Nibelar - Die Gruft. Christine Troy

Nibelar - Die Gruft - Christine Troy


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Stadttor passiert werden konnte.

      „Habt ihr gesehen?“, fragte Saruna, als sie die Tiere auf den Feldweg hinausführten. „Am Tor standen Wachen, zwei Stück, und wenn ich das richtig gesehen habe, waren sie schwer bewaffnet.“

      „Ja, das ist mir auch aufgefallen“, pflichtete Raja ihr bei. „Seltsam, ich kann mich nicht erinnern, je in Miragon auf Wachposten an den Toren gestoßen zu sein.“

      „Vielleicht haben sie ja von den jüngsten Vorfällen in Walgerad gehört“, meinte Taluas.

      „Nein, das glaube ich nicht, das Volk der Feuerelfen lebt äußerst zurückgezogen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Miraner etwas vom Angriff auf Walgerad erfahren haben“, mischte sich Gweldon ein. „Ich würde eher vermuten“, fuhr er fort und ließ den Blick über die reich bestellten Felder schweifen, die sich, soweit das Auge reichte, in grünen und gelben Farbteppichen erstreckten, „dass sich hier in der Umgebung etwas zugetragen hat, das die Bewohner in Angst und Schrecken versetzt.“

      „Wie kommst du darauf?“ Taluas klang skeptisch.

      Gweldon zuckte die Schultern. „Ist einfach so ein Gefühl.“

      Endlich mündete ihr Feldweg in eine große, mit Steinen gepflasterte Straße, die nach Miragon führte. Saruna schluckte, irgendwie war ihr seltsam zumute. Vermutlich lag es daran, dass sie in wenigen Minuten ihren so schmerzlich vermissten Zemeas wiedersehen würde. Beim Gedanken an den Jäger verkrampfte sich ihr Magen und ihr Herz brannte, als stünde es in Flammen. Dieser Feuerelf hatte ihr wirklich den Kopf verdreht. Noch nie hatte sie für irgendjemand anderen ähnliche Gefühle gehegt. Ihre Handflächen wurden feucht und ihr Mund mit jedem Schritt, mit dem sie dem großen Tor näher kam, trockener. Plötzlich war sich die junge Frau nicht mehr so sicher, dass dieses brennende Gefühl in ihrer Brust Zemeas zu verdanken war.

      Nein, etwas anderes, irgendwie Unangenehmes schien sich in ihr breitzumachen. Saruna drückte die gefalteten Hände an ihre Brust, es war Angst! Hilfe suchend sprang ihr Blick hoch zu Gweldon, der neben ihr herging. Er hatte die Aufregung, die in seiner Schwester aufkeimte, bereits bemerkt.

      Besorgt zog er die Brauen kraus. „Was ist, was hast du?“

      „Fühlst du es denn nicht?“, flüsterte die blasse Schönheit.

      „Nein, warum? Und vor allem, was soll ich denn fühlen?“, fragte der Alchemist mit gedämpfter Stimme.

      „Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich kann es nicht erklären, aber es macht mir Angst.“

      „Keine Sorge, das ist bestimmt die Aufregung, oder ist es etwa die Vorfreude auf Zemeas?“ Gweldon hob eine Braue und sah seine Schwester mit gespielter Strenge an. Noch vor elf Tagen hatte er ein Problem damit gehabt, dass sich seine Schwester, seine kleine, süße Schwester in den stattlichen Feuerelfen verliebt hatte. Doch heute hatte er die Tatsache, dass die beiden zusammengehörten, akzeptiert. Gweldon wusste, dass Zemeas ein anständiger und ehrbarer Feuerelf war. Solange er lebte, würde er gut auf seine Saruna achtgeben und sie, falls nötig, mit dem Leben beschützen. Noch dazu musste Gweldon zugeben, dass Zemeas ihm in der letzten Zeit zu einem guten und treuen Freund geworden war.

      Während sich auf den Zügen des Alchemisten ein gedankenverlorenes Lächeln ausbreitete, verengten sich Sarunas Augen zu Schlitzen. „Du wirst schon sehen“, sagte sie so leise, dass es nur ihr Bruder hören konnte. „Irgendetwas stimmt hier nicht.“

      Schweigend und unter den klackernden Schritten der Felsschwingen erreichten sie den Eingang. Die Wachmänner am Tor beäugten die Neuankömmlinge, vor allem aber deren geflügelte Böcke interessiert.

      Entschlossen trat einer der beiden aus seiner Position und stellte sich den Freunden in den Weg. „Halt, wer seid ihr und was führt euch nach Miragon?“

      „Meine Name ist Taluas, dies sind Gweldon, seine Schwester Saruna und König Algars Nichte Raja.“

      „Und? Was wollt ihr in Miragon?“

      „Wir sind auf der Durchreise und hier, um im Gasthaus zu nächtigen.“

      „Welches Gasthaus?“

      „Zum Brennenden Busch.“

      Der Pförtner rieb sich das stoppelige Kinn. „Und morgen wollt ihr also wieder abreisen?“

      „So ist es.“

      „Und wo, wenn man fragen darf, soll es dann hingehen?“

      „Ich befürchte, mein Herr, das geht Euch nichts an.“

      Ein überhebliches Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Wachmanns aus. „Wie ihr meint. Thore!“ Er winkte seinen Kameraden zu sich. „Begleite diese Herrschaften zum Brennenden Busch.“

      „Das ist nicht notwendig, wir kennen den Weg“, versicherte Gweldon.

      Der Pförtner rümpfte die Nase und spie neben sich auf den Boden. „Mir egal, ob du den Weg kennst, Elf. Thore wird euch begleiten.“

      „Was habt Ihr für ein Problem?“, entfuhr es Taluas.

      „Gar keins, ich sorge nur dafür, dass ihr euch anständig benehmt, solange ihr hier seid.“

      „Warum um alles in Nibelar sollten wir ...“

      „Na, bei euch Zwergen weiß man ja nie“, fiel der Wachmann dem Zwerg ins Wort. Schon lag Taluas’ Hand auf dem Heft seines Schwertes.

      „Taluas, nein!“, befahl Raja, die topasfarbenen Augen fest auf den Wachmann gerichtet. „Deswegen sind wir nicht hier.“ Der Bärtige schnaubte, ließ aber von seiner Waffe ab. „Also bitte“, drängte die kleine Frau nun in angemessen scharfem Ton, „würdet Ihr uns dann zum Brennenden Busch geleiten?“

      Während der Wachmann, der Thore hieß, lediglich ein gleichgültiges Grunzen von sich gab und den Freunden bedeutete, sie sollten ihm folgen, ließ sein Kamerad mit einem überheblichen Grinsen von ihnen ab und widmete sich einem Händler, der mit seinem Karren über die Straße gepoltert kam. Während die Gruppe an den massiven Toren vorbei ins Innere der Stadt schritt, drehte sich der zurückgebliebene Pförtner noch einmal nach den Freunden um und murmelte etwas Unverständliches in sich hinein. Saruna hörte es, blickte über die Schulter und sah gerade noch dieses bösartige Lächeln, das sich auf seinen Lippen ausbreitete und ihr die Nackenhaare zu Berge stehen ließ.

      Thore führte die vier Freunde schweigend und raschen Schrittes durch die Gassen der Stadt. Hier war alles wie immer. Bunt, belebt und vor allen Dingen laut. Frauen, beladen mit Wäschekörben, Stoffballen, Blumengeflechten oder kleinen Kindern an der Hand, gingen tratschend ihrer Wege. Alte Herren saßen angeregt miteinander diskutierend und Pfeife rauchend auf den Holzbänken vor ihren Häusern. Geschäftiges Treiben, wo man hinsah. Aus einer Nebengasse kam ein graubärtiger Mann, er trug ein langes Eisenstück auf den Schultern und ließ es beinahe fallen, als eine Schar schreiender Kinder sich an ihm vorbeidrängte. Die Fenster der meisten Häuser standen offen und gaben weitere schimpfende und lachende Stimmen preis.

      Gweldon sah sich erleichtert um, ja, hier war alles wie immer. Nach dem unfreundlichen Pförtner von gerade eben hatte er tatsächlich einen Moment überlegt, ob Saruna recht haben könnte und in Miragon seltsame Dinge vor sich gingen. Er warf einen Blick auf seine Schwester, die mit steinerner Miene dicht neben ihm herging und das Volk beobachtete.

      „Hast du Lust, mich später auf den Markt zu begleiten?“, fragte er, um sie von ihren zweifellos trüben Gedanken abzulenken.

      „Wie? Oh ja, natürlich, gern.“

      „Ich habe vor, heute Abend einige Flaschen Talgwurzsaft zu brauen. Bei der Kälte in den Bergen ist das bestimmt keine schlechte Idee. Was meinst du?“

      Saruna rang sich ein Lächeln ab und nickte. „Gute Idee, wir werden den Saft bestimmt brauchen.“

      Zwei Straßen weiter erreichten sie ihr Ziel. „Also dann, da wären wir“, brummte Thore. „Gasthaus Zum Brennenden Busch.“


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