Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic
wir eine Karte oder müssen zumindest mal auf eine drauf gesehen haben. Und vorher will ich eine Nacht in einem vernünftigen Bett schlafen. Und Vorräte ergänzen. Danach können wir meinetwegen wieder raus in die Wildnis.« Sie machte einen Schritt und wäre, weil sie nach hinten sah, beinahe gegen einen großen, schlecht rasierten Wachmann der Stadtwache gestoßen.
»Entschuldigung«, sagte sie und wich aus, um den Wachmann und seinen Trupp vorbei zu lassen, doch der machte keine Anstalten.
»Ihr seid Krona Karagin, Hauptmann der Königlichen Garde?«, fragte der Wachmann.
»Und Ihr seid gut informiert«, erwiderte Krona misstrauisch. »Was wollt Ihr?«
»Hauptmann Karagin«, sagte der Wachmann, »Ihr seid angeklagt des Landfriedensbruches, der Brandstiftung, des Betruges und des Mordes. Ihr seid hiermit festgenommen.«
2: FEUER UND STEIN
Thork fühlte sich beobachtet. Er hatte sein Abendlager am Fuß des Adlerfelsens aufgeschlagen, und der Wald lag um ihn wie eine stille, grüne Säulenhalle, aus der allmählich das Licht schwand. Doch trotz des offensichtlichen Friedens wollte das unbehagliche Gefühl zwischen seinen Schulterblättern nicht weichen. Er hatte ein Gespür für solche Dinge, das weit über Sichtbares hinausging. Sehen war ohnehin nicht mehr seine Stärke, seit er sein linkes Auge verloren hatte.
Er lehnte sich zurück gegen den schützenden Fels und schob wie zufällig mit der Stiefelspitze das Holz seines kleinen Kochfeuers auseinander, damit es weniger hoch brannte.
Er gähnte. Er fühlte sich erschöpft und wünschte sich nichts als ungestört am Feuer zu sitzen, Tee zu trinken, vielleicht eine Pfeife zu rauchen und zu schlafen, noch ehe es völlig dunkel war. Hinter ihm lag ein Gewaltmarsch. Seine Reise war von Anfang an eilig gewesen, doch die Schratspuren, auf die er heute im Wald gestoßen war, hatten ihn sein Tempo weiter steigern lassen. Eine Auseinandersetzung mit Schraten war das Letzte, was er derzeit gebrauchen konnte.
Das Wasser im Topf rauschte. Er zog ihn aus dem Feuer, holte eine Handvoll getrockneter Blätter aus einem Beutel und warf sie ins Wasser. Augenblicklich entfaltete sich ein würziger, etwas bitterer Duft.
Er fragte sich, ob es Schrate waren, die im Gebüsch hangabwärts auf ihn lauerten, verwarf aber diesen Gedanken gleich wieder. Ein Schrat alleine machte mehr Lärm als eine Herde Ochsen, und dieser Schleicher war kaum zu hören.
Thork holte ein Stück altbackenes Fladenbrot und einen letzten Rest Käse aus seinem Rucksack und brachte dabei unauffällig seine Streitaxt in Reichweite. Er vermied es, in die Richtung zu sehen, wo er den Späher vermutete. Er wollte keinen Verdacht erregen, indem er sich auffällig umsah. Der Unbekannte sollte sich unentdeckt fühlen.
Ein Zweig knackte kaum hörbar, doch es versetzte Thork augenblicklich in Alarmbereitschaft. Seine Finger zerbröckelten automatisch das trockene Brot, während er mit höchster Konzentration lauschte.
Ein Schaben, gerade an der Grenze seiner Wahrnehmung, Leder vielleicht, das auf Leder rieb, und wieder ein Knacken. Da arbeitete sich jemand durchs Unterholz.
Ohne den Blick von seinen Händen zu wenden, rief Thork sich das Gelände hangabwärts in Erinnerung. Der Wald war licht, es gab nur wenige Stellen, wo eine ausgewachsene Person Deckung finden konnte. Schräg hinter ihm war so eine, ein längst vergangener Sturm hatte eine Buche gefällt, ihre verrottende Krone bildete ein schier undurchdringliches Gestrüpp. Ein kluger Späher kam von dort.
Thork bedachte seine Möglichkeiten. Er spürte in sich hinein, nahm Kontakt auf mit der göttlichen Kraft, die wie ein ruhiger, tiefer Teich in ihm lag. Er schöpfte etwas davon und lenkte sie hinauf in sein Bewusstsein, wo er sie bereitlegte wie zuvor seine Axt. Er warf Zauber nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ, aber dies war möglicherweise eine solche Situation.
Leises Rascheln. Was tat dieser Spion? Vertrieb er sich die Zeit mit Pilzesuchen?
Thork beschloss, dem Versteckspiel ein Ende zu machen.
Gemächlich und ohne Eile erhob er sich, streckte den Rücken durch und machte einen Schritt, der ihn in die Deckung des Felsens brachte. Er nahm den Stiel der schweren zweischneidigen Axt und wirbelte sie hoch.
Er würde seinen Besuch gebührend empfangen.
»Komm raus!«, schrie er, obwohl er sich keineswegs sicher war, dass es sich nur um eine Person handelte. »Oder ich fälle dich wie einen Baum!«
Ein kurzer Blick um den Fels zeigte ihm Bewegung im Gestrüpp um die umgestürzte Buche. Jemand kroch dort und versuchte, die Flucht anzutreten.
Der Verlust seines Auges hatte ihn nicht der Fähigkeit beraubt, im Dunkeln zu sehen. Es war tatsächlich nur einer, der groß und schlank war und gebückt ging oder sich auf den Knien fortbewegte.
Ein Mensch.
Kaum besser als ein Schrat.
Er senkte die Axt und lehnte sie gegen den Fels, während er gleichzeitig die Entfernung abschätzte, zehn Schritte vielleicht. Der Mensch war zweifelsohne schneller, aber noch steckte er im Gestrüpp fest.
Thork machte einen Satz vorwärts, trat den Teetopf um, der sich ins Feuer ergoss und es zum größten Teil löschte. Halbdunkel fiel über den Wald. Thork hoffte, dass es den Menschen mehr behinderte als ihn selbst.
Ein kurzer Spurt brachte Thork zu der Stelle, wo der Mensch versuchte, sich aus den verflochtenen Ästen der umgestürzten Baumkrone zu befreien und gleichzeitig das Schwert zu ziehen, das an seiner Seite baumelte. Thork warf sich auf ihn. Äste krachten, als er den anderen zu Boden riss und ihm die Arme auf den Rücken drehte. Schmale Arme mit zierlichen Handgelenken, die Thork beide mit einer Hand umfassen konnte, ohne sich zu bemühen. Er rammte seinem Gefangenen unsanft ein Knie in den Rücken, damit er aufhörte zu zappeln. Dann betrachtete er seinen Fang.
Es war eine Frau, zierlich und nicht sehr groß für eine Menschliche. Ihr langer, schwarzer Zopf hatte sich bei ihrem Sturz in den Zweigen verfangen und lag darin wie eine aufgespießte Schlange. Sie trug einen leichten Lederpanzer, der ihren Oberkörper schützte, Hosen und hohe Reiterstiefel, mit denen sie unablässig um sich trat, ohne ihn allerdings ernsthaft zu erwischen. Ihr Gesicht sah er nicht, er hielt es gegen den Boden gedrückt, er achtete darauf, dass sie atmen konnte, musste allerdings gleichzeitig ihr Gezeter in Kauf nehmen.
»Runter von mir, dreckiger Zwerg! Sonst schreie ich, bis dir das Trommelfell platzt!«
»Findest du es klug, jemanden zu beschimpfen, der dir mit einem Griff das Genick brechen könnte?« Er musste nicht laut werden, um wütend zu klingen. Er wurde niemals laut. Es widersprach seiner Auffassung von Selbstbeherrschung.
»Dann brich es mir doch!«, fauchte sie. »Du wirst sehen, was du davon hast, spätestens, wenn meine Leute kommen, um mich zu suchen!«
Die Art, wie sie es sagte, überzeugte ihn, dass sie allein war. Er drückte ihr Gesicht in den Waldboden, nur für einige Augenblicke, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, griff sie dann im Nacken wie einen jungen Hund und riss ihren Kopf hoch. Sie hustete und spie Erde aus.
Mit der freien Hand zog er seinen Dolch aus dem Gürtel und legte die kalte Klinge an ihre Kehle. Dann schlang er sich ihren Zopf um die andere Hand wie einen Strick, ohne auf ihre lautstarken Beschwerden zu achten.
»Steh auf«, befahl er ihr. »Ganz langsam. Dieses Messer ist scharf. Es wird deinen Hals durchschneiden, falls es nötig ist.«
Sie gehorchte widerstrebend. Sie überragte ihn um Haupteslänge, als sie stand. Ihr Hals war nach wie vor bequem in seiner Reichweite.
»Leg dein Schwert ab.«
»Was ist das hier?«, fauchte sie. »Eine Gefangennahme?«
»Genau das. Und ich verfahre nicht zimperlich mit meinen Gefangenen. Also überleg dir, was du tust.«
Zögernd löste sie ihren Schwertgürtel und ließ die Waffe zu Boden sinken.
»Voran jetzt«, sagte er und stieß sie vorwärts in Richtung seines Lagerplatzes. »Ich will dich mal in Ruhe ansehen.«