Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
man ihn und Sissi damit hatte auseinanderbringen wollen. Das war auch geglückt.
»Bedanken Sie sich bei meiner Frau«, meinte Max Langenburg bescheiden. »Ihr lag wohl Ihr Vorwärtskommen sehr am Herzen. Ich nehme an, Sie haben inzwischen Ihr Examen abgelegt. Wenn Sie wollen, können Sie bei uns im Verlag anfangen. Ich suche schon lange einen tüchtigen jungen Rechtsanwalt, und Sie gefallen mir.«
Noch vor einigen Stunden hätte Frank dieses Angebot begeistert angenommen. Doch jetzt murmelte er nur ein desinteressiertes »Danke!« Er begriff nämlich, dass System hinter der ganzen Sache steckte.
Astrid Langenburg, die ihm gegenüber so unschuldig tat und die Sissi so fabelhaft gegen ihn abschirmte, hatte alles geschickt eingefädelt. Vielleicht war sie sogar so weit gegangen, seine Briefe an Elisabeth abzufangen. Sissi musste dann glauben, dass er sie vergessen habe. Vielleicht hatte sie sich aus lauter Verzweiflung Heiko zugewandt. Astrid Langenburg würde das natürlich nie zugeben. Es hatte überhaupt keinen Sinn, mit ihr zu sprechen. Nur Sissi selbst würde ihm die Wahrheit sagen.
Frank murmelte einen Gruß, wandte sich um und stolperte hinaus. Er hatte es so eilig, dass er die Sekretärin im Vorzimmer gar nicht mehr beachtete.
*
Astrid Langenburg ließ die Besucherin in den »Roten Salon« führen. Dieser Raum zeigte die Wohlhabenheit des Hauses am meisten. Oft waren die Besucher davon so beeindruckt, dass sie es gar nicht mehr wagten, auf ihr Anliegen zu sprechen zu kommen.
Auf Denise von Schoenecker machte der wertvolle, handgeknüpfte Teppich jedoch ebensowenig Eindruck wie die lebensgroßen Gemälde alter Meister, die ein Vermögen gekostet haben mussten. Unbefangen nahm sie auf einem der zierlichen Rokokostühle Platz. »Sissi hat mir erzählt, dass sie für einige Wochen in Österreich war«, begann sie das Gespräch.
Astrids eben noch freundliches Gesicht verfinsterte sich auffallend. »Ich dachte, Sie wollten mit mir über das Findelkind sprechen«, meinte sie in dem Bestreben, dem Gespräch rasch eine andere Wendung zu geben.
Denise blieb ruhig und gelassen. »Das auch. Beides hängt doch eng zusammen.«
»Wie können Sie so etwas sagen? Elisabeth hat doch nichts mit dem Findelkind zu tun.« Astrids Gesicht drückte Empörung aus.
»Sie glaubt, dass Tim ihr Baby ist.« Sehr genau beobachtete Denise ihre Gesprächspartnerin. Sie bemerkte, dass Astrid Langenburg leicht zusammenzuckte. Doch sie hatte sich sofort wieder in der Gewalt.
»Das arme Kind«, seufzte Astrid sichtlich betrübt. »Es fantasiert manchmal. Seit Ihr Sohn ihm die Geschichte von dem Findelkind erzählt hat, ist das Mädchen ganz durcheinander. Dieser Fall beschäftigt Elisabeths Fantasie so stark, dass ich sie sogar nicht zur Schule gehen lassen konnte. Unser Hausarzt wird Ihnen das gern bestätigen, Frau von Schoenecker.«
Heimlich ärgerte sich Astrid über ihre Stieftochter. Wie konnte sie nur so dumm sein, Frau von Schoenecker alles zu erzählen?
Scheinheilig sprach die Hausherrin weiter: »Sehen Sie, liebe Frau von Schoenecker, dies ist auch der Grund dafür, dass ich meiner Familie diese Geschichte gar nicht erzählt habe. Ich kenne doch die rege Fantasie meiner Stieftochter. Sie hat sich schon als Kind abenteuerliche Geschichten zusammengereimt und sie dann als eigene Erlebnisse erzählt. Es tut mir leid, wenn das Mädchen Sie mit seinen Märchen belästigt hat. Ich werde dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr vorkommt.«
»Sissi machte ganz und gar nicht den Eindruck einer Schwindlerin«, meinte Denise nachdenklich. »Das Mädchen ist völlig verzweifelt.«
»Das ist es ja eben. Elisabeths Auftritte wirken verblüffend echt. Deshalb ist mir das auch so peinlich. Ich hoffe, Sie verstehen mich richtig, Frau von Schoenecker. Sie wissen doch selbst, dass Tim unmöglich Elisabeths Kind sein kann. Einmal ist das Mädchen noch viel zu jung, um ein Baby zu haben, und zum anderen gibt es keine unehelichen Kinder in unserer Familie. Ein solcher Fall ist völlig undenkbar.« Astrids Stimme wurde immer lauter, immer überzeugender.
»Sissi hat mir von ihrer ersten Liebe erzählt. Ich glaube, solche Gefühle sollte man nicht unterschätzen. Gerade bei jungen Menschen nicht, die sich einsam fühlen.«
Eine unwillige Röte huschte über Astrid Langenburgs sorgfältig geschminktes Gesicht. »Auch eine Erfindung meiner Stieftochter«, seufzte sie. »Ich bitte Sie! Im letzten Jahr war das Kind sechzehn. In diesem Alter gibt es harmlose Schwärmereien, aber doch nicht tiefe Liebesbeziehungen.«
»Das möchte ich nicht sagen«, widersprach Denise sehr bestimmt. »Ich konnte schon oft die Erfahrung machen, dass Jugendlieben ein ganzes Leben lang halten.«
»Frau von Schoenecker, ich muss Sie bitten, die Stellung unserer Familie zu berücksichtigen«, antwortete Astrid hochmütig. Noch war sie fest überzeugt, Denise von Schoeneckers Verdacht zerstreuen zu können, wenn sie nur recht bestimmt auftrat. Noch war sie sicher, dass ihr niemand etwas nachweisen konnte. »Solche frühen Liebschaften gibt es vielleicht in der unteren Bevölkerungsschicht. Elisabeth damit in Verbindung zu bringen, ist doch geradezu absurd.«
Es war gerade diese hochmütige Ablehnung, die Denise zu der Überzeugung verhalf, dass Sissi die Wahrheit gesagt hatte. Man musste dem Mädchen unter allen Umständen helfen. Man durfte es in seiner Not nicht allein lassen.
»Sissi hat sogar den Namen des jungen Mannes genannt. Ich glaube deshalb …«
»Das ist typisch«, unterbrach Astrid ihre Besucherin schroff. »Elisabeths Märchen sind druckreif.«
»Ich glaube deshalb«, fuhr Denise unbeirrt fort, »dass Sissi die Geschichte nicht erfunden hat. Sie kämpft um ihr Kind, und ich finde diese Haltung bewundernswert. Sie müssten stolz sein, Frau Langenburg, eine solche Tochter zu haben. Bitte, helfen Sie ihr doch. Geben Sie ihr Tim zurück.«
Denises Bitte hatte leidenschaftlich geklungen, doch Astrid Langenburg blieb kühl und überheblich. »Ich hätte nie geglaubt, dass Sie einen solchen Unsinn unterstützen würden. Eigentlich müsste Ihnen Ihre Zeit für solche Kindereien zu schade sein.«
Die grauen Augen waren kalt und herzlos. Denise konnte die blonde Sissi jetzt noch besser verstehen. Sie begriff, weshalb das Mädchen Angst vor dieser Frau hatte.
»Ich habe das Kind am Attersee gefunden, alles andere ist Unsinn.« Astrid ließ die geballte Faust auf den zierlichen Couchtisch sausen.
Diese wütende Geste schüchterte Denise von Schoenecker nicht ein. Im Gegenteil. Sie zeigte ihr, dass Astrid Langenburg nervös wurde.
»Die Behörden am Attersee wissen davon allerdings nichts«, sagte Denise und beobachtete ihr Gegenüber wieder sehr genau.
Astrid brauchte einige Sekunden, um den Schreck zu überwinden. Starr und steif saß sie da. Nur um ihre Mundwinkel zuckte es. Endlich erklärte sie: »Das ist die Schlamperwirtschaft der Beamten. Man kennt sie ja. Unverantwortlicher Leichtsinn. Nun, wenn keine Unterlagen über den Fund des Babys existieren, werde ich eben eine eidesstattliche Erklärung abgeben.«
»Das würde bedeuten, dass Sissi nie beweisen kann, dass Tim ihr Kind ist. Warum sind Sie so grausam, Frau Langenburg? Wenn Sie schon kein Mitleid mit Sissi empfinden können, dann doch wenigstens mit dem kleinen unschuldigen Baby. Tim ist so ein süßer Kerl. Sie würden ihn ganz bestimmt rasch liebgewinnen. Sie haben ein schönes großes Haus. Warum sollte sich darin kein Platz für den Jungen finden? Warum verwehren Sie einem Kind, das Ihnen nichts getan hat, das Wichtigste, das es in unserem Leben gibt, die Mutter?« All ihre Überzeugungskraft und ihre starke Persönlichkeit kamen in Denises Worten zum Ausdruck.
Trotzdem blieb Astrid Langenburg kalt und gefühllos. Niemals würde sie ihre Pläne durch das Kind gefährden lassen. Scheinbar amüsiert schüttelte sie den Kopf. »Elisabeth muss eine hervorragende Schauspielerin sein, da sie sogar eine so erfahrene Frau wie Sie überzeugen konnte. Trotzdem muss ich Sie enttäuschen, Frau von Schoenecker. Ich kenne Tims Mutter nicht, und es tut mir sehr leid, dass sie sich noch nicht gemeldet hat. Meine Stieftochter Elisabeth, das möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen, hat mit dem Findelkind nichts zu tun!« Hart kam diese Auskunft von Astrids schmalen