Sprache als psychotherapeutische Intervention. Steven C. Hayes
alt="image"/> Kap. 8). Die Therapeutin kann Regeln auch nutzen, um den Erwerb von Fertigkeiten durch Erfahrung zu fördern. Diese Regeln enthalten dann ein Gegenmittel gegen fehlangepasste mangelnde Kontextsensitivität. Beispielsweise beschreibt die Regel »Achten Sie auf die Auswirkungen Ihres Verhaltens, um bessere Entscheidungen zu treffen!« ein übergreifendes Prinzip, das die Bedeutung von Erfahrung betont und damit die Aufmerksamkeit auf die Kontingenzen fördert, die für hilfreiche Entscheidungen relevant sind ( Kap. 9).
2.6.5 Das Gehirn hat keine Reset Taste
»Verlernen« ist kein bekannter psychologischer Prozess. Es gibt viele Lernprozesse, die Verhalten abschwächen (z. B. Vergessen oder Extinktion). Symbolische Netzwerke sind ein Ergebnis der individuellen Lerngeschichte. Sie entwickelt sich durch Hinzufügen, nicht durch Wegnehmen. Menschen können vergessene Dinge schneller wieder erlernen als vollkommen neue Dinge. Extinktion funktioniert durch Inhibition von Lernen, neuem Lernen oder Flexibilität von Verhalten, nicht jedoch durch Verlernen. Dieses Prinzip ist besonders wichtig, wenn es um Gedanken geht (d. h. symbolische Beziehungen), weil Ableitungsprozesse die Inhibition von Denken schwieriger machen als die Inhibition anderen Verhaltens. Es ist möglich, das Gehen oder Essen für Stunden zu inhibieren, aber es ist unmöglich, dasselbe mit dem Denken zu tun. Das bedeutet nicht, dass Menschen ihr Denken nicht steuern können. Es ist beispielsweise möglich, absichtlich an etwas Bestimmtes zu denken. Aber es ist unmöglich, sich auf diesen einen Gedanken über einen langen Zeitraum hinweg zu konzentrieren, denn das würde erfordern, dauerhaft andere Gedanken zu unterdrücken.
Deshalb kann es in der Psychotherapie nicht darum gehen, eine symbolische Beziehung zu löschen, wenn sie für ein psychologisches Problem verantwortlich ist. Vielmehr geht es darum, die relative Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass die Patientin sie anwendet. Therapie strebt an, den Einfluss der symbolischen Beziehung auf das Verhalten zu beschränken, beispielsweise indem sie andere, hilfreichere symbolische Beziehungen stärkt. Psychotherapeutische Methoden arbeiten darauf hin, im Bereich der symbolischen Beziehungen den Kontext des Denkens zu verändern. Sie nutzen Hinweisreize, um neue Beziehungen herzustellen oder die Funktionen bestehender Beziehungen zu transformieren. Es ist daher während der psychotherapeutischen Arbeit wichtig, beide Prozesse zu beachten. Das verhindert, dass Therapeutinnen oder Patientinnen die Funktionen beim Versuch der Veränderung symbolischer Netzwerke versehentlich auf eine ungünstige Art verändern. Das Ziel von Interventionen ist nicht das Vorhandensein oder die absolute Abwesenheit eines bestimmten Gedankens, sondern die Fähigkeit, das eigene Denken so zu lenken, dass durch einen kumulativen und integrativen Prozess nützliche symbolische Beziehungen entstehen. Für das Verständnis von Psychopathologie ist es wichtig zu bedenken, dass Patienten aus nachvollziehbaren Gründen nach der Reset Taste suchen, um sie anzuwenden. So versuchen viele, ein Trauma zu vergessen oder einen bewertenden Gedanken zu unterdrücken. Dies führt zur letzten allgemeinen Schlussfolgerung dieses Kapitels.
2.6.6 Es ist nicht logisch, es ist psycho-logisch
Das symbolische Verhalten des Menschen ist die Grundlage menschlicher Logik. Symbolische Handlungen sind jedoch nicht einfach nur logisch. Sie sind psychologisch.
Um diese Idee besser zu verstehen, nehmen Sie einmal an, dass Sie zunächst glauben, A bewirkt B. Später kommen Sie zu dem sicheren Schluss, dass A doch nicht B bewirkt. Aus logischer Sicht ist der Gedanke hier zu Ende. A bewirkt nicht B. Aus der psychologischen Sicht ist dies nicht ganz so einfach, auch wenn Sie jetzt tatsächlich glauben, dass A nicht B bewirkt. Teilweise beruht dies darauf, dass die Beziehung zwischen A und B ein erlerntes Verhalten ist, und Erlerntes fortbesteht. Beispielsweise glaubt ein Kind, sein Vater sei aus dem Grund gestorben, weil es kurz vor seinem Tod gedacht hat: »Ich wünsche mir, dass er stirbt«. Sogar wenn man dem Kind erklärt, dass diese Schlussfolgerung nicht den Tatsachen entspricht, kann es an dem Gedanken festhalten, es sei schuldig. Es gibt keine Löschfunktion – das Verhalten (der Gedanke »Ich war es«) wird stets mit einer gewissen Stärke in seinem Repertoire vorhanden sein. Es fühlt sich möglicherweise weiterhin schuldig. Es vermeidet Erinnerungen an den Vater. Viele Dinge erscheinen im weiteren Umgang mit diesem beunruhigenden Gedanken erst einmal folgerichtig oder schlüssig: sich damit auseinandersetzen, sich davon ablenken; Rückversicherung von anderen suchen; Auslöser vermeiden, die zu diesem Gedanken führen. Sie erhöhen aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den Einfluss und die Häufigkeit des Gedankens sogar noch. Um Kohärenz wiederherzustellen, ohne den Gedanken zu löschen, muss die Geschichte des Kindes in die Analyse der Situation mit einbezogen werden: Es hatte einst den Gedanken, es sei für den Tod des Vaters verantwortlich. Da Gedanken nicht gelöscht werden können, ergibt es Sinn, dass es auch heute noch denkt, es sei verantwortlich.
Es gibt einen weiteren Grund, warum Therapeuten vorsichtig im Umgang mit Kohärenz sein müssen: Kohärenz per se ist kein Garant für Wohlbefinden. Man kann logische Antworten auf existentielle Fragen finden, und trotzdem unglücklich sein. Stellen Sie sich eine Mutter vor, deren Kind bei einem Autounfall mit ihr am Steuer verletzt wurde. Wenn sie über dieses Ereignis nachdenkt, sagt sie sich: »Ich bin verantwortlich für seine Verletzungen«. Unabhängig von den genauen Umständen des Unfalls wird es immer möglich sein, eine kohärente Begründung für diesen Gedanken zu finden. Wenn sie zu schnell gefahren ist, klingt es logisch zu schussfolgern, dass sie tatsächlich verantwortlich ist. Aber sogar dann, wenn sie vorsichtig gefahren ist, ist dies möglich. Sie hätte an dem Tag eine andere Strecke fahren können, oder sie hätte dem anderen Fahrzeug ausweichen können, wenn sie aufmerksamer gewesen wäre, usw. Kohärenz ist leicht zu finden, sie kann aber nutzlos oder schädlich sein, wenn sie nicht zu effektivem Verhalten führt. Psychologische Interventionen können sich daher nicht an einer beliebigen Form von Kohärenz orientieren. Sie brauchen Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit in Bezug auf ein damit in Verbindung stehendes Ziel, d. h. eine Form von funktionaler Kohärenz.
Das symbolische Verhalten des Menschen ist ein zweischneidiges Schwert – es beeinflusst menschliches Handeln im Guten wie im Schlechten. Es kann die Sensitivität für den Zusammenhang zwischen Verhalten und seinen Konsequenzen erhöhen oder verringern. Es kann Veränderung fördern oder Menschen in ineffektiven Strategien verharren lassen. Es kann bei Problemlösungen helfen oder das Leben als etwas erscheinen lassen, das erst dann beginnt, wenn alle Probleme gelöst sind. Es kann Menschen dabei unterstützen, sich ihrer Werte bewusst zu sein und sie mit Hingabe zu verfolgen. Es kann Menschen aber auch dazu bringen, nutzlos über die unglückliche Vergangenheit zu grübeln oder sich angstvoll um die Zukunft zu sorgen.
2.7 Zusammenfassung des Kapitels
Dieses Kapitel untersucht die Auswirkungen der Relational Frame Theory auf das Verständnis von Psychopathologie. Hier die Zusammenfassung der wichtigen Schlüsselelemente:
• Flexibilität und die flüssige Herstellung von Bezugsrahmen stehen in Zusammenhang mit vielen für den Menschen wichtigen Funktionsbereichen und sind entscheidend für psychische Gesundheit. Dazu gehören Perspektivübernahme, Empathie, Problemlösestrategien und das Treffen von Analogieschlüssen.
• Die Fähigkeit, symbolische Beziehungen herzustellen, macht alles zu einer potentiellen Quelle von Schmerz. Sogar positive Erfahrungen können wegen der bidirektionalen Natur von Beziehungen Leid erzeugen. Sobald Menschen wissen, was sie wollen, wissen sie auch, was sie nicht haben. Wenn Menschen etwas finden, das sie glücklich macht, leben sie mit der Angst vor Verlust.
• Alle Lebewesen vermeiden Quellen von Schmerz und Gefahr. Menschen tun dasselbe mit symbolischen Bedrohungen. Vermeidung ist im Bereich intrinsischer Gefahren grundsätzlich hilfreich (z. B. mit der Hand nicht auf eine heiße Herdplatte zu fassen). Dagegen ist es fast unmöglich, symbolische Quellen von Schmerz vollständig und langfristig zu vermeiden, weil sie durch abgeleitete Beziehungen stets erneut auftauchen (z. B. kann ein lustiger Film, der zur Vermeidung von Traurigkeit angesehen wird, den Gedanken auslösen: »Wenn der Film zu Ende ist, werde ich wieder traurig