Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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besser schmeckte, als er aussah, und anschließend durchforstete Lianna noch Galdurs Vorratskammer, bis sie ein Tonbehältnis mit eingekochten Wildäpfeln fand, mit denen sie ihren Hunger auf Süßes stillen konnte.

      Während des Frühstücks ließ sie sich Galdurs Neuigkeiten berichten, und sie begannen, Pläne zu schmieden.

      »Wetterstein ist unwirtlich im Herbst und Winter«, sagte Thork. »Unter anderen Umständen würde ich zu dieser Jahreszeit nicht mehr dort hinaufsteigen. Je schneller wir ihn erwischen, desto besser.«

      »Wir?«, sagte Lianna, und es war mehr als eine einfache Frage.

      »Was ich sagte, gilt für uns beide, egal, wer von uns ihn schließlich zur Strecke bringt«, erwiderte Thork. Sie sahen sich über den Tisch hinweg an. Plötzlich lag Spannung in der Luft. Galdur hielt sich im Hintergrund bei der Feuerstelle. Lianna spürte seinen aufmerksamen Blick, doch er schien sich nicht einmischen zu wollen.

      »Was zweifellos ich sein werde«, behauptete sie kühner, als ihr zumute war, und schob den Topf mit den Wildäpfeln von sich.

      »So«, sagte der Zwerg.

      »Ich bin schneller. Selbst zu Fuß wäre ich schneller.«

      »Du kennst den Weg nicht.«

      »Unsinn«, fuhr sie ihm über den Mund. »Den blöden Wetterstein-Pass finde ich auch ohne deine Hilfe.«

      Der Zwerg strich sich über den kurz geschnittenen, struppigen Bart, eine Geste, als wollte er Ordnung schaffen.

      »Lass uns nicht mit Worten wetteifern«, sagte er, immer noch ruhig. »Lass es uns klären. Es ist vielleicht wirklich an der Zeit.«

      »Na gut.« Sie versuchte, auf dem Baumstumpf, der ihr als Sitz diente, eine Pose einzunehmen, die möglichst viel Überlegenheit ausstrahlte. Sie verspürte das dringende Bedürfnis, dem Zwerg etwas entgegenzusetzen. »Von mir aus. Erzähl mal.«

      »Ich will erst deinen Anspruch hören«, sagte er sehr ernst.

      Sie verdrehte die Augen. »Was ist denn da der Unterschied! Aber gut. Von mir aus.« Sie hielt kurz inne und wappnete sich. »Er hat Pferde aus unseren Herden gestohlen und getötet. Drei trächtige Stuten und zwei Hengste.« Ihre Stimme ging leicht darüber hinweg, sie hoffte inständig, er würde nicht fragen. Sie sah ihn an und las in seinem Gesicht eine Mischung aus Staunen und Unglauben.

      »Das ist nicht dein Ernst«, sagte er, und seine Ruhe bekam Risse. »Du willst doch nicht deinen Anspruch darauf gründen, dass er ein paar Pferde von der Weide geholt hat?«

      »Ich wusste, ein Zwerg würde das nie verstehen können«, sagte sie und arbeitete hart an ihrer Beherrschung.

      »Dann erklär’s mir.«

      »Man kann es nicht erklären. Nicht jemandem, der Pferde für Ausgeburten der Hölle hält. Und nicht jemandem, der es nicht gesehen hat.«

      »Versuch es«, beharrte er.

      Sein Blick fing den ihren und hielt ihn fest, beinahe gegen ihren Willen. In seinem grünbraunen Auge schimmerten kleine goldene Fünkchen.

      »Er hat sie nicht geholt, um sie zu fressen«, sagte sie. »Er hat sie nicht mal mitgenommen. Er hat sie nur gefangen und ihnen die Bäuche aufgeschlitzt. Wir fanden sie dann am nächsten Morgen. Es waren zwei meiner Lieblingsstuten dabei. Ich habe sie mit der Flasche aufgezogen. Sie waren die wunderbarsten Geschöpfe, die man sich vorstellen kann. Die eine stand kurz davor, ihr Fohlen zur Welt zu bringen. Man hat es – gesehen, verstehst du, es war tot, bevor es überhaupt geboren war ...«

      Die Erinnerung überschwemmte sie und spülte ihre Beherrschung davon. Für einen kurzen Augenblick wollte sie sich abwenden, ihr Gesicht aus diesem forschenden Blick nehmen, wollte sich diese Blöße nicht geben, doch sie unterdrückte den Impuls und hielt seinem Blick stand, hielt ihm ihren Schmerz unversteckt entgegen. Er sollte begreifen. Und zu ihrer Verwunderung war er es, der nach einer Weile den Blick abwandte. Er rutschte von seinem Sitz und ging mit schweren Schritten zur Tür, die er aufstieß.

      »Wir haben Nebel heute«, sagte er. »Es wird Mittag werden, bis er sich verzogen hat.«

      Sie ließ eine Weile wortlos verstreichen.

      »Jetzt will ich deinen hören«, sagte sie dann, und ihre Stimme klang wieder fest.

      Thork räusperte sich, verschränkte die Arme vor der Brust, hob den Kopf und blickte hinaus in den trüben Tag.

      »Er hat mein Gesicht zerstört.«

      »Das habe ich mir fast gedacht.«

      »Warum fragst du dann«, knurrte er unfreundlich.

      »Ich konnte doch nicht wissen, ob ich recht hatte. Wie ist es passiert?«

      »Ich war jung und hielt mich für einen besseren Krieger, als ich war.«

      »Du meinst, so wie ich jetzt?«

      Sie sprach gegen seinen breiten Rücken. Die Lederschnur sprang ihr ins Auge, die über seinem Hinterkopf verlief und die Klappe an Ort und Stelle hielt.

      »Möglich«, sagte er.

      »Warum hast du dich mit ihm angelegt?«

      »Er hat unser Dorf überfallen, immer wieder«, sagte er. »Und, wie gesagt, ich überschätzte meine Fähigkeiten.«

      »Hast du nicht deine Zauber gegen ihn angewendet?«

      »Nein. Gròr gab mir diese Kräfte erst später.«

      »Wie hast du dann überlebt?«

      Er stieß ein Knurren aus und warf die Hände in die Luft. »Wie viele Fragen hast du eigentlich noch?«

      »Nur noch diese. Wie hast du überlebt?«

      »Knapp. Er hielt mich wohl für tot, oder er verlor aus anderen Gründen das Interesse. Er hat mich liegen lassen, und meine Leute haben mich rechtzeitig gefunden.«

      Eine Pause entstand, die sich ausweitete und immer tiefer wurde. Lianna rutschte auf ihrem Baumstumpf herum und begann schließlich, das Frühstücksgeschirr zu stapeln, obwohl ihr die Geräusche, die es verursachte, unnatürlich laut vorkamen. Der Zwerg stand in der Tür und sah hinaus in den Nebel, ohne sich zu bewegen.

      »Verdammt!«, rief sie, als sie es nicht mehr ertrug, und stellte mit einem harten, knallenden Geräusch ihren Teebecher auf der Tischplatte ab. »Und wer von uns hat nun den größeren Anspruch? Kannst du mir das sagen? Dreh dich gefälligst um, wenn ich mit dir spreche!«, schrie sie ihn an, und zu ihrer Überraschung ließ er es sich gefallen und drehte sich zu ihr.

      Seine gedrungene Gestalt füllte das helle Lichtviereck der offenen Tür, er hob die Hände und ließ sie wieder fallen, und seine dunkle Stimme klang hilflos.

      »Ich weiß es nicht«, sagte er.

      »Dann sind wir also keinen Schritt weiter als zuvor. All die Aufregung umsonst. Und was machen wir jetzt?«

      »Ich weiß es nicht«, sagte er wieder. »Ich muss darüber nachdenken.«

      »Ich will euch eines zu bedenken geben«, kam plötzlich Galdurs ruhige Stimme dazwischen. »Es sind Schrate unterwegs in diesem Wald, und zwar mehr, als es üblich ist in dieser Gegend. Viele scheinen es eilig zu haben, aber sie nehmen sich vielleicht die Zeit, unterwegs einen einsamen Wanderer aufzuspießen. Jeder von euch alleine ist ungeschützt, wenn er schläft. Ihr seid sicherer, wenn ihr gemeinsam reist.«

      Lianna zuckte zusammen. Sie hatte seine Anwesenheit für einen Augenblick völlig vergessen. Wut schäumte in ihr hoch. Sie hasste es, wenn die guten Argumente nicht von ihr kamen.

      »Nie im Leben«, fauchte sie. »Ich reise nicht mit einem Zwerg!«

      Zu ihrer Überraschung wandte Thork sich wortlos ab, als hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen, verschränkte die Arme vor der Brust und nahm seine Beobachtung des stillen Tals draußen wieder auf. So schnell ihr Zorn hochgeschossen war, so schnell verrauchte er wieder, und sie bedauerte


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