Digitale Transformation von Arbeit. Hartmut Hirsch-Kreinsen

Digitale Transformation von Arbeit - Hartmut Hirsch-Kreinsen


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industriellen Revolution sprechen könne. Industrie 4.0 knüpfe unübersehbar an Produktionskonzepte einer Vernetzung der Datenbestände aus den 1980er Jahren an. Diese wurden in den letzten Jahrzehnten unter dem bekannten Stichwort Computer Integrated Manufacturing (CIM) diskutiert und in den 1980er Jahren zumindest ansatzweise realisiert. Technologisch gesehen sind Gemeinsamkeiten zwischen dem CIM-Konzept und Industrie 4.0 in der Tat unübersehbar. Der Gedanke, eine informationstechnische Integration von Produktion und Logistik über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg und die Verknüpfung der virtuellen mit der realen Produktionsebene zu realisieren, wurde schon bei CIM vorweggenommen (vgl. Menez et al. 2016). Ebenso wurde schon damals das auch für Industrie 4.0 gültige ökonomische Ziel formuliert, Wertschöpfungsprozesse anpassungsfähig zu gestalten, Einzelleistungen rentabel zu produzieren und flexibel auf Störungen zu reagieren (vgl. Brödner 2018). Zwar wurde CIM aufgrund technologischer Barrieren (insbesondere der damaligen zentralistischen Rechnerstrukturen) kaum realisiert, jedoch wird nun davon ausgegangen, dass diese früheren Ideen auf Basis der neueren technologischen Entwicklung tatsächlich umgesetzt werden können. Nicht überraschend ist daher auch, dass gerade der frühere deutsche »CIM-Papst« und Informatiker August-Wilhelm Scheer eine Kontinuität technologischer Entwicklung betont (vgl. Scheer 2013).

      Aus den gleichen Gründen wird von anderen Experten die Innovativität dessen, was unter Industrie 4.0 verstanden wird, als nicht sonderlich überzeugend angesehen. So seien nicht nur die Konzepte nicht neu, sondern man könne auch bis heute keine wirklich weitreichenden Fortschritte bei der industriellen Nutzung neuer intelligenter Systeme erkennen. Festgehalten wird daher: »So entpuppt sich die ›vierte industrielle Revolution‹ vor allem als eine Revolution der Worte (…), bei freilich enorm gesteigerter Leistung der Digitaltechnik, die früher außer Reichweite liegende Anwendungen möglich macht.« (Brödner 2018, S. 335) Folgt man diesen Argumenten, dann ist Industrie 4.0 weniger als treibendes Moment einer neuen industriellen Revolution denn als Ausdruck einer pfadabhängigen Weiterentwicklung früherer technologischer Konzepte zu verstehen. Die noch genauer zu skizzierenden Evidenzen hinsichtlich der digitalen Transformation von Arbeit belegen diese Perspektive (image Kap. 3.1).

      Neben diesen technologisch begründeten Einwänden gewinnen im laufenden Diskurs über Industrie 4.0 auch zunehmend Fragen nach den Risiken für Arbeitsprozesse und nach möglichen negativen Konsequenzen für Tätigkeiten und Qualifikationen an Bedeutung. So werden beispielsweise Gefahren der Dequalifizierung, ein deutlich erhöhtes Kontrollpotenzial, eine forcierte Flexibilisierung und Prekarisierung von Arbeit, ein wachsendes Stresspotenzial und die Gefahr eines schnellen und hohen Arbeitsplatzabbaus thematisiert (vgl. z. B. IG Metall 2013; Kuhlmann/Schumann 2015; BMAS 2017a). Ganz im Gegensatz zu den erwähnten positiven ökonomischen Prognosen ist die Furcht vor weitreichenden Arbeitsplatzverlusten Gegenstand einer intensiven öffentlichen Debatte und einer zunehmenden Anzahl von Studien. Ein wichtiger Bezugspunkt dieser Debatte ist die international breit rezipierte Studie von Benedikt Frey und Michael Osborne (2017), in deren Zentrum die Aussage steht, dass perspektivisch rund die Hälfte aller Berufe (47 %) des US-amerikanischen Arbeitsmarkts in die »High Risk«-Kategorie fallen, d. h. zukünftig automatisiert werden könnten. Diese Studie bildet die Folie für viele weitere, zumeist digitalisierungskritische Analysen und Diskussionsbeiträge über die Perspektive anderer Länder und Regionen, und es werden zum Teil erhebliche Substitutionseffekte und Brüche auf dem Arbeitsmarkt prognostiziert. Daher nimmt die Frage nach möglichen Arbeitsplatzverlusten in der öffentlichen Debatte über Digitalisierung einen zunehmenden Stellenwert ein und konterkariert damit die skizierten technikutopischen Perspektiven.

      Mit der fortschreitenden Nutzung von Plattformen zur Organisation global verteilter Arbeit steht zudem zu befürchten, dass feste Arbeitsverhältnisse zunehmend und unkontrollierbar durch prekäre Beschäftigung ersetzt werden (image Kap. 3.3). Als gesellschaftspolitisch nicht akzeptable Konsequenzen werden nicht nur der Verlust eines stabilen Einkommens und der sozialen Absicherung der Beschäftigten gesehen. Diese mögliche Entwicklung wird darüber hinaus auch als Bedrohung für den Sozialstaat und seiner auf dauerhaften Arbeitsverhältnissen beruhenden Finanzierungsbasis aufgefasst (z. B. BMAS 2017a; Hill 2017).

      Mit weiteren kritischen Argumenten werden die Entwicklung und Diffusion von Systemen der Künstlichen Intelligenz und die damit verbundenen rechtlichen und vor allem ethischen Herausforderungen thematisiert, deren Regelung nach Ansicht vieler Kritiker der weiteren technologischen Entwicklung durchaus Grenzen setzen sollten (image Kap. 8.3). Die rechtlichen Herausforderungen der Digitalisierung werden seit längerem intensiv diskutiert, und als zentrale, vielfach ungelöste Probleme werden die Themen Datenschutz und Datensicherheit angesehen (vgl. z. B. Forschungsbeirat Industrie 4.0 2019). So sind trotz existierender rechtlicher Rahmenregelungen wie die Datenschutz-Grundverordnung der EU die neuen Potenziale, Folgen und Grenzen der Datennutzung etwa zur Verbesserung der Betriebsabläufe sowie die Möglichkeiten der Leistungskontrolle bislang wenig geklärt. Experten konstatieren beispielsweise eine hohe Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Anwendbarkeit des Datenschutzrechts und der Interpretation existierender Generalklauseln. Zudem wird kritisch angemerkt, dass Kriterien für die rechtsgemäße und rechtsverträgliche Gestaltung der neuen Technologien und der technikadäquaten Fortbildung des Rechts weitgehend fehlen. Des Weiteren müssten wirksame Regeln für die Erfassung und Weitergabe personenbezogener Daten und die individuelle Leistungsüberwachung unter Wahrung der Datensouveränität und Identifizierung von ethischen und rechtlichen Grenzen entwickelt werden (vgl. Abel et al. 2019).

      1.4 Argumentationsleitende Grundannahmen

      Nun kann die Erwartung eines disruptiven Wandels sozialer und ökonomischer Verhältnisse mit durchaus widersprüchlichen Konsequenzen nicht grundsätzlich bestritten werden. Ohne Frage ist in einer ganzen Reihe von Wirtschaftssektoren und Arbeitsmarktsegmenten durch Digitalisierung ein anhaltender Prozess weitreichender struktureller Veränderungen im Gange. Beispielsweise betrifft dies seit dem Ende der 1990er Jahre jene o. g. Sektoren, wo Produktion, Verkauf und Kommunikation unmittelbar auf immateriellen Transaktionen sowie der Nutzung von großen Datenmengen beruhen. Auch im Konsumtionsbereich finden durch die Nutzung digitaler Plattformen als Koordinationsmedium weitreichende Wandlungsprozesse statt, die zu einer neuen Qualität von Kundenbeziehungen, Geschäftsmodellen und damit zusammenhängenden Arbeitsmustern führen. Zu nennen ist hier die durch digitale Vernetzung und Nutzung von Internetplattformen offensichtlich beschleunigte Ausweitung von Formen entgrenzter und kollaborativer Arbeit, die auch als Crowdwork oder Gigwork bezeichnet werden (image Kap. 3.3).

      Indes findet sich ein solcher disruptiver Strukturwandel


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