Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Familien dieses Namens hatte er im Lauf dieses Tages geklingelt. Von einem Stadtteil zum anderen war er geeilt und immer zu Fuß. Ihm fehlte das Geld für ein Taxi. Die Fahrkosten nach Wien hatte er von einem Vorschuss beglichen, den ihm sein neuer Chef gewährt hatte. Sehr ungern allerdings. Frank hatte ihm versprechen müssen, in zwei Tagen wieder zurück zu sein. Sonst würde er seine Stellung verlieren.
Wieder stand Frank vor einem Haus, in dem eine Frau Hebling wohnte. Würde es diesmal die richtige Adresse sein? Er glaubte schon nicht mehr daran, dass es eine Hebamme dieses Namens überhaupt gab.
Skeptisch sah Frank hoch. Es war ein graues Mietshaus, wie es in Wien viele gab. Im Treppenhaus roch es nach Essen, hinter der Tür der Paterrewohnung kläffte ein Hund.
Müde begann Frank die Treppen hochzusteigen. Würde es wieder umsonst sein? Würde man ihm wieder erklären, dass er hier nicht richtig sei?
Frank wartete auf dem ersten Treppenabsatz, als er hörte, dass ihm aus den oberen Stockwerken jemand entgegenkam. Gleichgültig sah er hoch. Doch dann stutzte er.
Dieses Gesicht kannte er doch! Sofort wusste er auch, wen er vor sich hatte: Heiko Rössner, den verhassten Rivalen. Das Protektionskind, das sich alles erlauben durfte, weil Astrid Langenburg es schützte.
Die Gedanken in Franks Gehirn wirbelten bunt durcheinander.
Wenn er Heiko hier traf, dann bedeutete das doch, dass in diesem Haus die gesuchte Frau wohnte, der einzige Mensch, der Astrid Langenburgs Lügen widerlegen konnte.
Denise von Schoenecker hatte Frank, nach einigem Zögern, von Sissis Leidensweg erzählt. Noch immer konnte Frank das, was er damals gehört hatte, nicht begreifen. Sissi hatte keine Nachricht von ihm bekommen. Keiner seiner vielen Briefe hatte sein Ziel erreicht. Wie war das zu erklären?
Doch das, was noch viel überwältigender war, was Frank pausenlos beschäftigte, war die Existenz des kleinen Tim. Eigentlich konnte er noch gar nicht daran glauben, dass Sissi und er einen Sohn haben sollten, ein molliges, fröhliches Baby! Die Nachricht hatte Frank so sehr erschüttert, dass er zunächst keinen klaren Gedanken hatte fassen können. Reichlich überstürzt hatte er sich von Denise von Schoenecker verabschiedet.
Sissi und ich haben ein Kind!, hatte es in ihm geschrien. Ein Kind, von dem ich bisher nichts wusste! Und in dieser schlimmen Zeit war Sissi allein!
Frank war an diesem Abend ziellos durch die Straßen von Maibach gelaufen. Das einzige, das er nun sicher gewusst hatte, war, dass Astrid Langenburg log. Sissi hatte ihn nicht vergessen! Sie trauerte um ihn. Sie war einsam und hilflos.
Frank hatte gewusst, dass es keinen Sinn haben würde, erneut bei den Langenburgs vorzusprechen. Man würde ihm kein Gehör schenken. Aber etwas anderes konnte er tun. Er würde beweisen, dass Tim Sissis Kind war, und damit würde sich schlagartig alles ändern. Das Lügenhaus Astrid Langenburgs würde in sich zusammenstürzen. Und Max Langenburg würde endlich einsehen müssen, dass sein Vertrauen missbraucht worden war.
»Wie viel haben Sie ihr bezahlt?«, fragte Frank, als Heiko Rössner rasch an ihm vorbeigehen wollte.
Heiko spielte den Überraschten. »Wie bitte?« In seinem eleganten hellen Anzug wirkte er wie ein reicher Playboy.
»Frau Langenburg lässt sich das Schweigen der Hebamme etwas kosten, nicht wahr?« Frank trat näher. Er hatte den Wunsch, den anderen am Revers seines Jacketts festzuhalten, doch er beherrschte sich.
»Wovon sprechen Sie eigentlich?« Heiko stellte sich dumm. Er hatte Frank Brehm sofort wiedererkannt, fragte aber trotzdem scheinheilig: »Wer sind Sie? Und wie kommen Sie dazu, mich aufzuhalten? Ich bin in Eile.«
»Das glaube ich Ihnen gern. Nicht gerade angenehm, in diesem Haus gesehen zu werden, nicht wahr?« Frank lächelte zynisch. Geschickt hatte er Heiko den Weg verstellt.
»Ich bin ein freier Bürger und brauche keinem Rechenschaft darüber abzulegen, wo ich mich bewege.« Heikos blaue Augen suchten nach einem Fluchtweg. Das Zusammentreffen mit Frank Brehm war ihm tatsächlich äußerst unangenehm. Er hatte seiner Tante versprochen, ihren Auftrag rasch und unauffällig zu erledigen. Zu dumm, dass er ausgerechnet hier Frank Brehm begegnen musste. Jetzt half nur noch ein striktes Leugnen.
»Es stimmt nachdenklich, dass in diesem Haus Frau Hebling, die Hebamme, wohnt. Sie ist nämlich, außer Frau Langenburg, die einzige, die weiß, dass Sissis Baby nicht tot zur Welt gekommen ist.«
Frank sah dem anderen direkt in die Augen. Doch Heiko war zu abgebrüht, um unter diesem Blick rot zu werden. Er hatte die Unterstützung seiner Tante, und schon deshalb fühlte er sich Frank überlegen. Wie konnte dieser arme Student, dieser Habenichts, es wagen, sich gegen die reichen Langenburgs zu stellen, die so fabelhafte Beziehungen hatten?
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden«, schwindelte der junge Mann. »Eine Frau Hebling ist mir nicht bekannt. Und Ihre Anspielung, dass Sissi ein Baby zur Welt gebracht hat, ist doch eine freche Verleumdung. Wenn ich Frau Langenburg davon erzähle, wird man Sie deshalb zur Rechenschaft ziehen. Ich rate Ihnen gut, vorsichtiger zu sein. Wie kommen Sie dazu, solche Äußerungen über die Familie Langenburg zu machen? Eine Unverschämtheit ist das.«
Heiko hatte geglaubt, Frank durch Schreien einschüchtern zu können. Doch er hatte sich getäuscht. Frank blieb sachlich. »Wenn Sie nicht bei Frau Hebling waren, dann wird sie das ja gern bestätigen. Gehen wir doch zu ihr. Fragen wir sie.«
Heikos blaue Augen wurden dunkel vor Wut. »Was fällt Ihnen ein? Es gibt für mich keinen Grund zur Rechtfertigung. Und vor Ihnen schon gar nicht! Erzählen Sie Ihre Story anderswo!« Er versuchte, an Frank vorbei weiterzugehen. Doch es gelang ihm nicht.
»Wäre für Sie und besonders für Frau Langenburg gar nicht angenehm, wenn ich zur Polizei ginge«, drohte Frank. »Für Kindesentführung gibt es nämlich empfindliche Strafen. Meineid und Irreführung der Behörden käme noch hinzu.«
Heiko lachte heiser. »Sie nehmen doch nicht an, dass Ihnen diese Geschichte jemand glaubt? Als Sissis ehemaliger Freund sind Sie eifersüchtig, das ist alles. Sie versuchen, mich und Sissi durch Verleumdungen auseinanderzubringen. Dabei ist Ihnen nichts zu dreckig. Schämen sollten Sie sich! Aber verlassen Sie sich darauf, dass Sie mit Ihrem Herumspionieren nichts, aber auch gar nichts erreichen werden. Ich werde Sissi heiraten, und daran ändern Sie nichts!« Wieder einmal klopfte sich Heiko selbstgefällig an die Brust.
»Zuerst müsste Sissi auch damit einverstanden sein. Und das ist sie nicht.« Frank fühlte, dass ihm das Hemd feucht am Rücken klebte. Es sah tatsächlich so aus, als würde er gegen Heiko und dessen Tante nicht aufkommen.
»Wie wollen Sie das beurteilen können?«, höhnte der elegante Heiko. »Wann haben Sie Sissi eigentlich zuletzt gesehen? Glauben Sie tatsächlich, dass ein junges Mädchen seine Meinung innerhalb eines Jahres nicht ändert? Sie sind ein Narr, Brehm. Sie rennen einer Fata Morgana nach. Als ich Sie das erste Mal sah, kannte ich Sie nicht, aber Sie taten mir leid. Jetzt tun Sie mir wieder leid. Denn Sie machen tatsächlich eine lächerliche Figur!«
Frank trat resignierend zur Seite und ließ den anderen durchgehen. Was sollte er denn noch sagen? Im Moment hatte Heiko tatsächlich die besseren Karten. Nur wenn er, Frank, das Rätsel um Tim lösen konnte, würde sich daran etwas ändern.
*
Das junge Mädchen stand am Fenster seines Zimmers und schaute unbeweglich in den Park hinab. Doch das bunte Bild der Blumenbeete und gepflegten Rasenflächen verschwamm vor Sissis Blick. In Gedanken sah sie einen Kinderwagen und ein wohlgenährtes Baby darin: Tim – ihr Kind.
Die Sehnsucht nach Tim hatte Sissi wirklich krank gemacht. Sie war erschreckend blass, tiefe dunkle Ringe zeigten sich unter ihren Augen. Noch zarter, noch schlanker war sie in dieser Woche geworden. Denn sie aß kaum etwas.
Sissi merkte gar nicht, dass ihre Stiefmutter das Zimmer betrat. Sie verharrte in ihrer unnatürlich starren Haltung.
»Ich habe eine freudige Nachricht für dich.« Astrid ließ sich in einem der modernen Sessel nieder, die zur Ausstattung des eleganten Mädchenzimmers gehörten.
Erschrocken