Gegen das Tabu. Georg Rösl

Gegen das Tabu - Georg Rösl


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vor den Bug, den ich erst mal seelisch verkraften musste. Das waren zermürbende fünf Monate meines Lebens. Wenn die wüssten, wie viele verzweifelte Nächte ich wegen dieser Scheiße hatte.

      Ich hatte in den ganzen Jahren auch immer wieder gute Phasen, so war es nicht; aber es war ein ständiges Auf und Ab, und das schon fast sechs Jahre. Ich reiste viel, schaute mich nach neuen Geschäftsideen um, war öfter feiern, war im Kölner Karneval und in unserer neuen Ferienwohnung auf Mallorca, die wir uns gekauft hatten, nachdem wir wegen der anstehenden Adoption die Wohnung in Miami wieder verkauft hatten.

      Die Adoption rückte Stück für Stück näher, was auch den seelischen Druck erhöhte. Es begann die Phase, in der wir permanent auf Abruf bereit sein mussten. Sobald mit der Post ein Vorschlag zu einem möglichen Adoptivkind gekommen wäre, hätten wir innerhalb von fünf Tagen annehmen müssen. Danach musste man innerhalb von 14 Tagen ins Land reisen, nach Äthiopien, und die Adoption vor Ort beginnen. Was auch bedeutete, nicht mehr verreisen zu können. Zu unserer Verwunderung bekamen wir kurze Zeit später Post von der Adoptionsstelle mit der Information, dass sich in unserem Adoptionsland Äthiopien einiges an der Bürokratie ändern und verbessern sollte, und sich deswegen alles um sechs Monate verzögern würde. Das störte uns wenig, da wir das Gefühl hatten, nah an unserem Ziel zu sein. Wir warteten ja schon lange, da machten sechs Monate das Kraut auch nicht fett.

      Es folgte zum Glück eine Reihe an schönen Momenten, der Junggesellenabschied von Klaus im Hähnchenkostüm, bei dem ich mit meinem langjährigen Freund Ben öfters die Nacht zum Tag machte und erst morgens um sieben Uhr nach Hause kam. Danach ging es zu einem Klitschko-Kampf nach Mannheim, einige Tage wieder nach Mallorca, den Akku aufladen, und dann noch der Geburtstag meiner Schwester im Geiste, Anja, die ich seit sieben Jahren bei ihrem Kampf gegen den Lungenkrebs begleitete, und der leider immer wieder zurückkam. Es war schön, sie an ihrem Geburtstag in Hof so glücklich zu sehen; es war dort wie eine zweite Heimat für mich geworden und ich war immer wieder gerne dort, um Anja und die Familie zu sehen. Das Jahr verging mit viel Arbeit und einigen sorglosen Monaten, im Geschäft wurde es stetig besser und die Fast-Pleite musste ich ja auch erst mal verkraften.

      Immer wieder dachte ich mir: „Jetzt hast du mehr Ziele erreicht, als du dir jemals erträumt hast, mehr Geld, mehr Spaß in deinem Leben, alles hart erarbeitet und trotzdem fehlt dir etwas.“ Seit den Nervenzusammenbrüchen und der Antriebslosigkeit in der Depressionszeit 2009 hatte ich immer wieder Phasen, in denen ich lost in space war, in denen mir alles egal war. Auch meine Passion und Leidenschaft für meine Uhren und Oldtimer erfüllte mich irgendwie nicht mehr so wie früher. Da ich ja Karosseriebauer gelernt hatte, war es naheliegend, dass ich mir mal einen Sportwagen holte – dass es eine 1963 Corvette Split Window wurde, hätte ich mir nie träumen lassen. Ich hatte bei der Restauration der Corvette so viel Spaß und erst recht beim Fahren – das war Freiheit und Glückseligkeit. Ich habe eigentlich eine Passion für Technik, aber irgendwie ist mir die im Rausch der Arbeit verloren gegangen und durch die verschiedenen Rückschläge bin ich verwundbar geworden. Eine lange Zeit hatte ich mich wie „bulletproof“ gefühlt, aber das war einmal – wie bei vielen, bei denen es lange sehr gut läuft, bis sie die ersten Treffer abbekommen.

      Das Sehnen nach einer erfolgreichen Adoption wurde auch immer größer; es war gefühlt wie so eine Art Rettungsring: Wenn das klappte, dann würde alles besser, dann hätten wir es geschafft. Nur leider wurden wir wieder vertröstet, dass es weitere Änderungen im Adoptionsland gegeben habe und sich der Prozess um weitere sechs Monate verzögern würde. (Ausgerechnet in unserer Zeit wollten die ihre Adoptionsgesetze erneuern, was ja gut war, aber man muss wissen, dass im Vergleich zu afrikanischen Verhältnissen Italien extrem schnell ist.) Das wurmte mich so langsam und ich fragte mal bei der Agentur nach, was los sei. Aber man konnte uns auch nicht mehr sagen als das, was schon in dem Brief stand, also hieß es weiter warten.

       NEUES JAHR UND NEUER SCHICKSALSSCHLAG

      Mit dem Gefühl eines guten zweiten Halbjahrs wollte ich ins neue Jahr 2014 starten und ich kann mich noch genau erinnern, es fühlte sich tatsächlich gut an, die ersten zwei Monate. Ich fand eine neue Idee für ein gutes Hobby und wollte aus einem Oldtimer einen straßenzugelassenen Rennwagen präparieren, damit meine Frau und ich damit Bergrennen fahren könnten. Gesagt, getan, nach gut vier Wochen fand ich eine Replik eines Ferrari 250 GTO in erbärmlichem Zustand, aber der Motor war gut. Ich plante das Projekt und stieß auch ein paar weitere Ideen an (ja, ich weiß, ich mache zu viel gleichzeitig).

      Und dann klingelte eines Montags um 17 Uhr das Telefon und ich wusste schon, als ich die Nummer im Display sah, dass das nichts Gutes bedeuten würde. Woher dieses Gefühl auch kam, es lief nun wie in einem Film ab. Was hatte ich in den letzten Jahren nicht alles versucht, um Anja bei ihrem Kampf gegen den Krebs zu unterstützen. Bald hatte Anja Geburtstag und wünschte sich noch vor ein paar Wochen, dass wir unbedingt kommen und bei ihr auch übernachten sollten. Anja war, seitdem ich 18 Jahre alt war, meine beste Freundin. Wir hatten mit 18 Jahren eine Liebelei, aber das wurde schnell zu einer Top-Freundschaft. Nur leider kämpfte Anja seit nun mehr als acht Jahren gegen ihren Lungenkrebs, der auch streute – was für eine fiese Krankheit. Ich habe in den letzten Jahren bestimmt 40 Tage in der Klinik mit ihr verbracht, nach jeder Lungen-OP, und es waren zwischenzeitlich sieben. Sie hasste mich dafür, dass ich sie unangemeldet in dem Zustand direkt am nächsten Tag nach den OPs sah, aber gleichzeitig war sie froh, dass ich ihr Nein am Telefon nicht akzeptierte. Nach jeder Lungen-OP wurden die Narben mehr und diese Vorstellung belastete sie seelisch sehr.

      Aber sie sagte nur: „Besser als sterben“. Ich kenne niemanden wie sie, sie hat das alles so tapfer ertragen. Unglaublich, wie sie das alles so positiv wegsteckte, und wie heftig, so was mitzuerleben. Sie hielt den Kopf immer oben, immer. Nur selten hat sie mal losgelassen und sich bei mir ausgeheult, jeder Moment mit ihr war lustig und locker. Sie rang mir einige Monate vor ihrem Tod das Versprechen ab, dass ich ein Auge auf ihren Bruder und meinen guten Freund haben sollte. „Mach ich, wenn du mit 100 gestorben bist“, antwortete ich damals. Ich vermisse sie sehr, und hätte ich gewusst, dass 2013 ihr letzter Geburtstag sein würde, na ja, was hätte man nicht alles …

      Durch meine Sinnsuche und die psychische Unruhe war ich angeschlagener, als ich es mir selbst eingestand, und jetzt noch das. Eine meiner wichtigsten Bezugspersonen in den letzten 20 Jahren war am Ende doch überraschend gegangen. Damit rechnen musste man immer, aber wie so oft im Leben war gerade auch bei ihr in der letzten Zeit viel Antrieb da und anscheinend alles körperlich okay. Es war meine erste Beerdigung von jemandem, der mir so nahestand. Mich bewegte es sehr, wie viele Menschen da waren, bestimmt zwei- bis dreihundert, die in die echt große Kirche in Hof gekommen waren, um Abschied zu nehmen. Es gab eine Andacht und man musste sogar draußen stehen, so voll war es! So viel Liebe war da – jeder, der Anja nur ein bisschen kannte, mochte sie einfach, diese Ausstrahlung, dieses Lächeln und diese Liebe, die sie jedem entgegenbrachte, waren unglaublich. Es war eine schöne Andacht und es freute mich, dass wir bei der Familie saßen und mit ihnen zusammen an Anja denken durften.

      Das Jahr wurde eine Achterbahnfahrt. Hans, Anjas Freund, war so nett, mich mit seiner Firma auf eine außergewöhnliche Reise zum Polarkreis einzuladen. So konnten wir nach dem Tod von Anja ein paar Tage zusammen verbringen und gemeinsam trauern. Zum Glück war es aber auch sehr spaßig, über Anja zu sprechen und sich auch an Lustiges zu erinnern, sie hätte es so gewollt. Ich habe noch heute das Gefühl, dass sie immer, wenn ich sie brauche, in meiner Nähe ist, und das ist immer ein gutes Gefühl.

       GESCHÄFT GEHT NACH OBEN, SINNSUCHE GEHT NACH UNTEN

      Schon verrückt, wie einfach es mir von der Hand ging, die Firma ins Laufen zu bekommen.

      Dank meines noch neuen Kollegen Markus und meiner Frau, die immer unschätzbar ruhig und wie ein Mount Everest hinter einem stehen, und dank meiner neuen und alten Freunde hätte alles so gut sein können, und das war es zunächst auch. Aber irgendwie war ich ständig unruhig und rastlos. Die Firma lief immer besser und wir schafften es jedes Jahr, den Umsatz zu verdoppeln, gleichzeitig kamen jedoch immer mehr Symptome hoch, auf die ich hätte hören sollen. Besonders


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