Gegen das Tabu. Georg Rösl

Gegen das Tabu - Georg Rösl


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Bei der Gelegenheit kam mir der Gedanke, einen Teil meines Geldes in eine Wohnung am Meer in Miami anzulegen. Wie cool wäre das denn?

      Noch vor 14 Jahren saß ich einmal nachts auf einer Bank an der Straße, als ein Audi Coupé an mir vorbeifuhr, und ich fragte mich, ob ich mir jemals so ein Auto würde leisten können. Und jetzt überlegte ich, mir eine Wohnung in Miami zuzulegen. So langsam wurde mir klar, was ich bis dahin alles schon in meinem Leben erreicht hatte. Es gab ja früher durchaus auch Zeiten, in denen ich nicht wusste, wie ich das Essen bezahlen sollte. Der Urlaub war traumhaft, die Rückkehr ins Büro im September 2009 leider nicht. Nach über vier Wochen Hochzeitsreise saß ich in meinem Büro, hatte null Komma null Power und war direkt wieder total ausgelaugt und mit meinen Nerven am Ende. Was war denn bloß los mit mir?

       DER 10. NOVEMBER 2009 – EIN SCHWARZER TAG FÜR MEINE SEELE

      Nach dem Schock und der tagelangen medialen Berichterstattung über den Tod von Robert Enke war ich kaum ansprechbar. In mir drehte sich alles und ich hatte einen richtigen Nervenzusammenbruch. Meine Verzweiflung wurde so groß, dass ich in mehreren Kliniken anrief und um Hilfe bat. Aber die Antwort war nur: „Wir schicken Ihnen einen 18-seitigen Bogen zu, den Sie bitte ausfüllen.“ Ich hatte dafür keine Kraft, meine Nerven lagen blank. Es war schon kaum zu schaffen, diese Anrufe zu tätigen, und dann noch ein Formular auszufüllen, unmöglich. Wenn ich gesund bin, traue ich mir sogar die Besteigung des Mount Everest ohne Vorbereitung zu. Aber in meiner Situation schien mir selbst das Ausfüllen eines Formulars schwieriger zu sein, als den höchsten Berg der Welt zu bezwingen. Ich schaffte es nicht, meine Frau zu bitten, den Bogen mit mir auszufüllen. Ich wollte ihr auch nicht sagen, wie schlimm es mir ging, und versteckte das daher ziemlich gut vor ihr.

      Ich versuchte dann, die Erlebnisse und die Angst der letzten Monate im Rücken, meinen Plan in der Firma umzusetzen, mich teilweise zurückzuziehen. Auch, um mich so aus der Depression rauszuarbeiten. Die Idee war konkret: Einer meiner Mitarbeiter aus dem Vertriebsteam sollte meinen Posten und meine Anteile übernehmen und der Finanzvorstand meine restlichen Anteile. Ich wollte nur noch einfacher Vertriebsmitarbeiter bleiben. Fehlte nur noch, das Ganze in die Tat umzusetzen.

      Und das alles spielte sich vor dem Hintergrund ab, dass meine Frau und ich es weiter mit der künstlichen Befruchtung versuchten, was uns natürlich beide sehr belastete. Das Schlimmste war, dass alle in der Firma davon wussten, es den Herren aber egal war und sie lieber auf ihren Vorteil schauten, ohne Rücksicht auf Verluste. Ich hätte alles verzeihen können, aber dass sie das, was dann folgte, ohne Rücksicht auf mich und besonders meine Frau durchzogen, liegt bis heute wie eine Bleikugel in meinem Magen. Leider ist mir die Erfahrung nicht erspart geblieben, mit einer solchen menschlichen Enttäuschung umzugehen und sie zu verarbeiten. In so einem Ausmaß kannte ich das nicht, hatte es nicht erwartet und wusste auch nicht, wie es sich in meine Seele einbrennen und welche katastrophalen Folgen es für mich haben würde.

       TAGE DER WAHRHEIT: EHRE ODER WORTBRUCH

      Wir waren nach den ganzen ICSIs im ersten Halbjahr 2010 noch mal zwei Wochen zur Erholung in den Urlaub gereist, aber die vergingen zu schnell und ich war wieder in der Wirklichkeit angekommen. Ich wollte nun das Besprochene mit den Kollegen in der Firma durchziehen und über die Bühne bringen. Mein Bauchgefühl sagte mir mal wieder, dass etwas nicht stimmte. Aber das war mir egal, ich war mir sicher, dass ich das Spiel besser könnte als die beiden.

      Ich veranlasste sowohl die Erstellung der Unterlagen für die Aufhebung meines Vertrags als auch der Papiere zum Verkauf der Anteile. Meinen neuen Arbeitsvertrag ließ ich mir per E-Mail bestätigen. (Heute reicht mir auch nur ein Wort. So sollte das im Leben sein, wenn jeder sich an sein Wort hält, gibt es keine Probleme.) Tief in mir wusste ich wohl schon, dass sie ihr Wort nicht halten würden. Für den Fall der Fälle war da ja noch die eine Klausel in meinem Vorstandsvertrag – mit einer Abfindung, wenn der Vertrag nicht verlängert würde. Ziehen wollte ich die Klausel nicht, aber zur Not würde ich sie ziehen, wenn mein Partner tatsächlich nicht Wort halten sollte. Ich beschloss, es darauf ankommen zu lassen. Die Unterschriften liefen alle glatt, der Deal war unter Dach und Fach. Im September wollten wir dann meinen neuen Arbeitsvertrag als Vertriebsleiter schließen.

      Meine Frau und ich fuhren im August noch mal in den Urlaub nach Miami, um die Sonne zu genießen, aber auch, um zu überlegen, ob wir dort nicht vielleicht sogar ein paar Jahre leben wollten. Unter Palmen am Strand mit einem Cocktail in der Hand – es gibt schlechtere Orte für eine Auszeit. Ich informierte mich, was eine für uns passende Immobilien kosten würde. Da die geplatzte Immobilienblase noch voll im Gange und der Immobilienmarkt in den USA zum Erliegen gekommen war, lag der Dollar bei 1,40 und die Preise für Immobilien waren im Keller. Der Floh in meinem Ohr, Geld in eine Immobilie zu stecken, wurde zu einer konkreten Idee:

      a)Das Geld ist gut und sicher in einer Immobilie geparkt.

      b)Ein Verlust bei diesem niedrigen Stand und guten Wechselkurs ist unwahrscheinlich.

      c)Das Gefühl, sich so einen Traum zu erfüllen, ist unbezahlbar.

      d)Reisen und Leben in fernen Ländern bildet.

      e)Sonne und Spaß als Rendite reichen mir völlig aus, mehr brauch’ ich nicht.

      Und wie es der Zufall so wollte, fanden wir in einem der Türme direkt am Strand eine schnuckelige kleine Neubauwohnung im 33. Stock für den Preis, den man auch für eine normale 3-Zimmer-Wohnung in Deutschland bezahlt. Sieben Pools am Deck im sechsten Stock, 2.000 qm Fitnessstudio, eigener Strand und in erster Meereslinie. Dafür bekam man schon damals in München nur eine 2-Zimmer-Wohnung mit Blick auf das Nachbarhaus.

      Sich den Traum von einer Wohnung am Atlantik zu erfüllen wäre einfach nur geil. Doch vom Traum zum Albtraum ist es manchmal nur ein kurzer Weg: Im September stand ja der schriftlich ausgemachte Termin an, um meinen neuen Angestelltenvertrag als Vertriebsleiter zu unterschreiben. Zwei Tage vorher kam eine Mail (!) von meinem ehemaligen Partner, dass man künftig auf meine Dienste in der Firma verzichten werde, ich also nicht Vertriebsleiter werden würde. Dieses Verhalten haute mich um und verletzte mich tief. Ich war zwar darauf vorbereitet, aber dass sie mich so ausschalten wollten, hätte ich einfach nicht gedacht, warum auch? Wieder mal hatten mein gesunder Menschenverstand und mein Bauchgefühl recht behalten. Ich sollte einfach öfter daraufhören.

      Das war bis dato mein größter beruflicher Erfolg und gleichzeitig meine schlimmste Erfahrung. Und ich lag ja sowieso schon nach dem Verlust unseres Kindes am Boden. Aber mich mit einem Wortbruch aus der eigenen Firma zu schmeißen war ein heftiges Erlebnis. Mir so das Messer in den Rücken zu stechen war eine bittere Pille, die ich noch Jahre mit mir herumtrug. Und dabei hatte ich ihnen meine Firmenanteile sogar nur zum reinen Kassenwert überlassen. Auf dem freien Markt hätte ich das X-Fache erlösen können.

      Wer mich kennt, weiß, ich schmeiße nie den ersten Stein, sondern versuche immer, alles gütlich zu klären. Aber ich stoppe auch nicht nach einer Niederlage oder wenn ich erschöpft bin, sondern erst, wenn ich fertig bin. Und da war ja noch die Klausel aus meinem Vorstandsvertrag …

       DER VERSUCH, ALLES HINTER MIR ZU LASSEN UND DIE SEGEL ZU HISSEN

      Nach einigen Monaten hatte ich mich psychisch scheinbar einigermaßen stabilisiert. Dafür traten plötzlich verstärkt körperliche Beschwerden auf. Herzrasen, extremes Bruststechen, Tests ohne Befund, Kurzatmigkeit auf der Lunge, EKG ohne Befund, extreme Magenprobleme, Magenspiegelung ohne Befund, Druck auf dem Gehirn, auch ohne Befund. Ich rannte monatelang zu Ärzten, alles ohne ein Ergebnis. Heute weiß ich, dass die Symptome letztlich doch ausschließlich auf meine psychische Schieflage zurückzuführen waren.

      Im Februar 2011 musste ich mich entscheiden, die Klausel aus meinem Vorstandsvertrag zu ziehen oder nicht. Mein Anwalt Herr Popp sagte, die Klausel sei nahezu wasserdicht, bemerkte aber auch meine Skrupel, da ich nicht die restlichen Mitarbeiter in der Firma unter dem Fehlverhalten anderer leiden lassen wollte. Ich wusste, dass meine Abfindung


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