte, als sie an diese Zeit zurückdachte, wie sie beide mit ihren deutschen Reitponys Kaja und Shirkan an den Sonntagen losgezogen waren, erst auf Turniere im näheren Umfeld, dann auf immer weiter entfernte Prüfungen. Wie leicht damals alles gewesen war, der Wettbewerb zwischen ihr und Johannes war nicht mehr als ein Spiel, und wer die bessere Platzierung errungen hatte, durfte den anderen bis zum nächsten Turnier damit aufziehen.

      Doch irgendwann hatte sich bei ihr das Gefühl verändert, es ging nicht mehr um die Freude an der Sache, sondern es ging um »etwas«. Die Prüfungen nahmen in ihrem Leben immer mehr Raum und Gewicht ein, und wenn sie mal nicht unter die ersten drei kam, war sie zu Tode betrübt und trainierte umso härter.

      Und dann war Johannes einfach ausgestiegen, verkündete von einem Tag auf den anderen, er habe keinen Bock mehr auf den ganzen Stress und man könne mit einem Pferd ja schließlich auch andere Sachen machen, als von einem Turnier zum anderen zu hetzen.

      Paula war geschockt gewesen, sie fühlte sich verraten und verlassen. Doch wenn sie ehrlich war, hatte sie Johannes auf den Turnieren damals schon lange nicht mehr an ihrer Seite wahrgenommen. Ihre Augen waren nur auf eines gerichtet gewesen. Auf den Sieg und auf ihr großes Ziel Olympia.

      Den Ponys waren sie ohnehin entwachsen, und Johannes entschied sich damals für den Quarterwallach Easy Joe, während Paula den 8-jährigen Hannoveraner Bogart bekam, mit dem sie sich in den vergangenen vier Jahren durch unermüdlichen Fleiß und hartes Training einen Namen als Vielseitigkeitstalent gemacht hatte.

      Johannes dagegen sattelte um auf Westernreiten und probierte sich mit Joe in allen möglichen Disziplinen aus, blieb schließlich beim »Trail« hängen, einer Gehorsams- und Geschicklichkeitsprüfung für Geländepferde, wo es in einer vorgeschriebenen Zeit über simulierte Geländeschwierigkeiten wie Tor, Brücke, Bodenstangen oder Wippe ging.

      »Vielseitigkeit für Faule« hatte Paula es immer scherzhaft genannt, doch als sie nun sah, wie Johannes aus dem Sattel in harmonischer Eleganz mit Joe das Tor vom Reitplatz öffnete, hindurchging und es wieder schloss, sehnte sich etwas in ihr für einen Moment nach so einem entspannten Miteinander, das sie in dieser Form mit ihrem Pferd noch nie erlebt hatte. Sie und Bogart hatten ein gutes Arbeitsverhältnis, sie war immer fair zu ihrem Pferd gewesen, doch ihre Ausrichtung war nicht die Beziehung zwischen ihnen gewesen, sondern dass Bogart die Leistung erbrachte, die sie von ihm verlangte. Saß der Schock über das, was geschehen war, vielleicht deshalb jetzt so tief?

      Paula trottete hinter Johannes her, als er Joe zum Absatteln in den Stall führte, und setzte sich auf einen umgedrehten Eimer.

      »Hey, kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«, raunte ihr Bruder ihr zu.

      »Klar«, antwortete Paula.

      »Mama überlegt schon länger, dass sie nicht nur Kutsche fahren, sondern auch wieder selbst reiten will. Einfach ganz entspannt durch die Gegend zockeln. Aber die Friesen sind ihr zu groß. Und sind ja auch nicht mehr die jüngsten. Sie hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, ihr Joe zu überlassen.«

      »Du willst ihn an Mama abgeben?«, gab Paula irritiert zurück.

      »Joe wäre ideal für sie. Er ist super ausgebildet und lammfromm.«

      Paula kannte ihren großen Bruder gut genug, um zu wissen, dass er nicht einfach so den barmherzigen Samariter spielte.

      Sie fixierte ihn. »Und was springt für dich dabei raus?«

      Johannes hockte sich neben seine Schwester. Seine Augen blitzten.

      »Ich habe große Pläne. Und dafür brauche ich ein neues Pferd.«

      »Sag mal, spinnst du jetzt? Du kannst doch nicht einfach die Pferde tauschen wie Kleider. Und wer soll das überhaupt bezahlen?«

      »Sagen wir einfach, es ist eine Win-win-Situation. Also, hier ist das Geheimnis: Mama hat von Tante Luise ein bisschen was geerbt unter der Auflage, dass sie sich damit etwas Gutes tut. Sie will sich ein Reitpferd schenken. Und wenn ich ihr Joe abgebe, tut sie im Gegenzug mir etwas Gutes und schenkt mir ein neues Pferd.«

      Paula merkte, dass sie stocksauer wurde. Das war wieder typisch, dass Johannes und ihre Mutter gemeinsame Sache machten und sie als Letzte davon erfuhr.

      »Und wo ist da jetzt das Geheimnis, wenn alle es schon wissen?«, schnappte sie.

      Johannes blickte sie treuherzig an. »Papa weiß es noch nicht. Und ich habe gedacht, wenn ich dich in unseren Plan einweihe, könntest du vielleicht ein gutes Wort für mich bei Papa einlegen.«

      Paula seufzte. So waren eben die Rollen in ihrer Familie verteilt, Johannes der Mamasohn und sie die Papatochter. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Ich helfe dir, wenn du mir hilfst«, gab sie zurück.

      Johannes blickte sie aufmerksam an und Paula fuhr fort. »Ich bin in einer totalen Zwickmühle mit Bogart. Ich würde ihn um nichts in der Welt abgeben, denn den Gedanken, dass er unter einem anderen Reiter Turniere geht, ertrage ich einfach nicht. Aber ich kann ihn auch nicht mehr selbst reiten. Da ist irgendwas total blockiert. Wenn Mama Joe übernimmt, dann könnte Papa Bogart als sein Pferd nehmen. Dann ist allen geholfen. Du kriegst dein neues Pferd, Mama und Papa reiten entspannt in der Gegend rum und ich bin meine blöden Gefühle gegenüber Bogart los. Er kann hierbleiben und hat eine neue Aufgabe, die nichts mit mir zu tun hat.«

      »Das ist ein Deal«, nickte Johannes. »Ich arbeite an Mama, dass sie Papa Reiten statt Kutsche fahren schmackhaft macht, und du arbeitest an Papa, dass er unserem großen Pferdetausch zustimmt.«

      »Ich sehe nicht, warum er etwas dagegen haben sollte. Platz ist genug da, Wiesen und Heu haben wir auch genug, und wenn Mama es dir bezahlt …«, gab Paula zurück. Sie blickte Johannes an. »Jetzt bin ich aber doch neugierig. Was hast du denn für tolle Pläne und was für ein Pferd brauchst du dazu?«

      »Wird noch nicht verraten, aber sobald ich alle Facts beisammenhabe, erzähle ich es dir als Erste.«

      7.

      Paula


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