Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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kleinen Haus. Krona ballte ihre Hände zu Fäusten. Sollte dies nun wirklich das Erbe sein, so war es auf eine mehr als enttäuschende Weise überschaubar.

      »Endlich«, sagte Jerina, deren Stimme eigenartig vibrierte, und stürmte voran. Krona sprang ihr nach, um nicht den geringen Hauch einer Chance zu verpassen, der ihr noch blieb. Fenrir und Pintel folgten.

      Mit wenigen Sätzen war Jerina an dem Podest und riss den eingehüllten Gegenstand an sich. Den Sack warf sie achtlos beiseite und enthüllte etwas, das die anderen innehalten und staunen ließ. Das Licht spiegelte und brach sich auf der schimmernden Oberfläche eines Kristalls, der in der Form eines Totenschädels bearbeitet war. Als Jerina ihn in den Händen bewegte, versprühte er einen Wasserfall aus Lichtfunken. Jerina lachte auf, ihre Stimme klang tiefer als sonst und eigenartig fremd, und hob den Totenschädel vor ihr Gesicht. Das glitzernde Licht floss ihre Arme hinunter und ließ ihre Haut durchscheinend schimmern, als sei sie belebt von einem inneren Feuer. Dann begann sie zu wachsen, das Spiel von Licht und Schatten legte fremde Konturen über ihr Gesicht. Das unscheinbare Mädchen löste sich auf, und im nächsten Augenblick war sie verschwunden, eine Flammenzunge schlug aus dem Boden, wo sie gestanden hatte, plötzliche Hitze und ein Gestank nach Verbranntem füllten den Raum.

      Längst hatte Krona ihr Schwert gezogen, während sie sich noch vergeblich bemühte, zu begreifen, was ihre Augen sahen.

      Die Flammenzunge streckte sich zur Decke. In ihrem Inneren schwebte der kristallene Totenschädel und übergoss die Umgebung mit Lichtfunken von schmerzhafter Helligkeit, und außerdem war da eine weibliche Gestalt zu erkennen, verzerrt und wabernd wie ein Spiegelbild auf unruhigem Wasser und in ihrer Nacktheit von einer gleichzeitig abstoßenden und fesselnden Schönheit. Sie hielt den Totenschädel in den Armen, und Hitze überflutete die drei Gefährten, als sie sich zu ihnen beugte.

      »Das Ding«, schrie Krona und wich zurück, das Schwert drohend erhoben. »Es hat etwas mit Jerina gemacht! Wir müssen es zerstören!«

      Die Flammengestalt gab ein tiefes, dunkles Lachen von sich, in dem die Vernichtungsgewalt eines brausenden Großbrandes lag.

      »Mach dir keine Sorgen um Jerina«, sagte sie, ihre Stimme klang verzerrt und hohl. »Und bemühe dich nicht länger, zu begreifen. Dein geringer Verstand wäre ohnehin überfordert.«

      »Ich muss nichts begreifen, um dich aufzuschlitzen«, knurrte Krona, doch die Feuerfrau gab ein neuerliches Lachen von sich, offensichtlich unbeeindruckt.

      »Ich bin am Ziel, mit eurer Hilfe«, sagte sie. »Und nun werdet ihr gestatten, dass ich euch verlasse.«

      Sie bewegte sich in Richtung des Käfigschachtes, doch Fenrir vertrat ihr den Weg. Seine Schwertklinge schimmerte wie flüssiges Feuer. Die Hitze trieb ihm glitzernde Schweißperlen auf die Stirn.

      »Wir gestatten es nicht«, sagte er.

      »Geh mir aus dem Weg.« Die Stimme der Flammengestalt erhob sich wie ein brausender Feuersturm.

      »Ich will wissen, was hier vorgeht«, sagte Fenrir. »Und was du bist. Du schuldest uns eine Erklärung.«

      »Fenrir«, flüsterte Pintel hinter Krona.

      »Gib ihr den Weg frei!«

      Doch Fenrir stand, unverrückbar, das Schwert auf die Flammengestalt gerichtet. An ihr vorbei suchte Krona seinen Blick, und sie verständigten sich ohne Worte. Fast gleichzeitig führten sie ihren Angriff, Fenrir frontal, Krona von hinten anstürmend, doch gerade im letzten Augenblick konnte Krona ihr Schwert hochreißen und Fenrirs Schlag parieren. Die Flammengestalt hatte sich wie flüchtige Luft ihren Klingen entzogen und strebte nun wieder dem Schacht zu. Krona warf einen Blick zu Pintel. Der, ungewöhnlich blass, schüttelte nur wild den Kopf. Doch Fenrir hatte die Warnung nicht gesehen, er wirbelte herum und stürzte der Flammengestalt nach und schrie: »Wer bist du? Was willst du? Bleib hier und steh uns Rede und Antwort!«

      Tatsächlich hielt die Flammengestalt, die den Schacht beinahe erreicht hatte, inne.

      »Und warum sollte ich das tun?«, fragte sie mit ihrem hässlichen Lachen.

      »Du bist es uns schuldig. Wir haben dir hierher verholfen.«

      »Und das ist der Grund, warum ihr noch am Leben seid. Meine Form der Dankbarkeit.«

      »Ich will eine Erklärung!«, schrie Fenrir. »Ich verzichte auf deine Gnade und Großzügigkeit!«

      »Wenn das so ist«, sagte die Flammengestalt, »dann verdienst du sie nicht. Stirb.«

      Wie eine fallen gelassene Marionette brach Fenrir an Ort und Stelle zusammen. Krona schrie und rannte gegen die Flammengestalt an, doch ehe sie ihre Position erreicht hatte, beugte die Flammengestalt sich zum Boden und ergoss sich wie brennende Flüssigkeit auf die leuchtende Scheibe, die sich sofort in Bewegung setzte und lautlos nach unten schwebte.

      Krona prallte gegen die schmerzhaft heißen Gitterstäbe der Käfigsäule und starrte hinunter in den Schacht, in dem die leuchtende Scheibe versank.

      »Scheiße«, sagte sie und schlug mit der Faust gegen die Gitterstäbe. »Scheiße!«, schrie sie und trat mit dem Stiefel so heftig dagegen, dass der Schmerz ihr bis in die Hüfte hinauf fuhr. »Wir müssen sie verfolgen!«

      »Wie willst du denn das machen«, sagte Pintel, der ganz gegen sein sonstiges Erscheinungsbild müde und erschöpft aussah. Seine Hände hingen an seiner Seite herunter, er stand neben Fenrir und starrte auf den leblosen Körper. Krona ließ ihr Schwert fallen und ging neben dem Bogenschützen in die Knie.

      Äußerlich sah er völlig unverletzt aus. Seine Augen waren weit aufgerissen, auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck der völligen Überraschung. Sie lauschte nach Atem und fand keinen.

      »Er ist tot«, sagte Pintel. »Niemand kann so lange geradeaus schauen, ohne zu blinzeln.«

      Sie griff nach Fenrirs Hand und fühlte vergeblich nach Puls.

      »Ich habe versucht, ihn zu warnen«, sagte Pintel. »Er hat mich nicht gehört. Ich war zu leise. Aber ich hatte solche Angst!« Dann brach er in Tränen aus.

      Krona legte Fenrirs Hand behutsam auf seiner Brust ab, zog den kleinen Zauberer zu sich hinunter und nahm ihn in die Arme. Ihr eigener Körper nahm die Erschütterungen auf, die Pintels Schluchzen verursachte, doch ihre Augen blieben trocken und brannten schmerzhaft, als sie auf Fenrirs reglose Gestalt hinunter starrte. Sie versuchte, etwas zu fühlen. Es gelang ihr nicht. Ihre Gedanken kreisten einzig um die verfahrene Situation, in der sie sich befand: Was war eigentlich vorgefallen? Was war mit Jerina geschehen? Fenrir musste begraben werden, aber dazu mussten sie zuerst einen Weg ins Freie finden. Diese ganze Aktion hatte mehr Opfer gefordert, als zu vertreten war. Und der Winter würde sehr kalt werden, ohne ein Dach über dem Kopf.

      Sie rief sich zur Ordnung. Immer eines nach dem anderen, und der Weg ins Freie war das Vordringlichste.

      Sie wartete, bis Pintels Schluchzer seltener wurden. Dann richtete sie ihn vorsichtig auf und gab ihm ein Taschentuch in die Hand.

      »Wir müssen auf die Beine kommen«, sagte sie. »Einen Ausgang suchen.«

      »Ich kann nicht«, schluchzte Pintel.

      »Doch«, sagte Krona. »Du kannst. Es sind nur noch wir beide übrig, und wir haben Dinge zu erledigen.«

      »Aber«, murmelte Pintel und schnäuzte sich geräuschvoll.

      »Kein Aber«, sagte Krona. »Wir können später traurig sein. Jetzt sehen wir zu, dass wir hier wieder raus kommen.« Sie stand auf und stellte Pintel kurzerhand auf die Füße. Der wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, vergeblich bemüht, den Tränenfluss zu stoppen, konnte aber den Blick nicht von Fenrir wenden.

      »Ich mochte ihn gern«, sagte er mit unsicherer Stimme. »Auch wenn er manchmal etwas merkwürdig war. Er hat es nicht verdient, so zu sterben.«

      »Die wenigsten haben den Tod verdient«, sagte Krona. »Und sie sterben trotzdem. Das gehört offenbar zum Leben.«

      »Zu deinem vielleicht. Zu meinem hat es bisher


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