Arigato. Ursula Wiegele
Schüleraufsatz, und außerdem höre es sich gar nicht schön an, zwei sch hintereinander, das klinge wie eine zischende Dampflok. Aber es kommt doch aus der Sternenmühle, sage ich, meinem liebsten Kinderbuch, das Schattenscheckige, Sonngebleichte, das Mondgewobne und Sternbestickte, das Windzerrissene und Laubgeflickte und so weiter, vor Aufregung bin ich nicht mehr sicher, wie es weitergeht, obwohl ich den ganzen Buchtext auswendig konnte. Dichter und Dichterinnen dürfen das, sagt die Lehrerin, ihr Gesicht ist rot, und auch am Hals sehe ich Flecken.
Nachbarn haben der Tante einen Sack gegeben, einen gelben Plastiksack, auf dem Caritas draufsteht, Gewand für mich, aber ich werde nichts davon anziehen, ich möchte nicht, dass die Mädchen rundum ihre Kleider an mir wiedererkennen, ihre Röcke, Pullover und Blusen. Die Tante sagt, ich soll alles anprobieren und vorführen, zu große Teile könne sie ändern, kürzen und enger machen, schon hat sie den Sack ausgeleert, holt Stecknadeln und Schneiderkreide, Tante, sage ich, eine Jeans hätte ich vielleicht genommen, aber den Mausrock da will ich nicht, ich mag die Rüschchenbluse nicht und auch nicht diesen Pullover, ich hasse Pullover mit V-Ausschnitt. Die Tante schlichtet alle Klamotten, der Tisch im Wohnzimmer sieht aus wie ein Marktstand, einzeln hält sie dann jedes Stück in die Luft und preist es mir an. Ein Blick in mein Gesicht, dann legt sie es wieder zusammen. Dankbar sei sie gewesen für solche Geschenke, sagt die Tante, damals, als sie 1940 vom Kanaltal hierhergekommen sei, in Kärnten habe man sie mit Kleidern versorgt, und ich wäre haklich, aber alles Werben ist verlorene Mühe, ich werde nichts davon tragen. Was machen wir jetzt damit, fragt die Tante nach einer Weile. Der Onkel schlägt vor, das Gewand in die Tauschzentrale zu bringen, so bekäme man etwas dafür, um Himmels Willen, sagt die Tante, da gehen ja auch die Nachbarn hin. Die Altkleidersammlung wäre die Lösung für den Caritassack, meint die Tante, so käme das Gewand ins Erdbebengebiet, und ich sage jetzt nichts von den Tonnen an Altkleidern und Decken, die umsonst nach Friaul gekommen sind, nein, nicht ganz umsonst, Papa sagt, es würden Fleckerlteppiche daraus gemacht und Putzlappen, über den Tarviser Markt kämen die Textilien dann wieder zurück zu den Spendern.
Fünf vor elf sollen wir vorne beim Ausgang sein, aber ich muss zurück zur alten Frau auf dem Ölbild, ich muss sie noch einmal sehen, will allein sein mit ihr. Die Frau trägt ein blau-lila Gewand, trägt einen Schal über dem Haar wie einen Schleier, der hinunterreicht bis zu den Händen, hinter ihr leuchtet ein sattes Türkis von der Leinwand. Ich horche nach rechts und horche nach links, niemand ist mehr da, nur unter meinen Füßen knarrt der Boden, als ich mich hinknie und ein Kreuzzeichen mache, ich weiß nicht warum. Was immer nur eine Bewegung des Armes war wie beim Turnen, kommt jetzt aus einem Gefühl, aus einem Beben im Innern, die blaue Frau, eine Madonna mit sechzig, sie muss eine Heilige sein, auch wenn mein Nonno immer gesagt hat, Gott und die Heiligen, das sind nur Erfindungen der Kapitalisten.
Wir müssen zum Zug, ich laufe zum Ausgang der Galerie, schon wieder zu spät, höre ich die Lehrerin sagen, aber um mich ist ein Schutzmantel aus Blau-Lila-Türkis. Ich denke an die Madonna in Pontebba, die keine Haut hat über dem Herzen und eine Öffnung im Gewand an dieser Stelle, alle sehen die Flammen. Oma kniet sich immer hin vor dieser Marien-Figur mit dem Schleier über dem Haar, auf einmal spüre ich jetzt ein Brennen tief in der Brust. Wer die blaue Frau sei, das frage ich erst kurz vor Villach. Von der Antwort hätten mir die fünf ersten Worte gereicht, eine Dichterin aus dem Lavanttal, sagt die Lehrerin, aber was die geschrieben habe, wäre nichts für junge Mädchen wie mich. Ein bisschen verrückt sei die sicher gewesen, eine Künstlerkrankheit. Die Lehrerin nennt einige Namen, deutsche Dichter mit geistiger Umnachtung, ein paar von ihnen hätten sich sogar das Leben genommen. Umnachtung, ein so schönes Wort, aber es bedeutet sicher nichts Gutes. Dichten ist ein gefährliches Handwerk, denke ich, ein Weg in die Nacht, die einen schwarzen Kokon um einen spinnt, aber vielleicht ist diese Dichter-Umnachtungsgeschichte auch nur so eine erfundene wie die von Oma, als sie gesagt hat, im Himmel sitze jemand mit Nadel und Faden, der zu Mitternacht einen Tag an den anderen nähe, sonst würde es weder Wochen geben noch Jahre. Ich muss vorsichtig sein, will nicht mehr alles glauben wie früher.
Heute sind Gäste da, Leute aus Knittelfeld, sie wollten Oma besuchen, die zum Feiertag von Pontebba nach Villach gekommen ist, zum Volksgeländemarsch, zu Ehren der österreichischen Nation geht man hier wandern am 26. Oktober, aber für eine Medaille mit Adlerkralle hat es heuer nicht gereicht, die zweite Hälfte des Weges legte Oma mit dem Onkel auf Gummireifen zurück.
Ich war zu faul, wollte lieber zu Hause bleiben mit der Tante, das hat uns der Onkel übel genommen.
Ein bisschen aufmascherln sollte ich mich, hat die Tante gesagt, und das bedeutete so viel wie blauer Rock und weiße Bluse, also bin ich blauweiß hinuntergegangen zum Gartentisch, zur Feier des Tages gibt es das gute Porzellan-Service und Papier-Servietten mit Blümchen. Ich hasse dieses Dabeisitzenmüssen, das Zuhörenmüssen, das Mitessenmüssen, und noch mehr hasse ich das Vorgestelltwerden, aaahhh, aus Venzone, ooohhh, ein Erdbebenopfer, und immer kennt jemand irgendwen, der unten war, um den armen Teufeln zu helfen, aber heute ist alles noch schlimmer, diese Besucher sind Verwandte einer verstorbenen Freundin von Oma, Bewohner der Kanaltaler-Siedlung in Knittelfeld, alles klar!, Onkel Hans hat willige Zuhörer für seinen Geschichtsunterricht, denke ich, es geht wieder los mit Hitler und Mussolini und mit dem Verrat der Italiener in beiden Kriegen, aber ein Knittelfelder ist da anderer Meinung, der Onkel aber lässt keine andere Meinung zu, er redet und redet und wird immer lauter.
Aber Hansi, sagt die Oma, jetzt red doch nit auf die Weis’, der Onkel schnauft, die Tante rückt Tassen und Teller zurecht, sie putzt Brösel vom Tischtuch, was hier im Garten erlaubt, in der Wohnung aber strengstens verboten ist, ich bemerke ihren ängstlichen Blick, ob der Onkel gleich schreien wird?, aber der Onkel schreit nicht, mehr als eine aufsteigende Röte ist nicht zu bemerken, von Oma lässt er sich so etwas sagen, sie ist die ältere Schwester, zwanzig Minuten vor ihm geboren.
Als drei Nachbarn dazukommen, gibt es einen Gartensessel zu wenig, danke fürs Ablösen, denke ich mir und stehe schnell auf, es ist meine Chance mich davonzumachen, ohne jemanden zu verärgern, ich gehe hinauf in mein Zimmer, ziehe Rock und Bluse aus, schlüpfe in Jeans und T-Shirt und putze mit Beatles-Musik die Stimme des Onkels aus meinen Ohren.
In Warmbad-Villach hat die Tante eine Auslage, Werbung für ihren Damensalon in der Stadt, im Urlaub sitzt das Geld locker, sagt sie, nicht wenige Kurgäste tragen maßgeschneiderte Kleider. Obwohl die Tante die Deutschen nicht so recht mag, weil die an Regentagen die Stadt verstopfen, aber ihr Geld stinkt nicht, sagt die Tante, der Kohlegeruch aus dem Ruhrgebiet verfliegt schnell.
Alle paar Wochen bekommt die Schaufensterpuppe in Warmbad ein neues Gewand, ich helfe jetzt beim Aus- und Anziehen, das gefällt mir, auch beim Dekorieren mache ich mit. Mit der Tante ist es meist lustig, wenn der Onkel nicht in der Nähe ist, gern besuche ich sie in ihrer Werkstatt im Haus neben dem Parkhotel, ich mag das Durcheinander von Stecknadeln und bunten Nähseiden dort, von Stoffresten und Schnitten, ich mag die halb fertigen Kleider auf der Schneiderpuppe, die keinen Kopf hat, die großen Kurvenlineale, die Nähmaschinen.
Ganz anders die Wohnung, da gibt es nur rechte Winkel, alles ist kariert, Hemden, Taschentücher und Tischdecken, auch die Stoffauflagen der Gartensessel, sicher hat die Onkel Hans ausgesucht. Der große Setzkasten im Vorzimmer, Figuren in Reih und Glied, auch in den Schränken ist alles geordnet, die Wäsche liegt in Stapeln millimetergenau übereinander, meine Sachen legt die Tante zusammen, dem Ordnungssinn des Onkels könnte ich niemals genügen, regelmäßig öffnet er alle Türen für eine Kontrolle. Ich möchte in die Werkstatt umziehen, aber das ist nicht möglich.
Ich glaube, auch im Kopf des Onkels gibt es nur rechte Winkel, entweder denkt er auf einer Linie oder neunzig Grad um die Ecke, als ob es dazwischen nichts gäbe, als ob alles andere nur Unordnung machte.
Ich wäre viel mehr eine Deutsche als eine Italienerin, sagt der Onkel, weil ich im Bauch von Mama gewachsen sei, und Mama hätte einen rein deutschen Körper. Papas Anteil, eine wallische Kaulquappe, fiele da kaum ins Gewicht. Du musst weghören, wenn er damit anfängt, sagte vor kurzem die Tante, die dem Onkel nicht sehr oft widerspricht, warum eigentlich?, weil sie den Frieden wahren wolle, welchen Frieden?, fragte ich weiter, der Onkel steht doch immer mitten im Kampf.
Wenn Mama mit ihm redet, bekommt sie