Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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wie er verdrossen feststellen musste, es dauerte lange, bis er die Pfeife in Gang bekam. Lianna hatte inzwischen die Schale geleert, füllte sie nun nach und reichte sie ihm zurück.

      »Muss das sein?«, beschwerte sie sich, gerade als er den ersten tiefen Zug genommen hatte und den Rauch durch Mund und Nase allmählich ausströmen ließ. »Das stinkt!«

      »Dein Pferd stinkt auch«, gab er ungerührt zurück.

      Ihr Gesicht verzog sich im Ärger, sie schlug mit der flachen Hand gegen den Fels, an dem sie saß, warf sich dann auf den Rücken, den Kopf auf ihren Rucksack gestützt, und starrte hinauf in den Himmel, der noch immer neblig verhangen war. Ein Schweigen kehrte ein, das Thork genoss. Er trank seine Schale Tee und rauchte die Pfeife zu Ende, ohne dass etwas seinen Frieden störte. Er war gerade dabei, Asche und Tabakreste mit einem flachen Stein aus dem Pfeifenkopf zu klopfen, als er bemerkte, dass sie ihn ansah.

      »Wie ist es eigentlich passiert?«, fragte sie und spielte mit dem Ende ihres langen Zopfes. Ihr Zorn hatte sich offenbar wieder gelegt.

      Er hielt in der Bewegung inne. »Was meinst du?«, fragte er, obwohl er befürchtete, die Antwort zu kennen. Es war die Frage, die über kurz oder lang jeder stellte, mit dem er es zu tun bekam.

      »Ich meine das mit deinem Gesicht.« Sie drehte sich auf die Seite und stützte sich auf den Ellenbogen, um ihn besser betrachten zu können.

      Er versuchte, die Erinnerungen niederzukämpfen.

      »Ich spreche nicht darüber.«

      »Schade«, sagte sie, und nach einer Weile: »Es muss höllisch weh getan haben, nicht wahr?«

      »In der Tat.«

      »Und – fehlt es dir? Wie kommt man klar mit nur einem Auge?« Sie kniff ihr linkes Auge zusammen und sah sich um. »Kann ich mir gar nicht vorstellen«, fügte sie hinzu.

      »Dämliche Frage«, knurrte Thork. »Natürlich fehlt es. Wenn wir mit einem Auge genauso zurechtkämen wie mit zwei, hätten die Götter uns nur eines mitgegeben.«

      »Und wie kommst du nun klar?«

      »Man gewöhnt sich dran. Und man lernt.«

      Sie ließ sich wieder auf den Rücken fallen. »Vielen Dank für diesen Redeschwall. Sind alle Zwerge so gesprächig?«

      »Unterschiedlich. Vielleicht ist es auch vom Thema abhängig.«

      Sie drehte den Kopf und sah ihn durch die züngelnden Flammen des Feuers hindurch an.

      »Tut mir leid«, sagte sie ernst. »Es sieht aus wie eine alte Verletzung. Ich dachte, es wäre schon lange her, und ich könnte fragen.«

      »Es ist eine alte Verletzung«, bestätigte er, und nach kurzem Zögern setzte er hinzu: »aber eben doch eine Verletzung.«

      »Verstehe.«

      »Das ist bemerkenswert.«

      »Wieso?«

      »Die Menschen, die ich bisher traf, nahmen sich selten die Zeit, über etwas so lange nachzudenken, bis sie es wirklich verstanden hatten. Gerade die jungen nicht.«

      »Tatsächlich? Und die Zwerge, die ich bisher traf, hatten nicht einmal die Intelligenz, einem einfachen Gedanken folgen zu können, geschweige denn einem durchdachten.«

      Er lehnte sich zurück gegen die Felswand, die ganz allmählich die Wärme des Feuers aufzunehmen begann.

      »Und wie viele Zwerge hast du bisher getroffen?«, erkundigte er sich.

      »So einige.« Sie wedelte unbestimmt mit der Hand. »Genug, um mir ein Bild von euch zu machen.«

      »Da bin ich aber mal gespannt. Wie sieht denn dieses Bild aus?«

      Sie zögerte und warf ihm einen langen Blick zu.

      »Wir teilen ein Feuer. Das heißt, ich sollte freundlich sein, oder?«

      »Nicht nötig. Ich bin hart im Nehmen.«

      »Na ja«, setzte sie an. »Bisschen beschränkt eben. Wie man es von Sesshaften erwarten muss. Unterirdisch Sesshaften darüber hinaus. Nicht besonders spannend, sich mit euch zu unterhalten. Irgendwie langsam, und schwerfällig. Ihr habt nichts gesehen außer euren komischen Höhlen und könnt nichts erzählen. Ihr seid grausam, weil euch an anderen Lebewesen nichts liegt. Alles, wofür ihr Leidenschaft empfinden könnt, ist euer Gold. Ihr tragt riesige Schätze zusammen, aber ihr teilt sie nicht und freut euch nicht daran, weil eure Gier euch blendet.«

      »So«, sagte er, und nach einer Weile, die im Schweigen verstrichen war: »Ihr Fahrenden stehlt anderen Menschen die Kinder aus der Wiege, nicht wahr? Ihr tauscht sie aus gegen eure eigenen, die dann zu verschlagenen kleinen Übeltätern heranwachsen. Die Kinder, die ihr selbst aufzieht, behandelt ihr schlechter als euer Vieh. Ihr vergiftet Brunnen, und ihr seid Diebe alle miteinander, und ihr wendet für eure Betrügereien üblen Zauber an.«

      »Das ist nicht wahr!«, fuhr sie auf. »Nichts davon! Das sind bösartige Unterstellungen! Ich habe schon Leute für weniger getötet!«

      »Siehst du?«

      Sie sah ihn an, die Entrüstung wich aus ihren Zügen, plötzlich lächelte sie.

      »Ich sehe. Und ich denke, ich gehe jetzt besser mein stinkendes Pferd versorgen, bevor das hier noch peinlicher für mich wird.«

      Vorsichtig erwiderte er ihr Lächeln, kaum mehr als ein kurzes Zucken seiner Mundwinkel.

      Sie erhob sich und stieg über ihren Rucksack hinaus in den Nebel.

      »Wenn ich mich heute Nacht zum Schlafen lege«, sagte er, »werde ich dann morgen tot sein?«

      Sie wandte sich zu ihm, Nebel umhüllte ihre Gestalt, und immer noch lächelte sie.

      »Jedenfalls nicht von meiner Hand«, erwiderte sie.

      Am nächsten Morgen hatte der Nebel sich verzogen. Lange goldene Sonnenstrahlen fielen durch die Bäume hinunter auf den Boden und ließen Tautropfen funkeln wie einen königlichen Zwergenschatz. Der Waldboden dampfte in der frühen Wärme. Es roch nach Nässe und Fichtennadeln.

      »Was ist dein Plan für heute?«, fragte Thork Lianna, während sie kurz und – aufgrund ihrer beschränkten Vorräte – sparsam frühstückten.

      Lianna grinste vergnügt.

      »Immer noch bestrebt, mich von dem Troll abzubringen, was?«

      »Der ungeklärte Streitfall um unsere Ansprüche ist das eine«, erwiderte er völlig ernst. »Das andere ist mein Interesse daran, wie du die Spur wiederfinden willst, die du zweifellos gestern verfehlt hast.«

      »Ich danke dir für deine Anteilnahme. Aber – nur mal angenommen, ich hätte die Spur wirklich verloren – und ich behaupte nicht, dass es so ist – sollte dich das nicht freuen? Du hättest die einmalige Gelegenheit, mich ein für alle Mal abzuhängen!«

      »Du hast sie verloren. Ich bin gestern auf ihr gewandert, und da waren keine Hufspuren.«

      »Na gut. Aber was ist mit dir? Ich könnte schwören, dass du sie genauso verloren hast. Spätestens in diesem Nebel gestern.«

      Er schwieg und stocherte mit einem Stock in der verlöschenden Glut.

      Sie ließ sich auf den Rücken fallen und brach in Gelächter aus. Seine Hand zitterte plötzlich, und er ließ den Stock fallen.

      »Großartig«, sagte sie. »Das wird heldenhaft werden. Wir werden beide durch den Wald irren und versuchen, diese Spur zu finden, bevor der andere sie findet. Was für ein Spaß.«

      »Es gibt noch einen Weg«, sagte er.

      »Und der wäre?«

      »Es wohnen Menschen in diesen Wäldern. Man könnte sie fragen. Es sind hervorragende Spurenleser dabei. Einer von ihnen hat sein Haus etwa einen Tagesmarsch von hier. Man könnte ihn aufsuchen, falls man bereit wäre, den Umweg in Kauf zu nehmen.«


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