Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Schwierigkeiten, das kann so vieles heißen. Frau Breuer wirkt trotz ihrer zur Schau getragenen Fröhlichkeit auf mich ein wenig bedrückt. Ich weiß nichts Genaues von ihr und habe doch das Gefühl, sie bräuchte Hilfe, und ich könnte ihr ein wenig zur Seite stehen. Ich meine das rein freundschaftlich.«
Hans-Joachim lachte leise. »Rein freundschaftlich, natürlich rein freundschaftlich, würde Gunni jetzt sagen. So ganz nehme ich dir das nicht ab.«
»Kannst du nicht einmal ernst bleiben? Ich meine es ehrlich und denke nicht daran, mich irgendwo einzudrängen. Frau Breuer und der kleine Uwe interessieren mich. Sollte es tatsächlich klappen mit der Praxis in der Heide, werde ich es als Fingerzeig nehmen.«
»Warten wir es ab. Es wäre betrüblich, wenn du dir Hoffnungen machen würdest, wo keine sind. Häusliche Schwierigkeiten, das bedeutet manchmal einen handfesten Ehekrach, der sich wieder einrenkt. Es ist vernünftig von den Eltern, wenn sie ihre Kinder während einer solchen Krisenzeit in ein gutes Heim geben. Sophienlust ist der ideale Ort für solche Fälle. Du musst also nach meinen Erfahrungen durchaus damit rechnen, dass Uwe Breuer in nicht zu ferner Zeit von seinen frisch versöhnten Eltern wieder abgeholt wird. So etwas hat Sophienlust schon des Öfteren gesehen.«
Gert Rhode unterdrückte einen Seufzer. »Nun ja, wenn alles gut ist, braucht sie meine Hilfe nicht mehr. Ob du es glaubst oder nicht, ich habe wirklich nur an freundschaftliche Hilfe gedacht. Der Rest ist ein Produkt deiner Fantasie.«
Dass Beate Breuer ihn vom ersten Augenblick an an Gladys erinnert hatte, verschwieg er dem Freund. Das war ein so zarter Gedanke, dass er es nicht wagte, ihn in Worte zu fassen.
»Trinken wir auf die Praxis und Amtsarztstellung in der Lüneburger Heide«, sagte Hans-Joachim munter und hob sein Glas.
»Danke. Bei so zahlreichen guten Wünschen kann es nun eigentlich nur noch schiefgehen«, erwiderte Dr. Rhode sarkastisch, weil er nicht zugeben wollte, wie viel ihm daran lag, gerade diese Landpraxis zu bekommen.
Als er sein Zimmer betrat, ging er ans Fenster und schaute zu dem dunklen Himmel empor, ohne zu ahnen, dass in Schoeneich die Frau, an die er jetzt dachte, ebenfalls zu den Sternen emporblickte.
*
Beate Breuer verpackte knackige frische Tomaten, aus holländischem Saatgut gezogen, in weiße Kartons. Vom Gutshaus her erklang die etwas schrille Stimme des einzigen jungen Mädchens, das sie für die häuslichen Arbeiten beschäftigte.
»Telefoooon, Frau Breuer!«
Die Gutsherrin legte die Tomate, die sie gerade in Seidenpapier hatte einwickeln wollen, aus der Hand und ging eilig zum Haus hinüber. Das Telefon war in der Halle an der Wand angebracht. Das hatte sich als praktisch erwiesen, weil Beate dann – von draußen hereinkommend – immer gleich an den Apparat gehen konnte. Sie fuhr vor der Tür aus den klobigen Holzpantinen und eilte barfüßig über die angenehm kühlen Fliesen.
»Ja, hier Beate Breuer.«
»Hier spricht Gert Rhode. Erinnern Sie sich?«
Ihr Herz schlug plötzlich schneller. »Ja, gewiss, Doktor. Was ist aus Ihrer Bewerbung geworden? Ich habe oft daran denken müssen, konnte aber schlecht nachfragen.«
»Ich bin hier in der Kreisstadt und habe soeben meine Verträge unterschrieben. Es hat geklappt. Passt es Ihnen, wenn ich nach dem Essen auf einen Sprung auf dem Heidehof vorbeikomme? Ich würde Sie gern wiedersehen und mich bedanken, denn Ihrer Initiative verdanke ich es, dass mein Wunsch sich verwirklichte. Schon in zwei Wochen werde ich hierher übersiedeln, denn der Kollege will eine längere Reise antreten, weil er noch Urlaub nachzuholen hat. Ich habe auch bereits einen Nachfolger für meine Praxis in Fulda gefunden. Es sollte so sein, wie mir scheint.«
»Herzlichen Glückwunsch. Ich habe Ihnen die Daumen gehalten. Wann kommen Sie? Ich freue mich über Ihren Erfolg und natürlich auch auf Ihren Besuch.«
»Ich werde zwischen halb vier und vier Uhr da sein. Bis dann, Frau Breuer.«
Beate verabschiedete sich. Statt zu ihren Tomaten zurückzukehren, lief sie auf bloßen Füßen zu Ama in die Küche.
»Kannst du etwas Leckeres zum Kaffee machen, Ama? Wir kriegen einen Gast.«
Die alte Köchin nickte bedächtig. »Waffeln? Wäre dir das recht, Beate?«
»Ja, Waffeln mit Sahne und ganz frischen starken Kaffee dazu. Das mag er sicherlich, und vielleicht bekommt er das in Fulda nicht alle Tage.«
»Wer denn?«, erkundigte sich Ama. Sie durfte das tun, denn sie hatte Beate schon als kleines Mädchen auf ihren Armen getragen und ihr auch gelegentlich einmal einen Klaps gegeben, wenn das hübsche, temperamentvolle Kind einen gar zu eigenwilligen Kopf an den Tag gelegt hatte.
Beate setzte ein möglichst gleichgültiges Gesicht auf. Aber ihre Augen leuchteten verräterisch dabei. »Der neue Tierarzt. Ich habe dir doch erzählt, dass ich ihn ausgerechnet in Sophienlust kennengelernt habe. Sein Töchterchen ist im Kinderheim, weil er vor einem reichlichen Jahr seine Frau durch einen Unfall verlor.«
»Ach so, ich erinnere mich. Du hast es einmal erwähnt.« Ama tat so, als habe sie keine blasse Ahnung davon, dass Beate sich nicht nur für die tierärztlichen Qualitäten des neuen Veterinärs interessierte, sondern in erster Linie für Dr. Gert Rhode als Mensch.
»Machst du besonders knusprige Waffeln, Ama?«, bat Beate.
»Ja, das ist doch klar. Ich mache immer gute Waffeln. Ein Glück, dass ich das Silber vorgestern geputzt habe. Nun braucht er wenigstens nicht zu denken, dass bei uns alles drunter und drüber geht.«
Ama kümmerte sich um den gesamten Haushalt. Sie schuftete nicht anders als Beate von früh bis nachts. Es lag ihr daran, den Heidehof zu erhalten, nicht anders, als es für Jan Herzenssache war. Diese beiden alten treuen Angestellten waren mehr wert als drei oder vier hoch bezahlte Fachkräfte. Dank ihrer Hilfe und Beates eigener Tatkraft bestand seit diesen Sommerwochen so etwas wie eine Hoffnung, dass das Gut gerettet werden konnte.
Beate kehrte zu ihren Tomaten zurück, denn die Lieferung musste noch an diesem Tag zur Bahn. Sie hatte ein Abkommen mit einer Supermarktkette in Hamburg getroffen und versprach sich davon einen guten Gewinn, wenn es auch nochmals ein Mehr an Arbeit für sie bedeutete.
Da Beate sich auf den Besuch des Doktors freute, schaffte sie die Arbeit in Rekordzeit. Bald lud der neue junge Landarbeiter die appetitlichen Kartons auf den kleinen Lieferwagen, um sie zur Bahn zu fahren.
Die Gutsherrin fand nun Zeit zum Duschen und Umkleiden. Als sie eben letzte Hand an den Kaffeetisch auf der Terrasse des Gutshauses gelegt hatte, hörte sie einen Wagen kommen. Sie wartete nicht, bis der Tierarzt von Ama oder dem Mädchen angemeldet wurde, sondern ging ihm einfach entgegen.
Beate hatte die Jeans mit einem weiten blauen Leinenrock und einer weißen Bluse vertauscht. Ihr helles Haar war frisch gewaschen und lag in zarten Wellen auf den Schultern. Nur die Hände verrieten, dass diese mädchenhaft jung wirkende Frau wie eine Landarbeiterin schuftete. Zwar hatte sie mit Bürste und Seife heftig geschrubbt, aber die Spuren ihrer ständigen Tätigkeit in Haus und Garten, beim Federvieh und im Kuhstall ließen sich nicht ganz vertuschen.
Gert Rhode zog Beates Hand dennoch an seine Lippen. Vielleicht sogar gerade deshalb. Es imponierte ihm, dass Beate so einfach und natürlich war. Vor allem gefiel es ihm, dass sie so tüchtig arbeitete.
Ama kam mit einer blütenweißen Schürze und brachte dampfenden Kaffee, duftende goldbraune Waffeln und eine Schüssel mit herrlicher geschlagener Sahne.
»Wie im Schlaraffenland«, freute sich Gert Rhode. »Waffeln habe ich als Junge bei meiner Großmutter zum letzten Mal gegessen. Woher wussten Sie, dass ich damit eine besonders schöne Erinnerung verbinde, Frau Breuer?«
»Ich wusste es nicht. Waffeln sind Amas Spezialität. Das ist das ganze Geheimnis. Was hören Sie von Gunni? Waren Sie wieder einmal in Sophienlust?«
»Ich war am vergangenen Sonntag dort und habe auch Uwe gesehen. Beide Kinder sind nach wie vor unzertrennliche Freunde. Neuerdings will