Clausnitz. Sebastian Caspar

Clausnitz - Sebastian Caspar


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kleinen islamisch geprägten Republik im Kaukasus, in der sogenannte Traditionen wie Zwangsverheiratung, Kopftuch und Ehrenmorde in den letzten fünfzehn Jahren eine grausame Renaissance erfahren haben. Amina ereilte das Schicksal der Zwangsheirat und damit verbunden, Erniedrigung, Vergewaltigung und brutalste Gewalt. Ihr zukünftiger ‚Mann‘ zwang Amina, als sie sechzehn war, in sein Auto. Sie wusste überhaupt nicht wie ihr geschah, dachte, dass dieser Spuk nach ein paar Stunden ein Ende nehmen würde, doch weit gefehlt. Amina wurde im Haus der Familie ihres Kidnappers festgehalten, denn, hätte sie in den nächsten zwei Tagen zurück zu ihren Eltern fliehen können, wäre die avisierte Heirat null und nichtig gewesen. Aus diesem Grund werden junge Mädchen aus Inguschetien, Dagestan und Tschetschenien entführt und gefangen gehalten, sodass am nächsten Tag die Ehe vollzogen werden kann. Diese kriminellen und menschenverachtenden Handlungen werden oft von lokalen Amtsträgern und den ansässigen Imamen gedeckt, wenn nicht sogar initiiert. Frauen, Schwule oder Oppositionelle haben unter der harten Hand Ramsan Kadyrows in Tschetschenien nichts zu lachen und dem Clanregime unliebe Personen werden verhaftet und oft mit konstruierten Deliktvorwürfen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Durch Folter und Todesdrohungen werden fabrizierte Geständnisse erzwungen. Frauen sind dazu auch noch von brutalster häuslicher Gewalt betroffen. Eine Entführung mit darauffolgender Zwangsheirat ist oft der Anfang eines unvorstellbaren Martyriums, was mit dem sexuellen Missbrauch der oft nicht älter als fünfzehnjährigen ‚Braut‘ beginnt und immer häufiger in sogenannten Ehrenmorden endet.

      Ein paar Minuten später sitze ich mit Amina an ihrem kleinen Tisch, trinke Tee und zwinge mich, einige Kekse zu essen. Wir reden dabei nicht und das ist völlig okay so. Ich kenne ihre Geschichte und sie die meine. Vor zwei Monaten ist Amina ins Heim gekommen und hat sich aus Angst und Scheu vor den Männern mit einer Art Tschador verhüllt. Von Anfang an habe ich gespürt, dass uns beide etwas verbindet, und sei es nur der gemeinsame Schmerz. Ich half Amina, zwei Plätze im Kindergarten zu bekommen, damit ihre Kinder, Sinaida und Baschir, Zwillinge, beide fünf Jahre alt, sich eingewöhnen können und sie etwas Zeit für sich hat. Amina ist vor ihrem Ehemann aus Inguschetien geflohen und bekommt seitdem von ihm via Whatsapp Todesdrohungen. Auch hat sie von Bekannten gehört, dass er auf dem Weg nach Deutschland ist, um die Ehre seiner Familie wiederherzustellen. Was das bedeutet, wissen wir beide.

      Dass sie kaum Chancen auf Asyl hat, da Inguschetien als ‚sicher‘ gilt und sie einen Pass besitzt (also problemlos abgeschoben werden kann), sage ich ihr nicht und habe es auch nicht vor. Wir retten uns beide von Tag zu Tag. Wir wissen das. Irgendwann habe ich Amina auch von ihm erzählt, von M. Und obwohl ihr diese Welt der selbst auferlegten Liebe fremd ist, hat sie mich verstanden. Unser Schmerz ist von derselben Intensität, obwohl dessen Herkunft sich unterscheidet. Amina gibt mir das Gefühl, nicht komplett allein zu sein und irgendwie tröstet mich dieser Umstand etwas. Die Kekse erzeugen in mir einen richtigen Energieschub, auch wird es Zeit, wieder nach unten zu Christian und Rafik zu gehen. Ich frage Amina, ob ich noch etwas für sie tun kann, doch sie verneint, lächelt, möchte mir keine Umstände machen. Sie wird bald ihre Kinder abholen, gerne kann ich morgen wieder vorbeikommen. Ich schließe sie in die Arme. Der kurze Besuch hat mir gutgetan. Jetzt bin ich bereit für den Besuch in der Grundschule, fühle mich gefestigt, ihn zu sehen. Ich verabschiede mich von Amina und laufe den dunklen Flur entlang bis zur Treppe, steige langsam die Stufen hinab.

      Vor dem Büro steht niemand, was mich etwas verwundert. Christian scheint die Fälle megaschnell abgearbeitet zu haben, und als ich in das Zimmer trete, packen er und Rafik bereits die Laptops in die Kiste.

      „Hey, was ist los?“, frage ich verwundert. „Seid ihr schon fertig?“

      „Ja, eigentlich hatten alle nur die gleichen Briefe vom Ausländeramt. Ging schnell“, sagt Christian und zuckt mit den Schultern.

      „Okay. Na umso besser.“ Ich warte einen Augenblick. „Dann können wir ja jetzt zur Grundschule fahren.“

      „Nee, das wird nichts. Die Mutter des Jungen war gerade hier. Er ist krank, liegt im Bett. Hat wohl Fieber oder so. Wir haben die Anmeldung auf nächste Woche Montag verschoben.“

      „Oh“, ist alles was ich sagen kann, meine Knie beginnen zu zittern.

      „Ja, ist doch cool. Dann machen wir jetzt Feierabend“, sagt Christian beschwingt. „Ich habe eh die Schnauze voll.“

      Ganz in einem Zustand geistiger Verwirrung gefangen, helfe ich Christian die Kisten zum Auto zu tragen und frage mich, ob eine höhere Kraft dies alles so entschieden hat. Ich meine den Fakt, heute nicht mehr die Grundschule zu besuchen, die Gewissheit, M heute nicht mehr sehen zu können. Und während der Fahrt zurück ins Büro erscheinen mir die vorbeifliegenden Häuser wie riesige Felsen, die immer näher rücken und versuchen, uns zu zerquetschen. Die Straße ist ein schwarzer wabernder Fluss, die Wolken angeordnet zu einer irren, sich ständig bewegenden Szenerie. Ich starre durch die Frontscheibe auf das dahinrasende Band der Mittelstreifen. So, als stünde dort eine Antwort auf meine Fragen. So, als könnte ich irgendeine Bedeutung darin erkennen. Doch nichts erschließt sich. Alles bleibt ungewiss und vage. Ich tappe weiter durch das Labyrinth meines Lebens.

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