Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 4 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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schon siebzehn Jahre alt war, und genauso behandelte sie ihre Stieftochter auch. Immer und überall zwang sie ihr ihren Willen auf. Streng und unerbittlich achtete sie darauf, dass Sissi ihren Wünschen nachkam. Da Max Langenburg keine Zeit hatte, sich um die Erziehung zu kümmern, hatte seine Frau ein leichtes Spiel.

      Sissi sah nicht hoch. Sie fühlte sich grenzenlos einsam und verlassen. Es gab niemanden, mit dem sie über ihre Sorgen sprechen konnte, niemanden, der Verständnis für sie gehabt hätte.

      Seit ihr Vater vor sieben Jahren Astrid geheiratet hatte, hatte er sich mehr und mehr zurückgezogen. Wenn Sissi mit einem kindlichen Kummer zu ihm kommen wollte, verwies er sie stets an die Stiefmutter. So oft hatte Max Langenburg sein Töchterchen schon abgewiesen, dass es Sissi schließlich gar nicht mehr versuchte, ihn zu einem Gespräch zu bewegen.

      Zu Astrid hatte das Mädchen noch nie ein herzliches Verhältnis gefunden. Vielleicht lag es daran, dass die zweite Frau ihres Vaters ihr verboten hatte, von der verunglückten Mutter zu sprechen. Doch für Sissi, die sehr an ihrer Mutti gehangen hatte, war das ein fast unmenschliches Verlangen. Sie konnte ihre Mutti nicht vergessen, auch wenn Astrid das von ihr verlangte, auch wenn sie ihr die Besuche auf dem Friedhof verbot.

      Gerade in dieser Stunde sehnte sich die zarte blonde Sissi schmerzlich nach ihrer Mutti. Mit einer resignierenden Bewegung strich sie sich das lange blonde Haar zurück. Tränen glänzten in ihren blauen Augen. Tränen, die niemand sehen durfte. Denn Max Langenburg wünschte nicht, dass in seinem Haus jemand traurig war. Er arbeitete hart für Luxus und Reichtum, und er erwartete, dass das gewürdigt wurde.

      »Na, dann wird Sissi also in den nächsten Tagen wieder zur Schule gehen. Hoffentlich hast du nicht zu viel versäumt, mein Kind. Du weißt doch, dass ich Wert darauf lege, dass du ein ausgezeichnetes Abitur schaffst. Das bist du unserem Namen schuldig.«

      »Ja, Papa«, antwortete Sissi, folgsam wie ein Kind, obwohl sie ahnte, dass ihr das Lernen in der nächsten Zeit sehr schwerfallen würde. Denn es gab etwas, was sie sehr beschäftigte, was sie einfach nicht würde abstreifen können. Doch ihre Stiefmutter hatte von ihr verlangt, dass sie ihren Kummer nie mehr erwähnte. Bisher hatte sich Sissi diesen Wünschen stets gefügt. Sie würde es auch diesmal tun. Doch sie würde nie mehr so unbeschwert fröhlich sein können, wie ihr Vater das von ihr erwartete.

      Max Langenburg nahm einen Schluck Wein und schüttelte dann leicht den Kopf. Eigentlich hatte er sich schon lange nicht mehr mit seiner Tochter befasst, doch jetzt betrachtete er Sissi etwas genauer als sonst.

      »Etwas sehr ernst erscheinst du mir«, meinte er nachdenklich. »War denn der Aufenthalt nicht angenehm? Gibt es denn nichts von Österreich zu erzählen?«

      Sissi, das zierliche Mädchen, mit dem reizvollen, fast noch kindlich wirkenden Gesicht, sah nicht auf. Sie konnte einfach nicht sprechen. Nicht in dieser Umgebung, in der man tat, als sei nichts geschehen.

      »Elisabeth hat täglich weite Wanderungen gemacht, ist im See geschwommen oder lag auf der Terrasse, um in ihren Büchern zu lesen. Es gab auch ein paar nette junge Leute, die sich sehr um sie bemüht haben«, antwortete Astrid an Sissis Stelle.

      Das junge Mädchen hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Es hasste nichts so sehr wie Lügen.

      Interessiert sah Max Langenburg auf. »Doch nicht etwa ein erster kleiner Flirt?«, fragte er halb erstaunt, halb belustigt.

      »Wo denkst du hin! Elisabeth ist doch noch viel zu jung dafür. Wenn sie ausgeht, dann höchstens mit einem jungen Mann, den sie gut kennt und zu dem wir Vertrauen haben können.«

      Auch Astrid hatte an diesem Abend keinen Appetit. Immer wieder sah sie beschwörend auf ihre Stieftochter. Doch Sissi schien nichts zu bemerken. Es musste etwas geschehen, um das Mädchen auf andere Gedanken zu bringen!

      »Mein Neffe Heiko zum Beispiel würde Elisabeth gern einladen. Er hat die ganze Zeit über ungeduldig auf ihre Rückkehr gewartet.«

      Astrid Langenburg bemühte sich, ihrer Stimme einen schmeichelnden Klang zu geben. Schon oft hatte sie die Erfahrung gemacht, dass ihr Mann ihr nichts abschlug. Das hing wohl damit zusammen, dass er ihr gegenüber immer ein bisschen ein schlechtes Gewissen hatte. Denn einmal kümmerte er sich kaum um sie, und zum anderen konnte er schlecht verhehlen, dass er sie nicht liebte. Er hatte sie geheiratet, weil die damals zehnjährige Elisabeth wieder eine Mutter gebraucht hatte. Seine erste Frau war Österreicherin gewesen, und deshalb hatte er wohl auch bei seiner zweiten Ehe eine Frau aus dem schönen Nachbarland gewählt. Dass Astrid ihre Pflicht erfüllte, dass sie sich um das Kind kümmerte, honorierte er mit verblüffender Großzügigkeit. Er würde sich bestimmt auch im Fall Heiko ganz nach ihren Wünschen richten.

      »Wie alt ist denn dein Neffe jetzt?« Max Langenburg zerschnitt sein Fleisch und spießte kleine Häppchen auf.

      »Dreiundzwanzig. Ein gut aussehender junger Mann. Die Mädchen schwärmen für ihn.«

      »Er studiert Volkswirtschaft, nicht wahr?« Der Neffe interessierte den Verleger nicht sonderlich. Ihm war mehr darum zu tun, ein wenig Konversation zu machen. Dass Sissi so teilnahmslos vor ihrem Gedeck saß, befremdete ihn. Vielleicht würde es doch gelingen, sie aus der Reserve herauszulocken?

      »Ich glaube, er wird noch in diesem Sommer sein Examen machen«, antwortete Astrid, obwohl sie genau wusste, dass dies nicht stimmte. Heiko fand Mädchen viel interessanter als Bücher und war deshalb mit seinen Studien in den Anfängen steckengeblieben. Aber Astrid, die eine Schwäche für den Neffen hatte, konnte ihn verstehen. Sollte der Junge doch seine Jugend genießen. Wenn er, wie sie plante, Elisabeth heiratete, würde er der Nachfolger des Verlegers werden und brauchte den Hochschulabschluss überhaupt nicht.

      »Wenn es dir recht ist, werde ich Heiko in den nächsten Tagen einmal einladen«, fuhr Astrid fort. Noch bevor ihr Mann etwas zu Heikos Berufsausbildung sagen konnte.

      »Warum nicht? Wahrscheinlich werde ich nicht hier sein. Aber Sissi wird ein wenig Abwechslung sicher nichts schaden. Was meinst du, mein Kind?«

      Sissi nickte gehorsam. Wieder einmal fühlte sie sich wie eine Marionette, die willenlos die Befehle ihrer Stiefmutter befolgte. Wenn sie an Heiko Rössner dachte, sah sie ein frech grinsendes Lausbubengesicht vor sich, hörte eine schnarrende Stimme. Heiko sah zweifellos gut aus. Sissis Geschmack war er allerdings nicht. Seine leichtsinnige, oberflächliche Art stieß sie ab. Trotzdem würde sie es nie wagen, ihrer Stiefmama das offen zu sagen. Sie war gegen die herrschsüchtige Frau noch nie angekommen. Und jetzt, da sie körperlich und seelisch labil war, würde es ihr überhaupt nicht gelingen.

      »Warte ab, du wirst dich bestimmt freuen. Heiko ist sehr unterhaltend. Er gefällt dir bestimmt. Wie wär’s eigentlich mit morgen?«

      *

      Der weiße Segeldress stand Heiko Rössner ausgezeichnet. Er lehnte am Mast, das gebräunte Gesicht der Sonne zugewendet. Er war nicht sehr groß, aber kräftig und muskulös. Sein rundes Lausbubengesicht wirkte pfiffig. Auffallend an diesem Gesicht waren die stahlblauen Augen.

      Unbekümmert trällerte Heiko vor sich hin. Es störte ihn nicht, dass sein Freund Wolfgang, dem auch das große Segelboot gehörte, alle Hände voll zu tun hatte, um den wuchtigen Kasten durch die schmale Einfahrt zum Bootshafen zu manövrieren.

      Neben Heiko standen die beiden Mädchen, die zu dieser Segelparty eingeladen worden waren. Gertenschlanke hübsche Blondinen waren es. Beide trugen einen knappen Bikini. Rechts war er rot, links bunt.

      »Seid ihr eigentlich Schwestern?«, erkundigte sich Heiko interessiert. Die jungen Leute waren den ganzen Morgen draußen auf dem See gewesen, und doch wusste Heiko noch immer nicht, welches Mädchen ihm besser gefiel. Das mit der knabenhaften Figur und den süßen Grübchen – oder das andere, das so hübsche weiße Zähne hatte und so verschmitzt lachen konnte.

      »Wie kommst du denn darauf?« Die Mädchen kicherten. »Haben wir dir nicht erzählt, dass wir gleich alt sind? Da wir keine Zwillinge sind, können wir also nur Freundinnen sein.«

      Je ein blonder Lockenkopf lehnte sich, einmal von rechts, einmal von links, an Heikos Schulter. Er fühlte die Wärme der nackten


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