Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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Ranessa«, stellte der Zwerg sie vor. »Sie ist eine Sidarthi–Prinzessin, oder so ähnlich. Hab sie in den Wäldern aufgelesen.«

      »Willkommen in meinem Haus«, sagte der Waldhüter. »Ich bin Galdur. Ihr habt nichts zu befürchten«, fügte er hinzu, und für einen raschen Augenblick überlegte Lianna, ob er wohl in der Lage war, ihre Gedanken zu lesen. »Die Freunde von Meister Eisenfels sind auch meine Freunde – oder sagen wir in diesem Fall besser, seine Nicht-Feinde, nicht wahr?«

      »Ich befürchte nichts«, widersprach Lianna hochmütig. »Trotzdem danke ich Euch. Und, in der Tat, Freund trifft es nicht wirklich.«

      Der Waldhüter lächelte.

      »Ein prächtiges Pferd habt Ihr da«, sagte er und hielt dem Schwarzen seine riesige Hand hin, damit er sie beschnuppern konnte.

      »Er misstraut Fremden ... normalerweise«, fügte sie verwundert hinzu, als der Schwarze seine Nase in die ihm dargebotene Hand schmiegte und sich mit allen Anzeichen des Genusses die Stirn kratzen ließ.

      »Ihr könnt ihn hinter dem Haus anbinden«, sagte Galdur. »Er kann dort grasen, und es gibt auch einen Wassertrog.«

      »Ich danke Euch«, wiederholte Lianna höflich und zog den Schwarzen mit sich, der sich nur widerstrebend von dem großen Mann löste.

      »Ein schöner Verbündeter bist du«, schimpfte sie ihn leise, während sie ihm den Sattel abnahm. »Hast nichts Besseres zu tun, als dich sofort beliebt zu machen. Was ist los mit dir? Du bist doch sonst kein Schmeichler.«

      Ungerührt senkte der Schwarze den Kopf und begann, Gras zu rupfen. Lianna kontrollierte seine Beine und Hufe und begann dann, den Staub der Reise aus seinem Fell zu bürsten. Viel zu reinigen gab es nicht, aber so konnte sie die Gesellschaft der beiden wilden Kerle noch ein wenig von sich fernhalten.

      Schließlich glänzte das Fell des Schwarzen wie polierter Obsidian, und Liannas Arme waren lahm. Sie war durstig und hungrig und verspürte das Bedürfnis, sich nach dem langen Tagesmarsch hinzusetzen und auszuruhen. Die Sonne war hinter den Baumwipfeln verschwunden. Lange Schatten füllten das Tal. Sie schulterte ihr Gepäck und ging um das Haus herum. Die Tür stand offen. Der Zwerg hatte Gepäck und Rüstung abgelegt und saß hemdsärmelig an einem grob zurechtgezimmerten Holztisch, die Hände um eine Tonschale gelegt, aus der es dampfte. Als Sitzgelegenheiten dienten auf verschiedene Größen zurechtgesägte Baumstämme. Ein niedriges Feuer brannte in der gemauerten Kochstelle. Auf einigen Brettern an der Wand war Kochgeschirr gestapelt, sonst gab es in dem Raum nur noch eine Schlafstatt und, an deren Fußende, eine verwitterte Holztruhe. Durch die offenen Fenster drangen Vogelgezwitscher und das abendliche Konzert der Grillen in den Raum.

      »Da bist du ja«, sagte Galdur und schulterte ein kleines, verschnürtes Bündel. »Ich breche gleich auf.«

      »Und wohin?« Lianna ließ ihr Gepäck zu Boden gleiten und bewegte die schmerzenden Schultern. »Es wird Abend.«

      »Thork erzählte mir von dem Troll«, sagte Galdur und sah zwischen dem Zwerg und ihr hin und her. »Ihr habt seine Spur verloren, und er bat mich, dass ich sie euch wiederfinde.«

      »Aber du wirst nachts nichts sehen können«, erwiderte Lianna verständnislos.

      »Sehen nicht, aber hören. Die meisten Tiere sind in der Abend- und Morgendämmerung unterwegs, und die nächtlichen Wanderer sind die aufmerksamsten. Ich werde mich kundig machen – auch darüber, wer außer euch und dem Troll noch in diesem Wald unterwegs ist.«

      »Ah ja«, sagte Lianna langsam und gewann den Eindruck, dass diese Berge voll von eigenartigen Zauberern sein mussten. »Du ... sprichst also mit den Tieren?«

      »Sprechen ist vielleicht das falsche Wort. Ich verständige mich mit ihnen.«

      »Interessant«, sagte Lianna, weil sie nicht wusste, was sie sonst erwidern sollte.

      »Ist das so ungewöhnlich?«, fragte Galdur. »Verständigst du dich denn nicht mit deinem Pferd?«

      »Das ist etwas anderes.«

      »Es ist im Grunde genau das Gleiche. Ich habe höchstens ein paar mehr Möglichkeiten. Und jetzt muss ich los, sonst verpasse ich meinen Freund, den Fuchs. Ich werde morgen bei Sonnenaufgang wieder hier sein. Fühlt euch wie zu Hause.«

      Damit trat er ins Freie und stapfte davon, hinüber zum Bach.

      »Der will mich wohl auf den Arm nehmen«, schimpfte Lianna, die sich fühlte, als sei dem Waldhüter genau das gelungen, und trat unter die Tür, um dem Riesen hinterher zu sehen.

      »Stimmt doch, oder?«, wandte sie sich über die Schulter dem Zwerg zu. »Er wollte mich auf den Arm nehmen!«

      Der Zwerg rutschte von seinem Baumstumpf.

      Er hatte sich einen der höheren ausgesucht, was ihm erlaubte, in der richtigen Höhe zur Tischplatte zu sitzen, allerdings baumelten seine Füße dabei eine Handbreit über dem Boden.

      »Mag sein«, sagte er, »mag auch nicht sein. Wer weiß das schon.«

      Lianna schnaubte aufgebracht. »Ich dachte, er ist dein Freund, oder habe ich das falsch verstanden?«

      Der Zwerg nahm einen kleinen Sack vom Boden auf und legte ihn auf den Tisch, dann suchte er aus Galdurs Küchenutensilien ein kleines Messer und einen Topf heraus, tat beides zu dem Sack und kletterte wieder auf seinen Sitz.

      »Er ist ein Freund«, sagte er und schnürte den Sack auf. »Das heißt aber noch lange nicht, dass ich alles verstehe, was er sagt oder tut.«

      »Und du hast nie gefragt?«

      »Nein.«

      »Warum nicht?«

      »Er wird es mir schon erklären, wenn es nötig wird.«

      Lianna warf die Hände in die Luft. »Ich bin umgeben von seltsamen Leuten!«

      »Das passiert manchmal im Leben«, bestätigte Thork ungerührt.

      Sie gab ihren Posten an der Tür auf, schlenderte durch den Raum, setzte sich dem Zwerg gegenüber an den Tisch und begann, ihn zu beobachten. Das Kinn stützte sie auf die Fäuste.

      Der Zwerg holte eine dicke, verzweigte Wildwurzel aus dem Sack, wischte bröckelige Erde davon ab und begann, sie zu schälen. Lianna sah zu. Er tat seine Arbeit mit großer Sorgfalt, und das Geschick, mit dem er das kleine Messer in seinen riesigen Pranken führte, verriet, dass er an Arbeiten dieser Art gewöhnt war. Sie musste unwillkürlich lächeln. Plötzlich wirkte er gar nicht mehr wild und gefährlich.

      Er sah kurz auf, als hätte er ihr Lächeln gespürt, doch er sagte nichts und holte nur die nächste Wurzel aus dem Sack.

      Nach einer Weile begann sie, sich zu langweilen. Dem Zwerg war offenbar nicht danach, eine Unterhaltung zu beginnen, und sie kannte seine außerordentliche Schweigsamkeit mittlerweile zur Genüge. Unruhig rutschte sie auf ihrem Baumstumpf herum und ließ den Blick durch den Raum wandern, doch er bot nicht das Geringste, was von Interesse sein konnte. Missmut machte sich in ihr breit. Sie war es nicht gewöhnt, dass man sie wie Luft behandelte, und sie hasste es. Außer dem brummigen Zwerg war niemand hier, der ihr Beachtung schenken konnte, also musste er es tun.

      Die Gelassenheit, die er ausstrahlte, verstärkte ihre Anspannung. Sie verspürte den heftigen Wunsch, diese Schale aufzubrechen, zu sehen, wie er seine Fassung verlor, sie wollte ihn aus seiner verdammten Ruhe bringen, die ihn von ihr abschirmte wie ein unsichtbarer Schild. Ihr Missmut wandelte sich in Wut.

      Ob sich mit ihm streiten ließ? Sie dachte noch darüber nach, als er wieder aufsah und ihrem Blick begegnete.

      »Es ist nicht nötig, dass du untätig herumsitzt«, sagte er. »Hol dir ein Messer und hilf mir.«

      »Ich kann das nicht«, sagte sie, ohne sich vom Fleck zu rühren.

      »Wie bitte?« Sie meinte, eine gewisse Belustigung in der Stimme des Zwerges zu hören. »Dann hast du bisher die Rüben gegessen, wie sie aus der Erde kamen, oder wie darf ich das


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