Heart to heart. Alexia Meyer Kahlen

Heart to heart - Alexia Meyer Kahlen


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Ihr altes Reitpony Kaya hob sofort den Kopf und blickte zu ihr herüber. Bogart blieb mit seinem Kopf im Gras.

      Das war ihr vorher noch nie bewusst aufgefallen. Kaya nahm sie immer wahr, wenn sie auf die Weide kam, egal, wie gut ihr das Gras schmeckte. Sie hatte sie bekommen, als sie fünf war, und in den ersten Jahren hatte Paula jede freie Minute mit ihrem Pony verbracht, nicht nur wenn sie sie ritt. Sie waren zusammen spazieren gegangen, hatten im Fluss geplanscht, und im Sommer hatte sie ihre Hausaufgaben immer auf der Weide gemacht, während Kaya neben ihr graste. Sie war irgendwie ihre beste Freundin gewesen, der sie alles anvertraut hatte und die ihr das Gefühl gab, sie wirklich zu verstehen.

      Irgendwann, als sie älter wurde, war das in den Hintergrund getreten, und es war mehr um ihre Erfolge auf den Ponywettbewerben gegangen. Aber auch da hatte sie die Platzierungen und Siege immer stolz mit Kaya geteilt. Sie waren auf einer tiefen Ebene einfach fraglos verbunden.

      Paula blickte zu Bogart hinüber, der sie immer noch nicht wahrnahm. Oder wahrnehmen wollte? Sie hatten den Wallach damals nach seinen Anlagen ausgesucht, er war gekauft worden als ein junges, vielversprechendes Turnierpferd. Das war von Anfang an die Natur ihrer Beziehung gewesen. Freundlich, fair, leistungsorientiert.

      Unter dem Sattel hatten sie eine feine Verbindung, und Paula wusste, dass sie sich in Prüfungen hundert Prozent auf ihn verlassen konnte. Aber darüber hinaus gab es einfach keine Verbindung zwischen ihnen, das wurde ihr jetzt schmerzlich bewusst.

      Sie schlüpfte unter dem Zaun hindurch auf die Weide und ging zu Bogart hinüber. Als sie sich näherte, hob er den Kopf und blickte sie an, als wolle er sagen: Was brauchst du heute von mir? Was kann ich für dich tun?

      Sie strich über seine Mähne. Er war ein gutes Pferd. Johannes hatte recht. Viel zu jung, um in den Ruhestand zu gehen.

      Ihr Kopf sagte: Behalte ihn. Versuch es noch mal. Du hast so viel in ihn reingesteckt. Er ist deine einzige Chance, deinen Traum doch noch zu leben.

      Doch ganz tief in ihr verborgen wusste ihr Herz, dass es so nicht weiterging. Nicht wegen ihrer Angst, sondern weil sie vage spürte, dass etwas zwischen ihnen fehlte. Immer gefehlt hatte. Der Unfall hatte es nur schmerzlich ans Licht gebracht.

      Paula sah plötzlich mit großer Klarheit, dass ihr Weg mit Bogart zu Ende war. Er hatte seine Aufgabe in ihrem Leben erfüllt, und wenn diese nur darin lag, sie genau an diesen Punkt zu bringen. Keine Ahnung, ob und wie es weiterging. Aber so nicht.

      »Danke, du Lieber. Danke für alles, was ich durch dich lernen durfte«, flüsterte sie.

      Als verstehe er ihre Worte, berührte Bogart mit seinen Nüstern sanft ihre Wange. Plötzlich war sie da, diese Verbundenheit, die sie mit Kaya so fraglos teilte. Und die zwischen ihnen immer gefehlt hatte. Sie zögerte kurz. Gab es vielleicht doch noch einen Weg für sie beide?

      »Lass ihn gehen«, sagte eine innere Stimme.

      Paula atmete tief aus. Ja, sie musste ihn freigeben. Alles andere wäre nicht fair.

      »Du wirst mit Papa eine gute Zeit haben. Ein schönes Pferdeleben. Viel entspannter als mit mir«, flüsterte sie ihm zu und musste ein bisschen lächeln. »Definitiv entspannter.«

      Sie strich ihm noch mal über den Rücken. Dann wandte sie sich um und verließ die Weide, ohne sich noch mal umzublicken.

      Johannes passte sie ab, bevor sie ins Haus ging. Ihm war anzusehen, dass er es vor Spannung kaum aushielt.

      »Und?«

      »Verräter«, gab Paula zurück.

      »Wieso bin ich ein Verräter?« Johannes konnte gucken wie die Unschuld in Person.

      »Du hast gesagt, dass ich die Erste bin, die von deinen Plänen erfährt. Und jetzt muss ich es von Papa hören«, gab Paula zurück.

      »Sorry.« Er blickte zerknirscht auf den Boden. »Es gab gestern einfach die perfekte Gelegenheit, da musste ich es tun.«

      Schnell schob er hinterher: »Hast du ihm das mit Bogart verklickert?«

      Paula schwieg. Sollte er ruhig ein bisschen zappeln.

      »Okay, dann sage ich dir zuerst, was ich rausgefunden habe. Mama und Papa wollen …«

      »Weiß ich alles schon«, unterbrach Paula ihn.

      Johannes blickte sie überrascht an. »Also, wenn du es von Papa weißt, dann ist ja alles klar. Ich meine, dann weiß ja jetzt jeder alles.«

      Paula verdrehte die Augen »Du machst mich wahnsinnig mit deinen komplizierten Manövern.«

      »Schwesterherz, das nennt man Diplomatie«, grinste Johannes. »Und nun bin ich bereit, Phase 2 meines großen Plans zu launchen.«

      »Zu was?«

      »Launchen. Der Welt zu verkünden.«

      Paula musste unwillkürlich über ihren Bruder lachen. »Und das wäre?«

      »Ganz im Ernst jetzt«, antwortete Johannes. »Ich merke schon länger, dass mich das Trailreiten mit Joe nicht mehr reizt. Du kennst mich doch. Ich brauche immer neue Herausforderungen. Und was mich total fasziniert, ist, mit einem Pferd frei zu kommunizieren. So eine Verbindung aufzubauen, dass du dich vom Boden aus oder auch vom Pferderücken ohne merkliche Hilfen und auch ohne Hilfsmittel verständigen kannst.«

      Paula blickte ihren Bruder fragend an. »Wieso brauchst du dazu ein neues Pferd? Du hast doch mit Joe schon eine total gute Verständigung.«

      Johannes schüttelte den Kopf. »Da ist noch was ganz anderes möglich, das spüre ich. Ich will mit einem jungen Pferd arbeiten, das noch frisch im Kopf ist. Es von Anfang an ganz auf mich einstellen.« Er grinste breit. »Und dann ein Showprogramm machen, mit dem ich in den großen Arenen der Pferdewelt auftrete.«

      »Du hast einen Knall«, gab Paula zurück. »Und den Teil mit den großen Arenen würde ich Papa nicht erzählen, der rechnet nämlich fest damit, dass du bei ihm einsteigst.«

      Johannes machte eine Geste, als verneige er sich vor einem großen Publikum. »Johannes Lippold – Schmied und Showman«.

      Paula gab ihm einen Schubs. »Du Träumer. Werde endlich erwachsen!«

      Frank Lippold hatte für den Samstagabend eine Familienkonferenz einberufen. Paula hatte ihrem Vater noch am selben Abend von der Begegnung mit Bogart auf der Weide erzählt und was sie für sich verstanden hatte. Das erste Mal seit Wochen fühlte sie sich ums Herz etwas leichter. Hatte das mit ihrem Entschluss zu tun, Bogart gehen zu lassen?

      Nachdem der Abendbrottisch abgeräumt war, ergriff der Vater das Wort. »Die letzten Wochen waren durch Paulas Unfall für uns alle nicht einfach. Und auch bei Johannes gibt es zum Sommer ja einen großen Umbruch. Am Ende sitzen Mama und ich hier allein mit einem Haufen Pferde, die versorgt werden wollen. Ich würde deshalb jetzt gerne von meinen Kindern wissen, wie ihr euch eure Zukunft mit oder ohne Pferd vorstellt, sodass wir planen können. Mamas Erbschaft gibt uns finanziell einen kleinen Spielraum und wir wollen euch daran teilhaben lassen.«

      »Also, ich bin raus«, ergriff Paula als Erste das Wort.

      Einen Moment erfüllte betretenes Schweigen den Raum.

      »Liebes, du hast noch so viele Chancen, deine Träume zu verwirklichen …«, versuchte die Mutter, ihr zuzureden.

      »Bitte, Mama«, unterbrach Paula sie. Sie fühlte sich so klar wie lange nicht mehr. »Ich brauche einfach Zeit, muss alles neu sortieren. Ich bin total froh, dass Papa mit Bogart weitermacht, und mehr weiß ich im Moment nicht.«

      »Danke, Paula«, schaltete sich der Vater ein. »Für dich erwarten wir also in absehbarer Zeit erst mal kein Pferd auf dem Hof.« Er wandte sich an seinen Sohn. »Johannes? Was sind deine Pläne?«

      Johannes räusperte sich. Für seine Verhältnisse war er ungewöhnlich ernst. »Ich will noch mal ganz neu anfangen. Ich meine damit nicht nur meinen Beruf als Schmied, sondern auch die Pferde. Ich weiß, dass ich es in mir habe, ganz frei mit Pferden zu kommunizieren und zu arbeiten. Ich will


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