Digitale Transformation von Arbeit. Hartmut Hirsch-Kreinsen

Digitale Transformation von Arbeit - Hartmut Hirsch-Kreinsen


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alt="image"/> Kap. 7 und 8).

Teil I – Strukturwandel von Arbeit

      2.1 Contra Technikdeterminismus

      Die meisten der optimistischen und pessimistischen Prognosen in der wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte über die sozialen Folgen der digitalen Transformation argumentieren sehr verkürzt. Sie gehen davon aus, dass die neuen digitalen Technologien eindeutig bestimmbare und vor allem auch für die Zukunft voraussagbare soziale Konsequenzen nach sich ziehen. Mit dieser Sicht vernachlässigen sie Basiserkenntnisse sowohl der Innovationsforschung als auch der sozialwissenschaftlichen Technik- und Arbeitsforschung.

      Demgegenüber ist Ausgangspunkt der folgenden Argumentation die in Kapitel 1.4 genannte erste Grundannahme, dass der Zusammenhang zwischen der Entwicklung neuer Technologien und ihren möglichen Anwendungspotenzialen, ihrer Verbreitung und Nutzung und schließlich ihren sozialen Konsequenzen keinesfalls eindeutiger Natur ist. Vielmehr handelt es sich dabei um einen komplexen und wechselseitigen Zusammenhang, der von einer Vielzahl nicht-technischer, ökonomischer, sozialer und arbeitspolitischer Faktoren geprägt wird. Deren Einfluss entscheidet darüber, in welcher Weise die Nutzungspotenziale der Technologien tatsächlich ausgeschöpft werden und welche Konsequenzen für Arbeit sich dabei einstellen. Mit Rückgriff auf den Stand der Forschung lässt sich diese These knapp wie folgt begründen:

      Evolutionstheoretische Ansätze aus der Innovationsforschung zeigen, dass technologische Innovationen zwar stets zielgerichtet und dynamisch verlaufen, ihr Verlauf zugleich jedoch widersprüchlich und ihr Ausgang ungewiss ist. Entscheidend für die sich jeweils einstellenden Verlaufsmuster von Innovationen und die dadurch angestoßenen sozialen und ökonomischen Veränderungen sind danach zum einen die Erarbeitung und Variation technologisch möglicher Entwicklungspotenziale, zum anderen ihre Selektion im Lichte konkreter Anwendungserfordernisse und ihrer Vermarktungschancen (vgl. z. B. Fagerberg 2005). Grundsätzlich stehen daher der technische Wandel und die Verbreitung neuer Technologien in enger Wechselwirkung mit den jeweils gegebenen ökonomischen und sozialen Strukturen der Nutzer und der Anwender.

      Dieser Zusammenhang lässt sich konzeptionell verdeutlichen, wenn man Joseph Schumpeters begriffliche Differenzierung von Innovationen aufgreift. Danach umfasst ein Innovationsprozess vier Stufen: Invention, d. h. die Erfindung einer neuen Technologie, Innovation, die Weiterentwicklung der Technologie hin zu ihrer Marktgängigkeit, Diffusion, d. h. ihre Verbreitung, Implementation, also die konkrete Adaption in gegebene betriebliche Strukturen, und schließlich ihre mögliche Imitation (vgl. Schumpeter 2013 [1942]). Der aktuelle Digitalisierungsdiskurs fokussiert sich zumeist auf die Phasen Invention und Innovation. Entscheidend für die Form der Nutzung neuer Technologien und den Wandel von Arbeit ist jedoch die Frage, wie Diffusions- und Implementationsprozesse neuer Technologien und ihre Adaption in je gegebenen sozialen und ökonomischen Realitäten verläuft und welche Konsequenzen sich aus diesem Prozess ergeben (vgl. zusammenfassend Rogers 2003). Es sind daher nicht die technologischen Eigenschaften und Anwendungspotenziale einer Innovation, die soziale und ökonomische Auswirkungen erzeugen. Vielmehr gilt: »the really interesting aspect of new technologies is whether they prompt investors, companies, labor, and markets to change, or whether these factors and organizations of production resist the absorption of new technologies.« (Erixon/Weigel 2016, S. 13)

      Dabei umfasst ein Implementationsprozess neuer Technologien verschiedene Phasen mit jeweils spezifischen Handlungslogiken und Dynamiken. Sie reichen von der Entscheidung über den Kauf und den Einsatz einer bestimmten Technologie über ihre konkrete Auslegung und Anpassung an die jeweiligen betrieblichen Bedingungen bis hin zur Klärung der Frage, wie sie organisatorisch und personell genutzt werden soll. Die verschiedensten betrieblichen Akteure müssen sich dabei in Aushandlungsprozessen über die je konkrete Systemauslegung, die Praxis ihrer Anwendung und den damit einhergehenden Wandel von Arbeitsnormen verständigen. Stets geht es dabei auch um alternative Systemauslegungen und oft um nicht endgültig geklärte Fragen der Wirtschaftlichkeit. Erst am Ende der unter Umständen langwierigen Aushandlungsprozesse wird eine neue Technologie praktisch angewendet und gewinnt Akzeptanz bei allen Beteiligten. Der Weg zu einer »technology-in-practice« ist – mit anderen Worten – aufwendig, unter Umständen konfliktär, mit vielfältigen Unwägbarkeiten sowie Störungen behaftet und steht in enger Wechselwirkung mit je gegebenen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen (vgl. Orlikowski 2000).


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