Arigato. Ursula Wiegele

Arigato - Ursula Wiegele


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genannt, meine Oma in Pontebba und die Tante in Villach haben schon welche im Gläschen, als Andenken an die Operation. Mit fünf Jahren habe ich Mama ein helles Puder geschenkt für den Hals, damit sie keine Gallensteine bekommt.

      Nur wenn er mit mir angeben kann und Punkte sammeln, ist das Daitsche weniger wichtig, dann sagt der Onkel, dass er ein Erdbebenopfer aus Venzone beherberge. Immer wieder kommen Leute ins Haus, die mit mir ihr Stranditalienisch üben wollen für den Sommerurlaub in Lignano oder Bibione, andiamo al mare.

      Ich soll nett sein in Villach und folgsam, sagt Papa am Telefon, ich soll mich anpassen, Papa, der ganz genau weiß, dass ihn der Onkel nicht leiden kann, aber jetzt ist Dankbarkeit wichtig. Es ist besser mit den Füßen auszurutschen als mit dem Mund. Hier in Venzone gibt es neue Hoffnung, sagt Papa, die Trümmer unseres Doms Sant’Andrea Apostolo werden nummeriert und aufgelistet, die Kirche später einmal neu aufgebaut. Immer noch kommen viele Leute nach Friaul, Helfer, die Brauchbares bringen und Unbrauchbares, aber leider auch Gaffer und Katastrophentouristen, die nur herumstehen und fotografieren.

      Früher war das Kabinett auch der Funkraum des Onkels. Seit ich darin wohne, schickt er seine Sprüche vom Wohnzimmer aus in den Äther, drei Mal die Woche um Punkt neun am Abend tauscht er sich mit dem Tierarzt aus, den er immer Veterinärmediziner nennt, sobald er jemandem von ihm erzählt, Ve-te-ri-när-me-di-zi-ner, jede Silbe gedehnt, jede Silbe mit großem Gewicht, was ist dagegen ein Tierarzt. Onkel Hans, der sonst nie ein Fremdwort gebraucht, hat einen weitschichtigen Verwandten, der jemand ist hier in Kärnten, ein Mann mit Kontakten, auch die Hunde von Landesräten bekommen Würmer und Augenentzündung.

      Mit Doktor Erath geht Onkel Hans in die Berge, dort werden Fotos gemacht von Felsen und Gipfelkreuzen, von Steilhängen und Schneefeldern, schon ein ganzer Kasten ist voll mit gerahmten Dias, einmal im Monat ist Vorführabend. Ich weiß, dass die Tante diese Dia-Abende hasst, aber sie sitzt zwei Stunden im Dunkeln und schaut hin zur Leinwand, Bergrücken und Felswände gibt es zu sehen, Rucksäcke, Karabiner und Seile, die Männer beim Eintragen ins Gipfelbuch.

      Beim Funken am Montag, Mittwoch und Freitag wird der Fernseher abgeschaltet, um Punkt neun für genau zehn Minuten, zehn Minuten geht es dann um markierte Wege und Klettersteige, um Proviant und Wetterprognosen, hin und wieder auch um die eingeschläferten Tiere des Tages, ich gewöhne mich nicht daran, dass die Tötung mit einer Spritze auf Deutsch an Wiegenlieder denken lässt und ans Traummännlein.

      Auf dem Küchentisch liegt ein Brief von Papa, ich reiße ihn auf, der Brieföffner im Wohnzimmer ist zu weit weg. Im Kuvert ist ein Foto, aber auch Lirescheine sind drin. Endlich wieder Taschengeld. Auf dem Foto alte Frauen mit Kopftüchern, sie stehen vor dem Apothekenzelt. Warum er mir so etwas schickt. Hinten drauf Papas Handschrift, kuliblau: Viele Krankheiten sind verschwunden, als hätte das Erdbeben sie verjagt, aber den Fußpilz der Nonna hat es nicht beeindruckt. Bitte besorge ein Fläschchen mit Molkosan, das hat schon einmal geholfen. Papa

      Ein Auftrag. Sonst nichts.

      Früher habe ich mir eine Kamera gewünscht, bei der man nicht warten muss, bis der Film verknipst ist, das dauert oft einige Monate, und dann noch die Zeit, bis er eingeschickt wird, bis er vom Entwickeln zurückkommt, aber seitdem Papa mit so einem Apparat fotografiert, den Adriaurlauber ihm geschenkt haben auf ihrer Fahrt zurück nach München, seitdem aus Venzone Schnellfotos in Briefkuverts kommen, Fotos mit Ruinenkulissen, mag ich diese macchine polaroid nicht mehr. Ich hasse die Fotos mit der dunklen Fläche hinten drauf, sie machen mir Angst.

      Früher war es wie Zauberei. Das Surren der Kamera. Das ausgeworfene Fotopapier. Das Zuschauen, wie Farben und Formen erscheinen.

      Die Tante mag auch keine Bilder aus diesen Apparaten, weil man nichts wegretuschieren kann, sagt sie, auf den Porträts vom Studio sieht sie viel jünger aus, ihr Gesicht ist ganz glatt, wie das der Frau auf dem Karton ihrer Creme, morgens und abends schmiert sie sich damit ein. Sauteures Zeug, sagt der Onkel, aber es ist die richtige, Tante Rosa hat sie gekostet: Laut ihrem Naturheiler mag auch der Magen die passende Creme, von der falschen wird einem übel. Der Onkel findet das blöd, er sagt, die Tante fresse dem aus der Hand, dritter Fall, und im ersten Fall nennt er den Heiler einfach nur der. Der hat ihr schon wieder einen Floh ins Ohr gesetzt. Manchmal sagt er auch Scharlatan oder Quacksalber, wenn er von ihm spricht, lauter neue Wörter für mich, bei Kurpfuscher zischt es wieder, und auch beim Scharlatan. Dampfende Wörter.

      Bei Tante Rosa im Schrank habe ich zwei Molkosan-Fläschchen entdeckt, beide sind angebrochen, eines davon steht weiter hinten und hat braune Flecken auf dem Verpackungskarton. Die Zeichnung darauf finde ich lustig: ein Bauer mit hellgelben Kniehosen und weißen Socken, auf dem Boden daneben ein Tragkorb mit Riemen. Im Hintergrund eine Almlandschaft mit Holzhaus wie aus dem Heidi-Buch. Das Fläschchen mit dem schönen Karton packe ich ein. Dann brauche ich keines zu kaufen und muss das Geld nicht dafür verwenden. Wenn ich das Molkosan nach Venzone bringe, sage ich einfach, ich hätte gestern Halsweh gehabt und damit gegurgelt. Rat des Naturheilers. Der ist ja schon fast ein Familienmitglied.

      Ich bin eine lebendige Schaufensterpuppe, trage Rock und Bluse aus dem gelben Caritassack. Unter den nackten Füßen ein Plastikrasen, auf dem Trümmer liegen, weißgraue Kalksteine, jeder davon trägt eine Nummer. Ich starre nur in eine Richtung, aber ich spüre die Blicke der Leute, bemerke Finger, die hereindeuten auf mich, manche berühren die Auslagenscheibe. Gesichter kommen ganz nahe.

      Ein Ruck geht durch mich hindurch, die Scharniere lösen sich, ich kann meine Glieder wieder bewegen, bücke mich, nehme einen Stein vom Boden und schleudere ihn gegen das Glas. Beim Geräusch der zerspringenden Scheibe wache ich auf.

      II.

      Habe wieder damit begonnen, alles auch rückwärts zu lesen, zu denken, aber jetzt mache ich es auf Deutsch. esaV, relatnemmE, kramnekcüR. Mit den italienischen Wörtern von hinten kenne ich mich lange schon aus, unser Spiel auf den Schotterinseln des Tagliamento, reihum sagten wir Wörter rückwärts. Wer dabei stolperte, warf einen Stein ins Wasser, wer zehnmal geworfen hatte, schied aus. Am siebten Mai wurden es Sätze, einen Tag nach dem Beben, im Gemeinschaftszelt fand ich nicht in den Schlaf, und für das Schäfchenzählen, das Rezept meiner Nonna, war ich zu alt. Zuerst ganz kurze Sätze, dann längere, später Sätze mit Beistrich, durchs viele Üben ging es bald schneller, vor und zurück, hin und her, jeder Satz eine Wiege.

      Hier in Villach sammle ich Lob wie früher Anhänger für mein Bettelarmband, Muschel, Hufeisen, Eule und Käfer, Herz, Fliegenpilz, Stiefel, Lindwurm und Vierklee. Wie gut du schon Deutsch sprichst, und fast ohne Akzent, das höre ich immer wieder von Leuten, die meine Familie nicht kennen, und dann sage ich kein Wort von meinen Kanaltaler Großeltern, nichts von den vielen Kinderbüchern auf Deutsch, nichts vom gemeinsamen Zeitunglesen mit Oma, wenn ich bei ihr in Pontebba war. Ich hänge mir das Lob einfach um, falsche Perlen, aber sie glänzen.

      Metallringe kratzen die Schiene entlang, ich ziehe den Vorhang zur Seite. Im Kasten dahinter riecht es nach Großvater, er ist wach, aber er sagt nichts, selten sagt er noch etwas. An seine Stimme von früher erinnere ich mich nicht mehr, nur mehr an Heiserkeit und Husten, ich habe mich ans Flüstern gewöhnt, das geht lange schon so. Großvaters Flüstern kommt zum Teil aus dem Mund, zum Teil aus dem Röhrchen an seinem Hals. Das Röhrchen muss oft ausgeputzt werden, es ist Schleim drin, Opas Flüsterschleim.

      Er hat zu viel geredet in seinem Leben, sagt Oma, die Stimme ist ihm ausgegangen, wie einer Füllfeder die Tinte. Wenn ich den goldfarbenen Vorhang zuziehe, sehen wir den Großvater nicht mehr, aber wir hören ihn, er atmet durchs Röhrchen, oft macht es ein Geräusch wie eine dicke Suppe im Topf auf dem Herd. Mein Opa im Kastenbett. Stoff anstatt Türen. Auf der Holzplatte über ihm, die für Opa der Himmel ist, an der Zeichnungen von mir kleben mit Wolken und Engeln, steht oben drauf eine Vase mit getrockneten Blumen, Tablettenschachteln sind dort und Omas Brillen, die ich erreichen kann, wenn ich einen Stuhl ans Kastenbett ziehe.

      Für Oma ist die Wahrheit ein Kleidungsstück. Warum sie mir damals dieses Märchen erzählt hat von Großvaters verlorener Stimme, das habe ich sie vor kurzem gefragt. Es wäre eine Zumutung gewesen für dich, hat sie gesagt, du warst so klein, ich wollte dir nicht Angst machen mit


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