Gegen das Tabu. Georg Rösl

Gegen das Tabu - Georg Rösl


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So langsam entwickelte ich eine allergische Reaktion darauf, auf diese Art mein Geld zu verdienen. Wie man hier damit umging, schien es das Wichtigste zu sein. Ich war auch zunehmend erschöpft, wenn ich dann mit dem Zug nach Hause fuhr. Zwar hatten wir einen neuen Auftrag in der Tasche, aber es befriedigte mich überhaupt nicht. Meine Gedanken schweiften immer wieder ab, was ich mit meinem Leben und mit meiner Zeit tun sollte, und das Schlimme war für mich, dass ich immer sehr gut darin gewesen war, eine Lösung zu finden, nur hier auf keine vernünftige Antwort kam.

      Die alten Dämonen und meine Wut auf einiges aus meiner Vergangenheit, mit dem ich doch noch nicht abgeschlossen hatte, tauchten immer wieder auf, auch träumte ich immer wieder davon, wie ich mich an diesen Herren rächen würde. Kein gutes Zeichen, wenn man so aggro wird, dass man nichts Besseres zu tun hat, als sich über solche Dinge Gedanken zu machen. Aber ich konnte mich immer wieder mit den Worten beruhigen: „Karma wird es schon richten, ich brauche nur Geduld, viel Geduld.“ Zum Glück kam Karma irgendwann …

      Ungefähr zur gleichen Zeit begann ich, meinen Ideen und Gefühlen zu folgen, und wollte mir einen Nebenjob für vier bis acht Stunden pro Woche im sozialen Umfeld suchen, zumal ich immer mal wieder gedacht hatte, dass ich dort eher gebraucht würde. Also recherchierte ich nach Jobs in diesem Bereich und fand eine Stelle in einem Blindenheim, sogar noch bei mir um die Ecke. Ich rief an und vereinbarte ein Gespräch, eine Besichtigung des Hauses und die Besprechung der Aufgaben. „Das ging ja einfach, für deutsche bürokratische Wege ein bisschen zu einfach“, dachte ich mir noch. Eine Woche später, an einem Freitag, fuhr ich hin und stellte mich bei Frau Mai, der Hausleiterin vor, die mir das Gebäude zeigte. Es ging bei dem Job darum, einmal in der Woche für vier bis sechs Stunden mit den Bewohnern (mehr als 80 an der Zahl) Unternehmungen durchzuführen und sie dabei zu begleiten. Perfekt, dachte ich mir, ist ein bisschen wie im Zivildienst, als ich im Zuhausedienst Kranke und Hilfsbedürftige besuchen durfte und ihnen unter anderem beim Einkaufen und im Haushalt zur Hand ging.

      Ich lernte auch gleich ein paar Bewohner kennen; die einen waren von Haus aus blind, die anderen wurden es durch Schicksalsschläge oder aus gesundheitlichen Gründen. Ich fühlte mich dort sehr wohl und konnte mir echt gut vorstellen, dort etwas zu machen. Am Ende wollte ich schon fragen, wann ich denn am ersten Tag kommen sollte, da meinte Frau Mai, dass ich doch mal eine vollständige Bewerbung und eine Begründung schicken solle, warum ich denn der Richtige sei. „Aha, so läuft das also, ich darf mich quasi als Bittsteller um einen unbezahlten Job bewerben, obwohl ich gerade schon persönlich da war, einen Lebenslauf und ein Führungszeugnis dabeihatte.“ So hatte ich mir das nicht vorgestellt, da schien es uns hier doch zu gut zu gehen. Ziemlich ernüchtert vom Ausgang des Besuchs fuhr ich nach Hause und hatte ein nicht so gutes Wochenende.

       VIELLEICHT HILFT JA AKTIONISMUS (ANFANG 2015)

      Da ich irgendwie keinen Zugang gefunden hatte oder eventuell auch einfach nicht das Richtige bei der Suche nach einer nebenberuflichen Aufgabe dabei war, begann ich eine Art Aktionismus, um in meiner Berufswelt zu experimentieren, um etwas zu finden, was mich abholen und mir Spaß machen würde. Besonders, nachdem meine Frau und ich an einem Freitagabend zusammensaßen und uns die Frage stellten, ob der jeweils andere die Adoption noch wirklich will. Denn ich hatte gemerkt, dass das Thema unsere Beziehung zu belasten begann. Wir hatten natürlich damit gerechnet und für das angestrebte Ziel fanden wir das auch grundsätzlich okay, aber man muss spüren, wenn die Balken in einer Partnerschaft zu stark knacken.

      Ich sagte ihr, dass ich mir langsam Angst um unsere Beziehung machen würde, auch wenn wir das Ziel vielleicht sogar schaffen würden. Dieses jahrelange Warten auf den erlösenden Anruf – irgendwie wurde ich den Gedanken nicht mehr los, dass es vielleicht einfach nicht sein sollte. Und als ich das aussprach, meinte auch meine Frau, sie habe langsam Zweifel, ob wir weitermachen sollten. Vielleicht habe das Leben anderes mit uns vor und es solle einfach nicht sein. So verabschiedeten wir uns nach zwei weiteren Tagen Bedenkzeit von unserem Traum, ein Kind zu haben, um uns unser Leben wieder anders einzurichten. Nur wie?

      Mein Leben wurde erst mal phasenweise leichter, da ich mich eine Zeit lang gleiten ließ und versuchte, einfach mal zu leben, nicht zu denken, nicht zu hinterfragen, einfach zu genießen.

      Gleichzeitig probierte ich neben meiner digitalen Agentur einiges Neues aus, beruflich und auch privat, und ich begann, mich einfach mal für eine gewisse Zeit treiben zu lassen und zu schauen, was so ging. Ich bin ja gut darin, zu wissen, was ich nicht will, aber nicht so gut darin, was ich will. Eventuell will ich auch einfach zu viel gleichzeitig und vielleicht ist mir vieles zu leicht gefallen, vielleicht ging mein Aufstieg zu schnell, vielleicht hatte ich einfach nur Glück. Aber kann man in so verschiedenen Themen und über so lange Zeit nur von Glück leben? Bei dem Lauf, den ich seit meiner Jugend hatte, und bei meiner natürlichen positiven Grundeinstellung hatte ich vielleicht einfach die Bodenhaftung verloren und es lief zu lange zu glatt. Eins ist sicher, ich war nicht mit mir in Balance und durch die tausend Baustellen im Kopf wurde alles noch viel verworrener statt besser.

      Die nächsten beiden Jahre waren geprägt von Abenteuern, Reisen, unternehmerischen Neugründungen, weiterem Wachstum in der Firma und neuen Restaurationsprojekten mit meinen Oldtimern. Das machte mir Spaß, ich reiste regelmäßig nach Mallorca, verbrachte Zeit mit meinen Eltern und mehr Zeit mit meinen Freunden, besuchte meine Patenkinder, gewann mit meiner 63er-Corvette mehrere Preise auf Autoshows, flog regelmäßig in die USA, ging häufig mit Freunden gut essen und feiern und besuchte für ein Wochenende meine Tante in Athen. Mit meiner Frau reiste ich nach Paris und wir ließen uns einfach nur durch die Stadt treiben. In Berlin bahnte sich was Spannendes an, ich war drauf und dran, in eine der besten Filmproduktionsfirmen der Hauptstadt einzusteigen. Der Abend beim Deutschen Filmball war echt spannend und was total Neues. Leider dachten die Herren, dass ich mit meiner Firma automatisch ein Goldesel wäre und man einfach so Geld für das Thema Film besorgen könnte. Ich war mir sicher, dass es gehen würde, auch in angedachter Höhe, aber die zeitliche Vorstellung der Damen und Herren war wie immer verrückt. Dazu kam dann noch, dass sich darin keine Wertschätzung widerspiegelte und sie mein Angebot für zehn Prozent an ihrer Firma, die noch nie Gewinn gemacht hatte, ablehnten. Aber es war eine schöne Erfahrung, solange man nicht mit den Künstlern über Kaufmännisches sprechen musste.

      Ich setzte danach aber einen meiner Jugendträume um und gründete mit einem Profi aus der Autoindustrie eine Sportwagen-Restaurationsfirma und versorgte sie auch direkt mit vielen Kunden. Eines meiner ersten Projekte in der Firma: die Rekreation eines 300 SL Panamericana auf SLK-Basis, darunter die beste und modernste Technik und am Ende eventuell sogar die Ausstattung mit Hybrid. Diese Art zu leben hätte einfach so weitergehen können.

      Doch in mir steckte viel Frust, und die Frage nach dem Sinn dessen, was ich so alles trieb, wurde immer stärker. Dazu stieg in mir immer wieder eine Wut auf die Menschen auf, die mir zugesetzt und mich tief verletzt hatten. Das belastete mich immer gerade in den Momenten, in denen ich zur Ruhe kommen und mich erholen wollte.

      Ende 2016 zogen dann zwei Babys bei uns ein, zwei Katzenbabys. Ich habe das zunächst eigentlich nur meiner Frau zuliebe getan. Da ich so viel unterwegs war, dachte ich, das sei eine gute Idee. Doch wie sich dann herausstellte, war es sogar eine sehr gute Entscheidung und ein Glücksfall, die beiden seitdem bei uns zu haben. Mit dem einen gab es zwar gleich etwas Stress, da er zwei Mal operiert werden musste, und ich selbst wusste zunächst auch nicht, ob mir eine solche Verantwortung guttun oder mich doch zu sehr stressen würde. Ich glaube, es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich froh war, nicht alles kontrollieren zu können.

      Es macht einen solchen Spaß mit den beiden und bereitet mir eine solche Freude, wenn ich sie sehe, jeden Tag, wirklich jeden Tag – eine bis heute sehr bereichernde Neuerung in unserem Leben.

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