Heart to heart. Alexia Meyer Kahlen
Wohnküche das Mittagessen zuzubereiten. Paula stellte ihre Schultasche ab und wollte gleich auf ihr Zimmer verschwinden, doch die Mutter hielt sie zurück.
»Ich habe das Gefühl, ich sehe dich kaum noch und wir reden auch gar nicht mehr.«
»Mir ist gerade nicht so nach Reden«, wich Paula aus.
Die Mutter ignorierte ihren Einwand und zog sie neben sich auf einen Stuhl. »Paula, du weißt, dass Papa und ich deine Entscheidung in Bezug auf das Reiten vollkommen akzeptieren. Bogart ist dein Pferd, du kannst mit ihm tun oder lassen, was du willst. Aber es tut mir weh zu sehen, wie du um die Pferde hier am Hof einen großen Bogen machst. Du bist doch gar nicht mehr du selbst! Wo ist meine kleine Paula, die praktisch in einer Pferdebox groß geworden ist, die wir schon als Kleinkind nur auf ein Pferd setzen mussten, wenn sie geschrien hat oder nicht einschlafen konnte, und die sich dann sofort beruhigt hat, deren Augen geleuchtet haben, wenn sie jede freie Minute draußen bei den Pferden sein konnte. Wo ist diese Paula geblieben?«
Bei den Worten ihrer Mutter spürte Paula plötzlich eine tiefe Traurigkeit. »Ich weiß nicht, wo sie geblieben ist, Mama. Ich weiß es nicht«, flüsterte sie. Und fügte hinzu: »Vielleicht habe ich sie ja schon lange vor dem Unfall verloren.«
»Darf ich dich in den Arm nehmen?«, fragte die Mutter sanft und Paula nickte.
Für einen Moment genoss sie in den Armen der Mutter einfach das Gefühl, dass alles gut war. Hier und jetzt war alles gut. Doch einen Augenblick später war die lauernde Angst wieder da und Paula machte sich steif. »Ich muss jetzt wirklich auf mein Zimmer, Hausaufgaben machen.«
Ihre Mutter blickte zur Schultasche hinüber, die Paula in der Küchenecke stehen gelassen hatte.
Paula atmete tief aus. »Ich will einfach nur allein sein, okay?«
»Ich glaube nicht, dass dir das guttut, Paula. Du igelst dich ein, kapselst dich ab, weichst aus. So bekommst du das nicht in den Griff. Was hältst du davon, vielleicht doch eine Art Therapie zu machen, um die Folgen des Unfalls zu verarbeiten?«
»Niemals«, stieß Paula aus. »Ich bin nicht psycho. Ich will einfach nur meine Ruhe haben.«
Sie sprang auf und rannte in ihr Zimmer.
Jeder in der Familie schien sich dieser Tage besonders um sie zu bemühen und Paula hasste das. Als ihr Vater sie ein paar Tage später fragte, ob sie mit ihm nicht mal wieder eine schöne Kutschfahrt machen wollte, hätte sie am liebsten ausgerufen: »Nicht auch noch du, Papa!«
Doch dann erinnerte sie sich an die Abmachung mit Johannes. Vielleicht war das ja eine gute Gelegenheit, mit ihm in Ruhe über den großen Pferdetauschplan zu sprechen, wie sie und Johannes ihn insgeheim nannten.
Es war ein prachtvoller Frühlingsnachmittag, und Paula überwand sich, mit ihrem Vater die beiden Friesen Aaron und Caius zu putzen und ihm beim Anschirren zu helfen.
Dann kletterte sie neben ihn auf den Kutschbock und es ging los.
Ihr Vater bohrte nicht in ihr rum, wie Johannes oder die Mutter. Da war eine Verbindung zwischen ihnen, die Paula guttat. Nachdem sie einige Zeit einfach nur dem rhythmischen Klang der Pferdehufe gelauscht hatte, spürte sie, dass sie sich ruhiger fühlte, fast schon ein bisschen glücklich.
»Johannes ist ja im Sommer mit der Schule fertig«, begann ihr Vater plötzlich aus heiterem Himmel ein Gespräch.
Paula nickte.
»Er hat mir gesagt, dass er auch das Schmiedehandwerk ergreifen will«, fuhr ihr Vater fort. »Das macht mich natürlich stolz und froh. Auf unserem Hof wird die Schmiedekunst dann in der vierten Generation weitergetragen.«
Paula riss überrascht die Augen auf. »Also, ich habe in den vergangenen Monaten viele Berufsideen von Johannes gehört, aber Schmied war nicht darunter«, gab sie zurück. »Aber wenn das so ist, dann freue ich mich natürlich für ihn«, setzte sie schnell hinzu. »Und für dich, Papa. Ich weiß, wie viel dir das bedeutet. Und diesen Wunsch kann ich dir leider nicht erfüllen.«
»Ach, meine Paula.« Der Vater legte einen Arm um sie. »Das musst du doch auch nicht. Ich will nur, dass du glücklich bist.«
Paula versuchte schnell, das Thema von sich wieder auf Johannes zu lenken.
»Hat er sonst noch was gesagt?«, fragte sie nach.
Ihr Vater zuckte mit den Schultern. »Wir haben besprochen, dass er in eine auswärtige Lehrschmiede geht, wie ich selbst, mein Vater und mein Großvater das auch schon getan haben. Wenn er sein Handwerk gelernt hat, kommt er zurück und steigt hier mit ein, Arbeit ist ja genug da.«
Ein Stich durchfuhr Paula. Johannes würde weggehen. »Und was will er mit Easy Joe machen? Lässt er ihn hier stehen oder nimmt er ihn mit?«, fragte sie betont nebensächlich.
»Hmmm, das ist die Frage«, gab ihr Vater zurück. Paula wartete, ob noch etwas von ihm kam. Das war eine Steilvorlage, um über den großen Pferdetauschplan zu sprechen. Auch wenn sie sich gerade etwas ärgerte, dass Johannes sie in seine Pläne, Schmied zu werden, nicht eingeweiht hatte.
Die Friesen schritten entspannt im Schritt an der Kuhweide des Biobauern vorbei. Paula gab sich einen Ruck.
»Papa, ich wollte schon länger mal mit dir über Bogart reden.« Sie spürte, wie ihr Herz zu klopfen begann, und zwang sich, einfach weiterzureden. »Ich kann ihn nicht abgeben. Aber ich kann ihn auch nicht mehr reiten. Das Vertrauen ist einfach nicht mehr da.«
Ihr Vater hörte ihr ruhig zu.
»Und ich habe gedacht, dass du ihn vielleicht als Reitpferd übernehmen könntest. Also, n-natürlich nur, wenn du das willst«, brachte Paula stotternd hervor und kam sich dabei total blöd vor.
Ihr Vater sagte nichts, aber mit einem schnellen Seitenblick sah Paula ein feines Lächeln auf seinem Gesicht.
»Du weiß es schon?«, fragte sie vorsichtig.
»Mama und ich haben gesprochen. Wir beide denken schon länger daran, vom Kutschbock wieder in den Sattel zu steigen. Mama will einfach nur so ein bisschen freizeitreiten, aber ich kann mir durchaus vorstellen, bei Geländeritten mitzumachen, vielleicht sogar die eine oder andere Jagd zu reiten. Da wäre ein gut ausgebildetes Vielseitigkeitspferd wie Bogart ideal.«
War das jetzt wahr? Lief sie mit ihrer Idee bei ihrem Vater wirklich weit offene Türen ein?
»Heißt das, du kannst dir echt vorstellen, Bogart zu übernehmen?«, hakte Paula noch mal nach.
»Die Frage ist eher: Kannst du dir vorstellen, Bogart wirklich abzugeben? Denn genau darüber wollte ich mit dir reden«, gab ihr Vater zurück.
Hier war er nun, der Ausweg aus der schmerzhaften Zwickmühle, in der Paula sich seit ihrem Unfall befand. Doch jetzt, wo die Lösung sozusagen auf einem Silbertablett vor ihr lag, zögerte sie. So viel Arbeit hatte sie in die Ausbildung von Bogart gesteckt, um ihn an den Punkt zu bringen, wo er jetzt war. Wenn sie ihn abgab, würde sich die Tür zu ihrem großen Traum endgültig schließen. Denn ein neues geeignetes Pferd zu finden und auf den Stand zu bringen, würde Jahre dauern. Und dann war der Zug mit dem Jugendperspektivkader endgültig abgefahren. Oder war er das vielleicht sowieso schon?
Zum ersten Mal seit dem Unfall wagte Paula, sich diese Frage zu stellen. Und es tat weh. Denn sie konnte spüren, dass unter all dem Nebel, in den sie sich in den vergangenen Wochen gehüllt hatte, ihre Leidenschaft noch brannte. Für Pferde, für die Vielseitigkeit und ja, auch für ihren großen Traum von Olympia.
»Ich brauche noch etwas Zeit«, flüsterte sie.
»Alle Zeit der Welt, mein Engel«, gab ihr Vater zurück und drückte Paula. »Du hast alle Zeit der Welt.«
Nachdem sie mit ihrem Vater Aaron und Caius versorgt hatte, beschloss Paula spontan, zu Bogart auf die Weide zu gehen.
Die Frage, die ihr Vater ihr gestellt hatte, wollte sie nicht mehr loslassen: »Kannst du dir vorstellen, Bogart wirklich abzugeben?«
Konnte sie das? Wollte sie das? Mit