Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
konnte das nur ein Irrtum sein. Dann wusste sie nichts von seinen Mädchenbekanntschaften, von seinen Abenden in der muffigen Bar.
Frank war entschlossen, Sissi die Augen zu öffnen. Sie musste wissen, wen sie da heiraten wollte. Gleich morgen würde er noch einmal bei den Langenburgs vorsprechen.
Die Probleme, die Frank hatte vergessen wollen, waren plötzlich noch stärker gegenwärtig als zuvor. Am liebsten wäre der junge Mann noch an diesem Abend zu der Villa des Verlegers gegangen. Doch er wusste, das war sinnlos. Niemals würde man ihn vorlassen. Er musste bis zum nächsten Tag Geduld haben.
Wenn die Langenburgs den Hochzeitstermin bereits festgelegt und bekanntgegeben haben, wird nichts sie dazu bewegen können, die Hochzeit abzusagen, überlegte Frank. Er raufte sich die Haare. Gab es denn keinen Ausweg?
*
Es kam selten vor, dass Nick ins Büro seines Stiefvaters gerufen wurde. Deshalb hatte er ein bisschen ein schlechtes Gewissen, tat aber harmlos. »Hallo, Vati«, sagte er. »Darf ich bei der Heuernte helfen?«
Alexander von Schoenecker sah von seinen Geschäftsbüchern auf. »Mal sehen. Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich dich kommen ließ. Hier ist ein Brief für dich, Nick.«
»Ein …, ein Brief?« Nick fühlte, wie seine Ohren heiß wurden. Er hatte jeden Tag vor dem Park von Gut Schoeneich auf den Briefträger gewartet. Nur heute hatte er ihn verpasst, und ausgerechnet da musste das blöde Antwortschreiben kommen.
»Ein Brief aus Österreich«, bestätigte Alexander von Schoenecker, dem die Verlegenheit des Jungen natürlich nicht entging. Doch er tat, als bemerke er nichts.
Nick wusste, dass er jetzt um eine Erklärung nicht herumkam. Da war es schon besser, gleich die Wahrheit zu sagen, auch wenn danach ein Strafgericht zu erwarten war.
»Ich habe wegen Tim an die Polizei vom Attersee geschrieben«, bekannte der große, hochgewachsene Junge mutig.
»Davon hast du uns gar nichts gesagt«, tat Alexander überrascht.
»Weißt du Vati, ich wollte …, ich wollte nicht, dass ihr euch damit belastet.« Nick bekam zu seinen glühend heißen Ohren nun auch noch einen roten Kopf.
»Sehr rücksichtsvoll von dir.« Alexander war seinem Stiefsohn nicht böse. Doch er konnte auch nicht dulden, dass der Junge so eigenmächtig handelte. »Lieber wäre es mir allerdings gewesen, wenn du mit Mutti oder mir darüber gesprochen hättest.«
Nick war ein bisschen erstaunt, dass die Stimme seines Stiefvaters überhaupt nicht verärgert klang. »Ich tu es nicht mehr«, versprach er zerknirscht.
»Das würde mich freuen. Nun mach den Brief schon auf. Es interessiert mich, was man dir schreibt.« Alexander blinzelte Nick wie einen Verschwörer zu.
»Danke, Vati.« Nick nahm den Brief entgegen, öffnete ihn und reichte seinem Stiefvater den Briefbogen.
»Das Polizeirevier vom Attersee schreibt, dass ihm nichts von einem Findelkind bekannt sei. Am ganzen Attersee sei ein solcher Fall nicht gemeldet. Es müsse sich wohl um einen Irrtum handeln.«
Nick blies die Backen auf. »Mann … Dann hat Frau Langenburg gelogen!«
Alexander von Schoenecker hob warnend den Zeigefinger. »Nicht so rasch, mein Junge. So etwas dürfen wir nicht behaupten. Es müsste zuerst bewiesen werden.«
»Aber das ist doch der Beweis, Vati. Jetzt ist ganz klar, dass an der Geschichte etwas faul ist. Oberfaul sogar. Ich habe es von Anfang an gewusst!« Nick triumphierte.
»Wahrscheinlich hast du recht«, meinte Alexander nachdenklich. »Vermutlich kommt man aber in der Sache nicht weiter, sonst hätten wir doch längst etwas gehört.«
»Ich muss Sissi fragen. Sie weiß alles. Ich bin ganz sicher.«
»Wer ist Sissi?«
»Langenburgs Tochter. Sie geht in dasselbe Gymnasium wie ich. Aber zur Zeit ist sie krank. Glaubst du, ich kann sie einmal besuchen?«
Alexander hatte längst aufgehört, sich über Nicks Aktivität zu wundern. Heimlich freute er sich sogar darüber. Aus Nick würde einmal ein verantwortungsbewusster junger Mensch werden, dem die Probleme seiner Umwelt nicht gleichgültig waren. Er hatte nicht nur ein gutes Herz, er wusste sich auch immer zu helfen. Oft verblüffte er die Erwachsenen mit seinen Ideen.
»Vielleicht wäre es gut, wenn du zuvor anrufen würdest.«
Nick schüttelte unwillig den Kopf. »Lieber nicht. Sonst sitzt Frau Langenburg neben dem Telefon, und wir können doch nicht reden.«
»Hm.«
Alexander fuhr sich nachdenklich über die Stirn. Es würde schwer sein, diesen Langenburgs eine Ungesetzmäßigkeit nachzuweisen. Und noch schwerer, sie dazu zu bringen, einen Fehler einzugestehen. Trotzdem dürfte man im Interesse des kleinen Tim nichts unversucht lassen.
»Sissi war längere Zeit mit ihrer Mutter in Österreich. Das hat sie mir erzählt. Allerdings nicht am Attersee, sondern in Wien.«
Alexander von Schoenecker zog die Augenbrauen hoch. Ein Verdacht stieg in ihm auf. Doch er würde es nicht wagen, ihn auszusprechen. Nicht einmal Denise gegenüber. Denn diese Vermutung war so ungeheuerlich, dass der Gutsbesitzer sie sofort wieder verwarf.
Dennoch hatte Nick etwas bemerkt. »Was denkst du, Vati?«, fragte er gespannt.
»Dass es mir recht wäre, wenn du dich nur um die Schule und um die Ponys kümmern würdest«, antwortete Alexander lächelnd.
Nick war offensichtlich enttäuscht. Er ließ die Unterlippe hängen wie ein schmollendes Kind. »In der Schule bin ich gar nicht schlecht. Das wirst du sehen, wenn es Zeugnisse gibt. Und die Ponys versorgt ja der alte Justus.«
»Du könntest ihm helfen«, schlug Alexander versöhnlich vor.
»Mach ich, Vati. Wir helfen ihm jede Woche den Stall saubermachen und die Ponys striegeln. Du solltest einmal nach Sophienlust kommen und sehen, wie sauber alles ist.«
»Du weißt ja, Nick, dass es hier auf Gut Schoeneich im Sommer sehr viel Arbeit gibt. Trotzdem werde ich natürlich in den Stall schauen, wenn ich das nächste Mal in Sophienlust bin.«
»Vati, du bist fabelhaft«, sagte Nick voll Überzeugung. »Und wenn du mir erlaubst, dass ich mich ein ganz klein bisschen noch um die Sache mit Tim kümmern darf, dann bist du der beste Vati auf der ganzen Welt.« Seine dunklen Augen bettelten.
»Das möchte ich natürlich ganz gern sein«, scherzte Alexander.
»Du hast also nichts mehr dagegen?«, jubelte der Junge.
»Sofern du mich über alles, was du vorhast, unterrichtest. Und wenn ich gerade nicht da bin, sprichst du mit Mutti. Einverstanden?«
»Einverstanden, Vati. Du bist eben doch der Größte!« Am liebsten wäre Nick seinem Stiefvater stürmisch um den Hals gefallen und hätte ihm einen Kuss auf die Wange gedrückt. Doch schließlich war er über solche »Kindereien« schon hinaus. Deshalb drückte er Alexander nur begeistert die Hand.
»Also, zuerst werde ich diesen Brief aufs Polizeirevier bringen. Dann werde ich mit Sissi reden und dann …« Nick hatte bereits so viele Pläne, dass es schwer war, sie alle aufzuzählen.
*
Denise von Schoenecker hatte an diesem Nachmittag sehr viel zu tun. Zuerst war ein Herr vom Jugendamt dagewesen, der ein schwieriges Kind nach Sophienlust bringen wollte, und dann war ein Ehepaar gekommen, das sich für einen Waisenjungen interessierte. Mit allen Besuchern hatte Denise sich ausführlich unterhalten. Jetzt wollte sie Briefe schreiben, deren Erledigung dringend war. Doch noch bevor sie die ersten Worte aufs Papier setzen konnte, klopfte es wieder.
»In der Halle wartet ein junges Mädchen, das Sie unbedingt sprechen möchte, Frau von Schoenecker«, meldete eine Hausgehilfin.
»Könnte nicht vielleicht Frau Rennert …?«
»Das