Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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      Sie schwang die Beine über den Bettrand und schlich barfuß zur Tür. Durch den Spalt spähte sie vorsichtig ins Freie.

      Im blassen Mondlicht sah sie den Zwerg. Er war auf den Knien, das gesunde Auge hatte er geschlossen. Mit seinen riesigen Pranken berührte er erst seine Stirn, dann seine Brust, dann öffnete er die Hände zur Seite und hob das Gesicht zum schwarzen Himmel. Das Priestersymbol auf seiner Brust schimmerte matt. Er sprach leise in der merkwürdigen Zwergensprache, und Lianna brauchte eine Weile, bis sie begriff, dass er betete.

      Sie hielt den Atem an. Sie verstand kein Wort, wusste nur, dass er länger zu seinem Gott sprach, als er es in den vergangenen Tagen mit ihr getan hatte, und dass sie diesen Umstand bedauerte. Sie betrachtete ihn in seiner völligen Versunkenheit, wie er die Gesten wiederholte, sein Gesicht war ruhig und gelöst, jeder Grimm war daraus gewichen, und etwas wie Hingabe machte seine groben Züge fast weich.

      Sie sah hinter seine Maske, und was sie sah, überraschte und berührte sie gleichermaßen.

      Plötzlich fühlte sie sich wie ein Eindringling. Dieser Augenblick sollte ihm gehören und seinem Gott, und sie sollte nicht als ungebetener Zaungast an der Tür herumlungern. Überdies verstummte er nun, strich sich mit den riesigen Pranken übers Gesicht und machte Anstalten, aufzustehen. Wenn er sie hier unter der Tür erwischte, würde sie keine Gnade zu erwarten haben.

      Sie fuhr von der Tür zurück, floh durch den Raum und warf sich auf ihr Lager. Ihre Wangen brannten, und ihr Herz schlug einen Trommelwirbel. Sie schloss die Augen und sah sein Gesicht, sie fragte sich, wie er wohl ausgesehen hatte, bevor er so grausam entstellt worden war.

      Als sie hörte, wie er leise von draußen herein kam und die Tür ins Schloss zog, drückte sie ihr Gesicht fest ins Kissen und atmete bewusst tief. Sie lauschte darauf, wie er sich auf seinem Lager niederließ, sich zurecht rückte und schließlich ruhig liegen blieb.

      Er war vielleicht gar nicht so abstoßend gewesen. Vielleicht hatte er freundliche Augen gehabt, einen ruhigen, unergründlichen, grün-goldenen Blick, vielleicht ein Lächeln unter dem Bart.

      Vielleicht wurde man so grimmig und verschlossen, wenn alle Welt einen anstarrte und hässlich fand.

      Vielleicht trug er seine Maske, so wie sie die ihre.

      Als sie das nächste Mal erwachte, lag diffuses Licht im Raum, und sie vernahm leise Stimmen.

      »... steigt ohne große Umwege immer höher ins Gebirge auf«, hörte sie Galdur berichten. »Nach dem, was die Tiere beobachtet haben, vermute ich, er hält auf den Wetterstein-Pass zu. Ich weiß kein anderes Ziel, das man dort oben haben könnte. Es gibt dort keine Wohnhöhlen, die sich für Trolle eignen. Es leben keine anderen Trolle dort.«

      »Auf der Ostseite des Gebirges aber schon, wie man sagt.«

      Thorks dunkle Stimme klang gedämpft. »Vielleicht ist er auf dem Weg zurück zu seinem Clan.«

      »Wenn dem so ist, solltest du dich beeilen, ihn noch einzuholen«, erwiderte Galdur. »Im Spätherbst ist es nicht gut so weit droben.«

      »Auch nicht für Trolle.«

      »Mag sein. Aber um einen Troll würde ich nicht trauern, um dich hingegen schon. Du bist ein erfahrener Bergsteiger. Du weißt, Ehrgeiz im Gebirge kann dich umbringen.«

      Eine Pause entstand. Lianna hörte Schritte und das tönerne Klappern von Geschirr. Sie hielt die Augen geschlossen und rührte sich nicht.

      »Was ist mit ihr?«, fragte Galdur nach einer Weile, und Lianna lief ein Prickeln den Rücken hinunter, als sie sich vorstellte, dass beide nun zu ihr hinüber sahen.

      »Was soll mit ihr sein?«, erwiderte der Zwerg mürrisch.

      »Wirst du sie mitnehmen?«

      »Natürlich. Was soll ich denn sonst machen? Wir haben eine verdammte Vereinbarung.«

      »Und du bist sicher, dass auch sie diese Vereinbarung einhalten wird?«, fragte Galdur.

      »Nein.« Der Zwerg hielt die Stimme immer noch gesenkt. »Aber nur weil es Wortbrüchige gibt auf dieser Welt, muss ich nicht zu einem werden.«

      Lianna bekämpfte einen Anflug von schlechtem Gewissen. Der knurrige Zwerg hatte sie besser durchschaut, als sie angenommen hatte.

      Sie hörte, wie Galdur leise lachte. »Sie ist genau die richtige Reisegefährtin für dich«, sagte er leise, und Flüssigkeit plätscherte in einem Gefäß. Würziger Duft von Teekräutern verbreitete sich im Raum. »Sie bringt dich mal ordentlich auf Trab, alter Freund. Das ist schon lange niemandem mehr gelungen.«

      »Und ich lege nicht den geringsten Wert darauf«, entgegnete Thork mit Entschiedenheit. »Ich würde sie mitsamt ihrem Esel am nächsten Baum festbinden und mich davon machen, wenn ich könnte. Sie ist unerträglich.«

      »Sie ist mutig, und eine bezaubernde Person, das kannst du unmöglich abstreiten.«

      »Sie ist nicht mein Typ.«

      Das Vergnügen war in Galdurs Stimme deutlich zu hören. »Das wollte ich dir auch nicht unterstellen, Freund. Mir ist bewusst, dass sie eine Menschliche ist.«

      Der Zwerg knurrte etwas in seiner eigenen Sprache, was Lianna zu ihrem großen Bedauern nicht verstand.

      »Hast du etwas über diesen reisenden Zauberer gehört?«, sagte er dann.

      »Wenig, was ihr nicht schon selbst herausgefunden habt. Es sind drei Menschen und einer, zu klein für einen Menschen und zu dünn für einen Zwerg.«

      »Welcher davon ist der Zauberer?«

      »Ich weiß es nicht. Entweder der Kleine oder die jüngere der beiden Frauen. Die ältere ist eine Kriegerin, so arkan wie ein Stein, und der Mann ist ein Pelzwandler. Zumindest habe ich den Eichelhäher so verstanden.«

      »Ein Pelzwandler? Gehören die nicht ins Reich der Legende?«

      »Ebenso wie Menschen, die mit Tieren sprechen, oder Zwerge, die durch Stein gehen können.«

      Eine lange Pause trat ein, nur hin und wieder unterbrochen vom Klappern und Schaben tönernen Geschirrs. Unter ihren warmen Decken war Lianna beinahe wieder eingeschlafen, als der Zwerg erneut sprach. Mit einem Schlag war Lianna hellwach. Seine Stimme klang völlig anders diesmal, weicher, und Lianna meinte, Besorgnis darin zu hören.

      »Sie wird es nicht bewältigen allein«, sagte er. »Sie weiß überhaupt nicht, worauf sie sich da einlässt. Sie hält das alles für ein großartiges Abenteuer.«

      Galdur antwortete nicht sofort.

      »Und du meinst, es wäre an dir, sie davor zu bewahren?«, fragte er schließlich.

      Der Zwerg seufzte. »Ich will einfach nicht zusehen, wie sie sich ins Verderben stürzt.«

      »Was ist mit dir selbst? Sind deine Chancen, es allein zu schaffen, so viel besser?«

      »Oh, nein«, sagte Thork, nun wieder unwirsch, wie Lianna ihn kannte. »Ich durchschaue dich, mein Freund. Du musst keinen Gedanken daran verschwenden. Kommt überhaupt nicht in Frage. Allein schon deshalb, weil jeder weitere Tag mit ihr auch einen weiteren Tag mit diesem héltier bedeutet, auf dem sie reitet. Es ist gefährlich. Es hat mich im Nebel angegriffen.«

      Galdur lachte. »Ich sehe, du hast in all den Jahren deine Angst vor Pferden nicht abgelegt.«

      »Ich habe keine Angst ...«, fuhr der Zwerg auf und dämpfte seine Stimme sofort wieder, »... vor Pferden«, vollendete er den Satz leise. Lianna sah sich gezwungen, aufzuwachen. Niemand, der nicht tot war, hätte diesen Ausbruch ungestört verschlafen können.

      Sie gab einen kleinen Aufwachlaut von sich, räkelte und streckte sich unter der Decke, drehte sich in den Raum und öffnete die Augen.

      »Guten Morgen«, sagte sie und lächelte ein sanftes, süßes, noch nicht ganz waches Lächeln.

      »Gerade recht zum Frühstück«, knurrte der Zwerg, und sie stellte


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