Nibelar - Die Gruft. Christine Troy

Nibelar - Die Gruft - Christine Troy


Скачать книгу
reichte dem Gerber zwei Silbersichel.

      „Klingt übertrieben“, widersprach der Alte, nahm die Münzen und gab der Elfe ihr Wechselgeld. „Wenn ich dann nichts mehr für Euch tun kann ...“ Mit einem falschen, aufgesetzten Lächeln wandte sich der kleine Mann seiner nächsten Kundschaft zu, einem noblen Herrn, der Gefallen an einem seiner Felle fand.

      Saruna griff sich das Papierbündel mit den Salzsteinen und schob sich durch die wartende Menge zurück auf die Straße. Es dämmerte bereits und die meisten Verkäufer waren damit beschäftigt, ihre Stände abzubauen. Hämmern und Klopfen hallten über die Menge der Einkaufenden hinweg und verloren sich in dumpfem Widerhall in den Gassen der Stadt.

      Saruna sah sich um, noch immer hatte sie das Gefühl, dass Zemeas ganz in ihrer Nähe sein musste. Erneut suchten ihre schokoladenbraunen Augen die Straßen und Gassen nach dem Jäger ab. Nichts. Seltsam, woher dieses kribbelige, fast schon unangenehme Gefühl in ihrer Magengegend wohl kam? Sie beschloss, keine weitere Zeit zu verlieren und wie besprochen zum Brunnen im Zentrum zu gehen. Da Gweldon nicht allzu viel zu erledigen hatte, würde er gewiss schon auf sie warten. Das schwere Paket mit beiden Händen tragend, ging die Elfe die Straße entlang. Überall zweigten dunkle Gassen und Nebenstraßen ab. Saruna war schon viele Male in Miragon gewesen und kannte daher die Stadt. Sie wusste, dass der Weg bis ins Zentrum weit war, zumindest wenn sie auf der Marktstraße weitergehen würde.

      Um Zeit zu sparen, entschied sie sich für eine der Nebenstraßen und bog rechts ab. Hier waren weit weniger Menschen unterwegs und das Geschrei der Marktleute lediglich ein Hintergrundgeräusch. Als Saruna zwei Straßen weiter in eine schmale Gasse einbog, war sie ganz allein. Die Gegend hier war unheimlich. Die Häuser dunkel, verlassen und es roch nach einer Mischung aus Verwesung und fauligem Wasser. Aus einem inneren Gefühl heraus lauschte die junge Frau aufmerksam auf verdächtige Geräusche. Doch da war nichts, alles war still, unangenehm still, selbst das Geschrei der Händler war hier nicht mehr zu hören.

      Nervös ihr Päckchen umklammernd ging Saruna die mit Backsteinen gepflasterte Gasse entlang. Sie fröstelte. Ein ganzes Stück vor ihr mündete der Weg in eine etwas hellere, jedoch kaum belebtere Seitenstraße. Bald hätte sie es geschafft und würde diese triste Gasse hinter sich lassen. In wenigen Minuten würde sie dann den Brunnen mit der Fischstatue erreichen. Da Gweldon bestimmt schon auf sie wartete, würden sie endlich und ohne weitere Umwege zurück ins Gasthaus gehen können. So spät, wie es inzwischen war, würden die Feuerelfenbrüder gewiss längst eingetroffen sein. Vermutlich hatten Raja und Taluas ...

      Etwas Kaltes, Hartes riss die junge Frau abrupt aus ihren Gedanken. Es hatte sie am Hals gepackt und zerrte sie rückwärts in einen Hauseingang. Die Salzsteine fielen klappernd zu Boden. Saruna rang nach Luft, versuchte sich zu befreien, um Hilfe zu schreien, doch es gelang ihr nicht. In heller Panik griff die Elfe nach dem Türpfosten, wollte sich festhalten, doch was auch immer hinter ihr stand verengte seinen Griff um ihren Hals. Sie japste, versuchte verzweifelt, ihre nach Luft schreienden Lungen zu füllen – vergebens. Als ihre Finger vom Türrahmen glitten, explodierten bereits die ersten Sterne vor ihren Augen. Sie durfte nicht aufgeben. Ein letzter Versuch, ihren Hals von diesen Klauen zu befreien – zwecklos. Ein wildes Durcheinander aus explodierenden Sternen und schwarzen Nebelfetzen tanzte vor ihren Augen. Gleich würde sie das Bewusstsein verlieren. Gleich würden die Schleier einem undurchdringlich finsteren Nebel weichen.

      Ein grelles Licht durchbrach plötzlich die Dunkelheit und blendete sie. Etwas kreischte markerschütternd. Und dann war er weg, der Druck von ihrer Kehle ... weg. Saruna sackte zusammen und schnappte nach Luft. Einmal, zweimal, ihre Lunge brannte. Keuchend hob sie den Kopf. Verschwommen erkannte sie eine bucklige Gestalt, die zur Tür hinausstürmte und wüst kreischend die Gasse entlang davonlief. Jetzt erkannte sie auch die zwei anderen Gestalten, die draußen vor der Tür standen. Die eine rannte dem Flüchtenden hinterher, die andere kam ins Haus herein, direkt auf sie zu.

      „Saruna“, sagte eine zutiefst besorgte Stimme. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie kannte die Stimme, sie gehörte zu ihm, zu ihrem Zemeas. „Geht es dir gut? Lass dich ansehen.“ Er nahm ihr zierliches Gesicht zwischen seine Hände. Sofort fiel sein Blick auf ihre Tränen. „Oh nein, was hat dir dieses Biest angetan?!“ Selbst in dem spärlichen Licht, das durch die Tür ins Innere des Hauses fiel, erkannte Saruna, dass Zemeas’ Augen vor Zorn sprühten.

      „Es ist alles in Ordnung, du bist noch rechtzeitig gekommen“, hauchte sie. „Dieses Ding hat mich hier hereingezerrt, es wollte mich erwürgen.“

      „Dieses verfluchte ...“ Zemeas’ Blick glitt zum Ausgang. „Azarol wird es erwischen und ihm den Garaus machen. Und wenn nicht, dann schwöre ich ...“ Der Jäger unterbrach sich selbst, als die zitternde Saruna in seine Arme sank. „Scht, schon gut. Es wird alles gut“, sagte er einfühlsam und strich ihr so lange zärtlich durchs Haar, bis sie sich beruhigt hatte. „Alles wieder in Ordnung?“, fragte er schließlich, legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf behutsam an.

      „Ja“, hauchte die Elfe und wischte sich einige Tränen aus dem hübschen Gesicht.

      „Ich habe dich so sehr vermisst“, flüsterte der Feuerelf und fesselte mit seinen türkis schimmernden Augen den Blick der jungen Frau.

      „Ich habe dich auch vermisst“, gestand Saruna und wollte den Kopf bereits aus Scham senken, da zog Zemeas sie noch dichter an sich heran und drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Lippen.

      Dicht an ihrem Mund, die türkisfarbenen Augen mit den braunen der Elfe verschmolzen, sagte er voller Schmerz: „Ich will dich nie wieder alleine lassen. Wenn du nur wüsstest, wie häufig ich deinetwegen die letzten Tage kein Auge zugetan habe oder wie oft ich aus Sorge um dich keinen klaren Gedanken fassen konnte.“ Saruna lächelte glücklich, hob die Hand und strich über das markante Gesicht des Jägers. „Nie wieder will ich dich alleine lassen“, wiederholte er mit bebender Stimme und küsste sie mit solcher Leidenschaft, dass ihr erneut Sterne vor den Augen tanzten.

      Als sie sich Minuten später unwillig voneinander lösten, lehnte sich Saruna überglücklich an Zemeas’ muskulöse Brust. Er roch herrlich nach einer Mischung aus Leder und der salzigen See. „Dein Vater, König Xagon, ist also entführt worden?“, fragte sie schließlich.

      „Ja, er und seine Männer wurden ins Gebirge verschleppt. Nalaj meint, es läge an uns, sie zu finden.“

      „Ich verstehe.“

      Wieder legte der Feuerelf einen Finger unter Sarunas Kinn, um behutsam ihren Kopf anzuheben. „Aber lass uns alles Weitere im Gasthaus besprechen. Ich habe diese triste Gasse hier satt.“

      „Ja, lass uns gehen, wer weiß, was hier noch so alles lauert.“ Gerade als die kräftige Hand des Jägers nach der schlanken der Elfe griff, überkam diese ein merkwürdiges Gefühl. „Zemeas ...“, sagte sie mit belegter Stimme. „... mir fällt da noch etwas ein.“

      „Ja? Was denn?“

      „Ich weiß nicht so recht, wie ich es sagen soll ...“

      „Was ist denn?“ Die Stirn gefurcht senkte Zemeas den Kopf und versuchte, Saruna in die Augen zu sehen.

      Doch die Elfe wich seinem Blick aus. „Ich glaube“, sagte sie mit sichtlichem Unbehagen, „wir sollten uns in den kommenden Tagen intensiv auf unsere Aufgabe konzentrieren.“

      „Da bin ich ganz deiner Meinung. Was ist daran so schlimm?“

      „Nichts, das heißt ... einiges. Zemeas, wenn wir das Gebirge überleben und deinen Vater und seine Männer retten wollen, wird die Sache zwischen uns fürs Erste ruhen müssen.“

      „Was?! Ich verstehe nicht.“

      „Sieh mal. Wenn wir nur Augen füreinander haben, werden wir ein leichtes Ziel für unsere Gegner sein. Wir sollten auf jeden Fall versuchen, einen klaren Kopf zu behalten. Abgesehen davon weiß ich nicht, wie Raja und die anderen darauf reagieren.“

      „Daher weht der Wind also. Du fürchtest, dass Raja mit unserer Liebe nicht einverstanden ist.“

      „Nein,


Скачать книгу