Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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dachte nach, während er ging. Die vielen Schrate hier im Wald verwunderten ihn. Er kannte die Südhänge des Wettersteins seit vielen Jahren, er war oft hier gewandert, und eigentlich war es eine friedliche Gegend. Schrate waren in den höheren Regionen des Gebirges zu Hause. Man erzählte sich, sie unterhielten befestigte Siedlungen an den Nordhängen des Gebirges, und Thork konnte sich nicht erinnern, in diesen Wäldern jemals auf mehr als einige vereinzelte von ihnen getroffen zu sein, und schon gar nicht auf kriegerische Trupps, die mit ihrer beschränkten Intelligenz Streit suchten.

      Betrachtete man es von dieser Seite, so konnte er von Glück sagen, dass er auf die junge Kriegerin gestoßen war – oder sie auf ihn.

      Nun jedoch musste er sehen, wie er sie wieder loswurde.

      Er sah ihr Gesicht vor sich, Züge, schön wie die aufgehende Sonne, aber verunstaltet von Hochmut und Jähzorn. Er hätte kurzen Prozess mit ihr machen sollen, so lange er noch die Möglichkeit gehabt hatte. Er tötete nicht leichtfertig, aber er war auch nicht zimperlich mit seinen Gegnern. Es verärgerte ihn, dass er sich hatte erweichen lassen durch – wodurch eigentlich?

      Sie hatte etwas an sich gehabt, das ihn zum Zögern veranlasst hatte. Es mochten, oberflächlich betrachtet, ihre Jugend und Schönheit gewesen sein, doch verbarg etwas sich dahinter, auf das er den Finger nicht legen konnte.

      Es machte keinen Unterschied. Sie hatten Seite an Seite gekämpft, und sie hatte ihm nichts zuleide getan, als er schlafend ihr ausgeliefert gewesen war. Das nahm ihn in die Pflicht. Er musste nun, ob er wollte oder nicht, versuchen, eine unblutige Lösung für das Problem zu finden.

      Er verfluchte seine Schwäche, während er weiter durch den Wald aufstieg.

      Etwa eine halbe Stunde später erreichte er eine seiner Wegmarken, die er sich in der Nacht zuvor eingeprägt hatte, um den Weg zurück zur Trollspur zu finden: ein alter, vom Blitz gespaltener Baum, auf dessen vermoderndem Stamm Pilze in dichten Nestern und büschelweise Farn wuchsen. Die Reiterin hatte die abgestürzte Baumkrone des toten Riesen umrundet und ihren Weg hangaufwärts, in nördlicher Richtung, fortgesetzt.

      Thork lächelte zufrieden. Der Weg, den die Reiterin eingeschlagen hatte, war eindeutig falsch. Die Trollspur verlief um einiges weiter östlich.

      So löste sich das Problem möglicherweise ganz von selbst.

      Am späten Nachmittag des gleichen Tages befand sich Thork Eisenfels in Schwierigkeiten. So lange der Troll sich auf weichem, feuchtem Waldboden bewegt hatte, war es für den im Spurenlesen ungeübten Zwerg kein Problem gewesen, der Spur zu folgen. Nun jedoch hatte der Untergrund sich verändert, war wieder felsiger geworden, und Nadelwald hatte die hohen Buchenbestände abgelöst. Thork bewegte sich über einen trockenen, elastischen Teppich aus braunen Fichtennadeln, auf denen seine beschlagenen Stiefel ebenso wenig Spuren hinterließen wie die groben Füße des Trolls, und er hatte seine Spur längst verloren, auch wenn er noch nicht bereit war, sich das einzugestehen. Immer wieder kniete er nieder, um den Boden zu untersuchen, ging dann ein Stück seines Weges zurück, schlug einen suchenden Kreis zwischen den Bäumen, kehrte an seinen Ausgangspunkt zurück, nahm seine ursprüngliche Richtung wieder auf und begann nach einer Weile von vorne.

      Er hatte die Spur schon weiter unten im Wald verloren und wiedergefunden. Ein Troll konnte sich nicht spurlos durch Gelände wie dieses bewegen. Und er, Thork, war zwar kein Waldläufer, aber er war ein aufmerksamer Beobachter und nicht dämlich. Er würde die verdammte Spur auch dieses Mal wiederfinden.

      Zum ungezählten Male richtete er sich von einer genauen Betrachtung des Waldbodens auf und ließ den Blick schweifen, wischte sich dann mit dem Handrücken über das gesunde Auge, weil die Sicht sich ihm zu verschleiern schien, doch der eigenartige Schleier blieb.

      Nebel kam auf.

      Thork fluchte lauthals.

      Und was für Nebel.

      Schon beinahe greifbar quoll er zwischen den Bäumen hervor, strudelte über den Waldboden, senkte sich von oben herab und legte sich wie ein feuchtes Tuch auf Thorks Gesicht. Die kräftigen Farben des Waldes verblassten zu unwirklichem Grau. Die Felsbrocken verloren den Bodenkontakt und schwammen auf der wirbelnden weißen Flut. Die hohen, geraden Baumstämme führten ins Nichts.

      Mit dem Nebel kam die Stille. Kein Luftzug verursachte Rauschen in den Baumwipfeln, kein Tier raschelte, kein Vogel pfiff oder flatterte.

      Unwirklich.

      Unbehagen kroch ihm den Rücken hinauf. Wenn dies ein natürlicher Nebel sein sollte, dann war es entschieden der eigenartigste, nebelhafteste Nebel, den er je erlebt hatte. Genauso gut konnte er aber auch zauberischer Natur sein.

      Und dann musste es hier irgendwo einen Zauberer geben, der ihn erzeugte.

      Thork griff nach hinten und holte seine Streitaxt aus ihrer Halterung auf seinem Rücken.

      Was, wenn diese junge Menschliche nicht nur eine Schwertkämpferin, sondern überdies auch noch eine Zauberkundige war und diesen Nebel gewirkt hatte, um ihn in die Irre zu führen?

      Er schloss die Finger fest um den glatten, abgegriffenen Stiel der Axt. Das Blatt erschien grau und stumpf im Zwielicht.

      Sie würde sich täuschen. Er kannte diese Wälder besser als jeder andere. Er ließ sich von etwas Nebel nicht verwirren. Ein Stück östlich gab es eine kleine Felsgruppe, deren einer einen Überhang bildete. Dort würde er mit geschütztem Rücken warten, bis der Nebel sich verzog. Schließlich konnte sie ihn nicht für immer aufrecht halten.

      Vorsichtig machte er sich auf den Weg.

      Obwohl er wie die meisten Zwerge einen hervorragenden Orientierungssinn besaß, fiel es ihm schwer, die Richtung beizubehalten. Wo immer er sich befand, der Nebel schien gerade dort am dichtesten zu sein.

      Tastend bewegte er sich voran, als würde er durch trübes Wasser waten. Wie geisterhafte Schemen tauchten Bäume und Felsen aus den Schwaden auf, doch sie waren auf seltsame Art in Bewegung und boten dem Blick keinen Halt. Mit Flechten und Efeu bewachsene Felsbrocken, die ihm fremd erschienen, lagen in seinem Weg.

      Immer wieder blieb Thork stehen und sah sich um. Sein Verstand sagte ihm, dass er in diesem Wald jeden Stein kannte, egal bei welchem Wetter, und dass er überdies noch nicht lange genug im Nebel unterwegs war, um sich vollständig verirrt zu haben, aber seine Gefühle waren die eines Verirrten: nervös, unruhig, verwirrt, der Wald schien plötzlich feindlich und bedrohlich.

      Ein eigenartiges Kribbeln breitete sich in seinem Nacken aus und rieselte ihm wie feiner Sand den Rücken hinunter: Als würde jemand dicht hinter ihm stehen, von dem er im nächsten Augenblick eine Berührung erwartete.

      Er fuhr herum und riss die Axt hoch.

      Niemand. Er war allein. Es war still. Nur sein eigener Herzschlag hämmerte ihm in den Ohren.

      Das eigenartige Gefühl jedoch ließ nicht nach, als hätte der unsichtbare Beobachter die Drehung mitgemacht und stünde nun erneut dicht hinter ihm.

      Thork drehte sich einmal um sich selbst und schwang die Axt. Zischend durchschnitt sie die Luft.

      Da ist niemand, versuchte er sich zu beruhigen. Nur eine Sinnestäuschung.

      Peinlich, ein solches Theater wegen eines kleinen Wetterumschwunges.

      Er nahm seinen Weg wieder auf und orientierte sich an der Neigung des Hanges. Wenn er den Anstieg links von sich behielt, musste er ungefähr nach Osten gehen.

      Ganz einfach. Ein Kinderspiel.

      Er war kaum einen Steinwurf weit gekommen, als er erneut innehielt.

      Waren da nicht Stimmen?

      Hangabwärts, irgendwo schräg vor ihm?

      Gemurmel, fast schon jenseits der Grenze des Hörbaren.

      Er lauschte angestrengt mit angehaltenem Atem.

      Nichts.

      Er stieß die Luft aus und wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Feuchtigkeit lag kühl auf seiner Haut, in seinem Bart hatten


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