Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Nick wusste, dass er sich auf sie verlassen konnte.
*
Frank hatte einen goldenen Ring ins Pfandhaus gebracht, das letzte Andenken an seine Mutter. Eigentlich hatte er Sissi damit eine kleine Freude machen wollen. Doch nun brauchte er das Schmuckstück nicht mehr. Das, was er dafür bekommen hatte, reichte für ein billiges Nachtquartier und ein warmes Essen.
Der junge Mann suchte nicht lange nach einem Restaurant. Er ging in das nächste Lokal, das er fand. Zu spät bemerkte er, dass es eine schummrig beleuchtete Bar war. Pop-Musik dröhnte aus der Musikbox, auf den hohen Stühlen saßen einige junge Leute, lachten und grölten.
Frank bestellte sich einen Teller Suppe und begann lustlos zu löffeln. Ihm war alles so unendlich gleichgültig geworden. Morgen musste er sich nach einer Arbeit umsehen, um wenigstens leben zu können. Sein Ehrgeiz war dahin. Er würde das nehmen, was sich ihm gerade bot. Notfalls würde er auch Mülleimer schleppen.
Immer tiefer sank Franks Kopf, immer langsamer wurden seine Bewegungen. Er hatte keine Ahnung, dass er von den jungen Leuten an der Bar neugierig beobachtet wurde.
»He, du«, rief plötzlich eine schnarrende Stimme herausfordernd. »Willst du nicht ein Glas mit uns trinken?«
Frank hob müde den Kopf. »Vielen Dank.«
»Du hast doch Zeit, das sehe ich. Komm her, ich lade dich ein. Ich möchte wieder einmal ein anderes Gesicht sehen.« Der Sprecher schien nicht mehr ganz nüchtern zu sein. Seine Zunge war schwer. Er hatte Mühe, sich auf dem Barhocker zu halten. Die Mädchen an seiner Seite kicherten.
Frank strich mit dem letzten Happen Brot den Teller aus. Wenn er es sich richtig überlegte, hatte er tatsächlich Lust, sich zu betrinken. Sinnlos und ohne Maß. Vielleicht würde er dann seinen Kummer vergessen, vielleicht würde er dann wenigstens für ein paar Stunden lustig sein.
»Komm, hier ist ein Platz für dich.«
Heiko scheuchte die blonde Kati von seiner Seite. Folgsam kletterte sie auf den nächsten hohen Stuhl.
Frank stand auf und besah sich die zechfröhliche Gesellschaft. Die Mädchen waren hübsch, wirkten aber ausgesprochen billig. Der junge Mann war sehr gepflegt, nach der neuesten Mode gekleidet und sah ohne Zweifel gut aus. Noch zögerte Frank.
»Für dich gibt es doch auch einen Ärger hinunterzuspülen, stimmt’s?« Heiko Rössner winkte einladend mit der Hand. »Komm, genier dich nicht. Du bist mein Gast! Du gefällst mir, ehrlich. Du siehst so heruntergekommen und doch so grundsolide aus. Solche Typen mag ich. Sie sind zuverlässige Freunde. Und Freunde kann man immer brauchen, nicht wahr?«
Wieder kicherten die Mädchen. Der Barkeeper lächelte steif. Heiko Rössner war einer seiner besten Gäste.
In Gedanken sah Frank Brehm das spärlich möblierte Zimmer vor sich, in dem er die Nacht verbringen würde. Nein, es war tatsächlich noch viel zu früh, um hinzugehen. Außerdem würde er ohnehin nicht schlafen können. Erst wenn er genügend getrunken haben würde, würde ihm leichter sein.
Frank ging mit steifen, hölzern wirkenden Bewegungen zu den anderen. Er stellte sich kurz vor und setzte sich.
»Vier doppelte Whisky, Jonny!«, bestellte Heiko fröhlich. »Liebeskummer?«, wandte er sich danach neugierig an seinen Gast.
Frank gab keine Antwort. Er ergriff das Glas, das man vor ihn hingestellt hatte, und führte es an die Lippen. Gierig trank er es aus. Doch dann zeigte sich, dass er in seinem Leben noch nicht viel Alkohol getrunken hatte. Der Whisky brannte wie Feuer in seiner Kehle. Seine bleichen Wangen färbten sich rot. Er hustete.
»Immer der Ärger mit den Mädchen«, meinte Heiko. »Du solltest deine Süße vergessen. Mach es wie ich und amüsiere dich mit anderen.« Er legte seinen Arm um seine Nachbarin, drehte ihren Kopf herum und drückte ihr rasch einen Kuss auf die vollen Lippen.
»Unsere Kati wird dich ein bisschen trösten.« Heiko gab dem Mädchen zu verstehen, dass es näher zu Frank rücken möge.
Die kesse Kati ließ sich so etwas nicht zwei Mal sagen. Schmeichelnd strich sie über Franks dunkle Locken. Dieser junge Mann hatte zwar offensichtlich kein Geld, aber hübsch war er. Sehr hübsch sogar.
Endlich bekam Frank wieder Luft. Er wich der liebkosenden Hand aus und rückte etwas von Kati ab. Wenn er sich auch einsam fühlte, nach Abenteuern mit anderen Mädchen war ihm durchaus nicht zumute.
»Du wirst doch nicht prüde sein?« Heiko schob sein leeres Glas über den Tisch. »Noch einmal dasselbe, Jonny. Und für meinen Freund auch!« Er sah seinen neuen Nachbarn bereits doppelt. Doch er war gewohnt, mit einem solchen Zustand fertig zu werden.
»Was glaubst du, weshalb ich hier sitze und mich betrinke? Mein Mädchen ist reich, aber langweilig. Richtig langweilig. Man kann nichts mit ihr anfangen. Es ist zum Heulen.« Heiko hob das gefüllte Glas. »Prost«, grölte er. Er trank den starken Whisky wie Wasser und fuhr fort: »Sissi, hab ich gesagt, wir gehen aus. Aber sie will nicht. Sie sitzt lieber über ihren Schulbüchern.« Er kippte den Rest des Alkohols hinunter.
»Sissi?« Zum ersten Mal sah Frank sein Gegenüber offen an. Jede Einzelheit des runden Lausbubengesichts prägte er sich ein.
»Ja, so sage ich zu ihr. Tante Astrid nennt sie Elisabeth, und eigentlich passt es viel besser zu ihr. Sie ist genauso steif und altmodisch wie ihr Name.« Heiko wusste nicht mehr, was er sagte. Es war, als plappere nur sein Mund.
Frank Brehm wurde es heiß und kalt. Das Blut pochte dumpf in seinen Schläfen. War dies der Mann, von dem Frau Langenburg gesprochen hatte? Der Mann, den Sissi heiraten würde? Am liebsten hätte Frank den anderen am Revers seines eleganten Sommeranzugs gepackt und hin und her geschüttelt. Dieser Kerl bekam das schönste, das beste Mädchen der ganzen Welt und schämte sich nicht, öffentlich über Sissi zu schimpfen?
»Wie können Sie so etwas sagen?«, empörte sich Frank.
»Reg dich nicht auf«, brummte Heiko versöhnlich. »Du kennst sie ja nicht. Geldadel, weißt du. An so etwas kommt man nur mit guten Beziehungen heran.«
Er klopfte sich selbstgefällig an die Brust. Beinahe hätte er dabei das Gleichgewicht verloren. Doch seine Begleiterin hielt ihn hilfreich fest.
»O doch, ich kenne sie«, zischte Frank feindselig. »Sehr gut sogar. Sie ist ein prachtvolles Mädchen. Viel zu schade für Sie.«
Heikos Blick war glasig. Seine Reaktion war langsam und schwerfällig. Deshalb nahm er Frank auch nicht ernst. »Komm, trinken wir«, lallte er und griff nach dem Glas, das Jonny frisch gefüllt hatte.
Frank war der Appetit auf weiteren Alkohol vergangen. Er schob das Glas zurück. »Hören Sie, ich werde dafür sorgen, dass Sissi Sie nicht heiratet. Weil ich nicht will, dass sie unglücklich wird. Ich werde nicht zulassen, dass man sie belügt.«
Heiko lachte schallend. »Gar nichts werden Sie«, grölte er. »Sissi mag mich!« Zufrieden klopfte er sich an die Brust. Diesmal kippte er tatsächlich vom Stuhl. Doch er kam recht geschickt auf die Beine und hielt sich nun an Kati fest.
»Sie haben es doch nur auf Sissis Vermögen abgesehen!« Frank war richtig wütend.
»Geht Sie das etwas an?«, fragte Kati, die nun Heikos Partei ergriff. Da sie weniger getrunken hatte als er, spürte sie eher, dass sich hier kein Wortgeplänkel, sondern ein handfester Streit anbahnte.
»Ja. Geht es Sie etwas an?«, wiederholte Heiko schwerfällig. »Bin ich…, bin ich Ihnen Rechenschaft schuldig? Ist das vielleicht der …, der Dank für meine Gastfreundschaft?«
»Ich werde meinen Whisky selbst bezahlen«, schnaubte Frank. Grimmig warf er ein Geldstück auf die Theke.
»Lassen Sie uns jetzt in Ruhe. Wir sind eine friedliche Gesellschaft«, maulte Heiko ernüchtert.
»Nur zu gern«, gab Frank eisig zurück. »Aber wir werden uns noch sprechen, verlassen Sie sich darauf.«
»Ein Verrückter!«, meinte Kati und tätschelte