Panikherz. Lisa Richter

Panikherz - Lisa Richter


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Arm. Als ich vor Schmerz aufschrie, fuhr Franziska im Bett hoch. Sie sah erst das ganze Blut, das ununterbrochen aus meinem Arm strömte, dann den Mörder. Sie schaute ihm sekundenlang direkt in die Augen. Dabei ließ sie einen Schrei los, der mir durch Mark und Bein ging. Dieser Schrei klang nicht nur erschrocken, ich hörte Todesangst aus ihm heraus.

      Während mein Blut das weiße Laken durchnässte, schaute mein Mörder nur zu und Franziska schrie noch immer. Sie schrie unendlich laut. Genauso wie ich vor Schmerz. Mein Arm fühlte sich an wie abgetrennt, verbrannt, verätzt. Alles gleichzeitig. Wir schrien beide aus Leibeskräften, aber niemand hörte uns. Niemand kam zu Hilfe. Panisch betrachtete ich das Messer, das immer noch in meinem Arm steckte. Erst da sah ich, dass es meinen Arm durchbohrt hatte. Es war an der Oberseite des Armes eingedrungen, hatte den Knochen durchbohrt und war auf der Unterseite des Armes wieder ausgetreten. Als ich das sah, zog ich vor Schreck Luft ein. Die nächsten Atemzüge gingen nur noch in kurzen, flachen Stößen. Erst als ich hyperventilierte, verstand ich, dass das hier ein Traum sein könnte. Sofort hoffte ich, dass ich wirklich nur schlief. War mir fast sicher, dass Franziska gleich von meiner Hyperventilation wach werden und mich wecken würde.

      Aber es passierte nichts, alles schien unendlich anzudauern. Und die Situation veränderte sich einfach nicht. Während ich mich kraftlos in die Kissen sinken ließ und qualvoll verblutete, reagierten weder der Mörder noch Franziska neben mir. Sie schrie immer weiter, weinte, schluchzte laut. Ich hielt den Schmerz nicht mehr aus. Das warme Blut durchnässte das Bett und meine Kleidung. Mir war schwindelig. Ich wusste, meine letzte Stunde hatte geschlagen, aber ich starb auch nicht. Mein Herz schlug einfach weiter. Die Frau, die ich über alles liebte, schrie weiter und weiter – und mein Mörder beobachtete alles. Meine Atmung wurde immer stärker, der Schmerz dehnte sich aus, erdrückte mich.

      „David!“ Die Stimme, die meinen Namen rief, wurde beinahe von dem Geschrei übertönt. Dann spürte ich ein Rütteln an meiner Schulter. Sofort stoppte die Hyperventilation und ich atmete hektisch auf. „Du hast nur geträumt“, flüsterte Franziska neben mir und streichelte meinen Rücken. Als sie mein erschrockenes Gesicht sah, nahm sie meine Hand. Während ich weiter keuchend nach Luft schnappte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Aber das Gefühl der Erleichterung dauerte nicht lange an. Denn was, wenn das hier kein Traum gewesen wäre?

      Am Morgen weckte mich die Sonne, die durch das Fenster schien. Ich atmete auf, denn ich hatte diese Nacht ohne weitere Panik überstanden. Manchmal hatte ich nämlich mehrere Attacken in einer Nacht. Dann griff ich neben mich – wollte Franziska an mich ziehen – griff ins Leere. Verwundert setzte ich mich auf und versuchte, wach zu werden. Immer wenn ich nachts Panik gehabt hatte, fühlte ich mich am nächsten Morgen so, als hätte ich gar nicht geschlafen. Eigentlich wunderte ich mich darüber, dass Franziska schon aufgestanden war, denn sie stand nie vor mir auf, um mich im Notfall wecken zu können. Aber vielleicht war sie nur auf dem Klo oder machte schon Frühstück. Also stand ich auf, um mich nach ihr umzusehen. Ich hörte das Klappern von Tellern und ging deshalb in die Küche.

      Und dann fuhr ich zusammen und sah gleichzeitig in die rachedurstigen Augen meines Mörders, der Franziska festhielt. Sah in das angsterfüllte Gesicht meiner zukünftigen Frau. Er hielt ihr ein langes Messer an die Kehle. Ein Messer, das mir bekannt vorkam. Weil es dasselbe Messer war, das meinen Arm durchbohrt hatte … Nun betrachtete ich das tiefe Loch in meinem Arm, der blutüberströmt war. Erst da bemerkte ich, dass er schon geblutet hatte, als ich aufgewacht war. Eine lange Blutspur führte in die Küche. Während ich auf meinen Arm starrte und mein Herz zu rasen begann, schrie Franziska los. Aber der Schrei hielt nicht an, sondern wurde unterbrochen. Der Mörder hatte ihn unterbrochen. Durch einen Schnitt in Franziskas Kehle. Sie sank zeitgleich mit mir auf den Boden. Ihre Augen waren mit Tränen gefüllt, panisch, schauten mich flehend, fast vorwurfsvoll an.

      „Warum hast du nichts unternommen?“, konnte ich in ihren Augen lesen.

      Meine Atmung wurde schneller. Immer schneller. Mir wurde schwindlig. Alles drehte sich. Der Boden schien unter mir nachzugeben. Meine Welt löste sich auf, brach zusammen. Brach zusammen, als das Blut aus der Kehle meiner Verlobten strömte und ich sie um Luft ringen sah. Als ich sie sterben sah.

      „David!“ … „David, wach endlich auf.“ Ein starkes Rütteln an meinem Brustkorb. „Wach auf, mein Schatz.“

      Ich schnappte nach Luft, aber mein Herz hörte nicht auf zu rasen. Im Gegenteil. Panisch setzte ich mich hin, berührte erst ihren Hals, dann meinen Arm. Aber da war nichts. Dann schaute ich auf das Bett, suchte Blut. Schaute mich im Raum um, suchte meinen Mörder.

      „Was ist los? Es war ein Traum. Du hattest Panik.“ Besorgt sah sie mich an.

      Ich stand wortlos auf und schnappte mir den Kugelschreiber, der auf der Kommode lag.

      „Was machst du denn da?“, fragte sie aufgebracht.

      „Sei still“, flüsterte ich. „Und bleib hier.“

      Konnte es sein, dass ich langsam den Verstand verlor? Aber egal, ob ich träumte oder nicht, ich wollte auf keinen Fall, dass sich das alles wiederholte. Ich ging näher zur geschlossenen Schlafzimmertür und lauschte. Aber diesmal war es absolut still. Trotzdem öffnete ich mit rasendem Herzen die Tür und sah mich zuerst im Flur, dann in der Küche um. Dort nahm ich mir ein Messer aus der Schublade – das war besser als ein Kugelschreiber – und durchsuchte die anderen Räume, schaute in jede Ecke, bis ich beruhigt war. Dann ging ich sofort zurück zu Franziska, die noch in genau derselben Position saß wie zuvor. Zumindest nahm sie meine Sorge ernst.

      Aber jetzt musste ich ihr wohl erklären, was los gewesen war. „Ich habe zweimal geträumt, dass jemand im Haus ist. Falsches Erwachen“, gab ich als Erklärung ab und legte mich wieder ins Bett. Das Messer, welches ich hinter meinem Rücken versteckt hatte, als ich ins Schlafzimmer getreten war, legte ich nun in meine Schublade. Franziska hatte das bestimmt nicht gesehen, es war zu dunkel im Zimmer. Trotzdem schaute sie mich besorgt an.

      „Du hast mich doch nur einmal gerade geweckt, oder?“

      „Ja, vorher habe ich nichts bemerkt.“

      Ich nickte. Es war ein Traum im Traum gewesen. Auch das war nichts Neues für mich. Nun ließ ich mich tiefer in die Kissen sinken. Aber das war eigentlich sinnlos. „Ich kann heute Nacht nicht mehr schlafen.“

      „Es ist erst vier Uhr“, murmelte Franziska. Sie sah todmüde aus.

      „Entschuldige, dass ich dir solche Sorgen mache und dich wachhalte. Schlaf wieder. Es ist alles in Ordnung.“

      Sie zog mich zu sich heran und ich legte schützend einen Arm und sie.

      Seitdem ich diesen Traum gehabt hatte, stellte ich mir zum ersten Mal die Frage, vor welchen Dingen ich im Moment wirklich Angst hatte. Natürlich hatte ich Angst davor, dass Franziska, meiner Schwester oder jemand anderem von meiner Familie etwas zustoßen könnte. Wenn der Täter es bereits in das Haus geschafft hatte, würde er es demnächst sicherlich bis in die Wohnung schaffen?

      An zweiter Stelle stand die Angst davor, dass ich wieder entführt und gefoltert werden könnte. Allein der Gedanke, dass jemand, der mit damals zu tun hatte, wusste, wo wir wohnten, verängstigte mich. Dann fragte ich mich, wie ich mir helfen konnte, wenn es wirklich passieren würde. Wenn jemand mich verschleppen und wieder in einen dunklen Keller einsperren würde. Was ich dann zuerst brauchen würde, war Selbstverteidigung, die ich nun schon seit acht Jahren beim Kampfsport trainierte. Was kam dann? Wenn ich – oder jemand anderes – irgendwo gefangen gehalten würde, dann wäre es doch von Vorteil, Türen und Schlösser aufbrechen zu können, oder?

      Genau der Gedanke brachte mich dazu, an diesem Abend Youtube-Videos anschauen und das Gesehene an Franziskas Vorhängeschloss auszuprobieren, das sie früher in der Uni für ein Schließfach benutzt hatte. Schon seit Stunden fummelte ich mit zwei Haarnadeln an diesem Schloss herum. Doch das Schloss ließ sich noch immer nicht öffnen. Immer, wenn ich aufgegeben wollte, kam jedoch diese eine Vorstellung in meinen Kopf. Dieses Gefühl, als ich das erste Mal im Keller meines Mörders aufgewacht war und gemerkt hatte, dass ich gefesselt war. Das Gefühl reinster Panik, als ich die kleinen Schlösser ertastete, die die


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