Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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sich über seine Schulter und versuchte, ihm ins Gesicht zu sehen, das er abwandte. »Ich hab’s nicht so gemeint.«

      »Dann denk, bevor du sprichst«, knurrte er unwirsch.

      »Ja«, sagte sie. »Das wäre manchmal wirklich besser.«

      Diesmal war es an ihm, überrascht zu sein. Er wandte sich zu ihr und sah zu ihr hinauf. Sie erkannte, dass er mit einer so sanftmütigen Reaktion nicht gerechnet hatte. Sie lächelte ihn an, entschuldigend, und sah, wie ihr Lächeln bei ihm ankam und sein Gesicht erhellte, fast schon hätte man meinen können, er würde das Lächeln erwidern.

      »Mein Pferd ist nicht gefährlich«, sagte sie nach einer Weile, die sie beide hinaus in den trüben Tag geschaut hatten. »Im Gegenteil. Er ist das sanfteste Wesen, das ich kenne. Er würde niemandem etwas zuleide tun.«

      »Du hast also tatsächlich nicht geschlafen«, stellte er fest.

      »Na ja«, sagte sie, »nicht mehr richtig.«

      Er warf einen kurzen Blick zu ihr hinauf.

      »Ihr hättet rausgehen können«, verteidigte sie sich.

      »Schon gut«, sagte er. »Vergessen wir’s.«

      »Du sagtest, du müsstest darüber nachdenken, was als Nächstes passieren soll«, sagte sie nach einer Weile. »Wie lange wirst du dafür brauchen? Ich meine, der Troll wird keine Pause machen und warten, bis du dich entschieden hast.«

      »Lass uns aufbrechen«, erwiderte er. »Ich kann gleichzeitig denken und wandern.«

      Galdur führte sie bergauf durch den nebligen Wald, der an diesem Tag jeden Zauber verloren hatte. Einzelne schwere Tropfen fielen auf ihre Köpfe und Schultern. Eingebettet in dunkles Moos leuchteten fahle Pilze. An den tiefen Ästen, die ihnen immer wieder den Weg versperrten, hingen mit winzigen Wassertropfen grau überzogene Spinnweben, die auf den Händen den Eindruck einer unangenehmen, klebrigen Berührung erzeugten, der sich kaum abschütteln ließ.

      Galdur ging voran und bewegte sich mit solcher Sicherheit, als ginge er in seinem eigenen Haus vom Tisch zur Tür. Thork, der ihm folgte, gab es bald auf, nach Wegmarken Ausschau zu halten. Weiter oben, so hoffte er, wenn dieser enge, tropfende Wald der Höhenluft wich, würde er sich wieder zurechtfinden. Er vertrug es nicht, keine Orientierung zu haben. Es wurde Zeit, dass sich dieser Zustand änderte.

      Hinter seinem Rücken schnaubte das héltier, und der Laut jagte dem Zwerg einen Schauer über den Rücken. Er hörte, wie das lederne Sattelzeug leise knirschte und wie kleine Äste unter den Hufen zerbrachen. Lianna hatte es vorgezogen, zu reiten, statt das Monster am Zügel zu führen, und er hoffte inständig, dass sie das Tier im Griff hatte. Jedes Mal, wenn es näher rückte, beschleunigte er seinen Schritt und hoffte gleichzeitig, dass sie es nicht bemerkte.

      Das Gewirr an Gedanken und Überlegungen, das an diesem Morgen seinen Kopf füllte, war nicht weniger undurchdringlich als der Wald, in dem er steckte – und er verabscheute Unordnung. Alles musste seinen Platz haben, an dem man es zuverlässig finden konnte, das galt für Gedanken ebenso wie für Gegenstände oder Personen. Auf einmal jedoch war sein Leben voller Dinge, die er nicht einzuordnen wusste, und alle waren sie durch diese junge Hraedari verursacht worden, deren Launen wechselhafter waren als das Herbstwetter in den Bergen. Er überdachte zum wiederholten Male ihren Jagdanspruch, der so plötzlich gegen seinen stand. Noch heute bei Sonnenaufgang hätte er es niemals für möglich gehalten, dass ein Anspruch an den seinen heranreichen könnte. Er verstand noch immer nicht ihre Vernarrtheit in diese unberechenbaren, abstoßenden Wesen, doch er hatte die Trauer verstanden, die sie ihm gezeigt hatte. Offenbar war ihr etwas außerordentlich Wertvolles genommen worden, und er wollte nicht ungerecht ihr gegenüber sein und ihren Anspruch von sich weisen, nur weil sie eine Hraedari war und ihm auf die Nerven ging.

      Sie wanderten bis gegen Mittag, ohne viel zu sprechen. Auch Lianna hielt sich, wie Thork fand, auf angenehme Art zurück. Der Nebel lichtete sich kaum, aber dennoch erreichten sie schließlich einen Windbruch, den Thork erkannte.

      Ein Sturm hatte hier eine ganze Gruppe alter Buchen gefällt, sie lagen übereinandergeworfen wie ein riesenhafter Scheiterhaufen, die Wurzelteller hilflos anklagend in die Luft gereckt. Das morsche Holz diente bereits als Nahrung für Moos, Farn und Pilze, und darüber war durch das Loch im Blätterdach der trübe graue Himmel zu sehen.

      »Vater der Steine«, seufzte Thork mit kaum verhohlener Erleichterung. »Endlich kenne ich mich wieder aus.«

      »Das ist gut«, sagte Galdur. »Dann könnt ihr von hier aus eure Reise alleine fortsetzen. Ihr werdet jenseits des Bruches auf die Spur stoßen. Sie ist nicht mehr sehr deutlich, und ihr werdet sie wahrscheinlich bald wieder verlieren, aber sie kann euch als Anhaltspunkt dienen. Haltet euch direkt nach Norden, auch wenn ihr die Spur verloren habt. Er ist euch etwa zwei Tage voraus. Wenn ihr den Weg über die Stufe nehmt, könnt ihr vielleicht vor ihm am Wetterstein-Pass sein und ihn abfangen.«

      »Ein guter Spurenleser, wie Ihr einer seid, würde uns die Sache wesentlich erleichtern«, sagte Lianna. »Warum kommt Ihr nicht noch ein Stück mit uns?«

      Thork stellte fest, dass die junge Reiterin ihm aus der Seele sprach. Er hätte seinen Bart darum gegeben, um nicht mit ihr und ihrem Höllenross alleine gelassen zu werden, doch er wusste, wie Galdurs Entscheidung ausfallen würde.

      »Ich genoss Eure Gesellschaft, junge Dame, wenn auch nur für eine sehr kurze Zeit«, sagte Galdur denn auch, »aber jeder kümmere sich um sein Geschäft, und dies ist nicht meines. Ich wünsche Euch Glück, und«, fügte er hinzu, indem er sich zu Thork wandte, »möge Gròr es fügen, dass du eine weise Entscheidung triffst, mein Freund.«

      »Ich werde mich bemühen«, sagte Thork ernst. »Ich danke dir.«

      »Gute Jagd«, wünschte Galdur noch, bevor er sich zum Gehen wandte. »Und lebt wohl.«

      »Wiedersehen«, rief Lianna ihm nach, als er zwischen den Bäumen verschwand.

      Thork rückte sein Gepäck auf den Schultern zurecht, räusperte sich und bekämpfte ein aufsteigendes Gefühl des Unbehagens.

      »Na dann«, sagte er. »Lass uns weiter gehen. Diese Richtung«, und er setzte sich in Bewegung. Sie nahm die Zügel auf und folgte ihm.

      »Was ist diese Stufe, von der Galdur gesprochen hat?«, erkundigte sie sich, während er einen Weg um den Bruch herum suchte.

      Thork stieß ein Knurren aus. »Heute Morgen noch wolltest du den Wetterstein-Pass ohne meine Hilfe finden. Wie sollte dir das gelingen, wenn du nicht einmal die Stufe kennst?«

      »Vielleicht kenne ich sie unter einem anderen Namen«, verteidigte sie sich. »Also, was ist es?«

      »Ein Abbruch im Hang weiter oben«, erklärte Thork unwillig. »Siebzig, achtzig Schritt in der Höhe. Ein Gletscher hat dort vor Urzeiten den Fels abgesprengt. Die Trümmer liegen noch in einem Geröllfeld zu Füßen der Stufe. Sie ist riesig. Zieht sich fast einen halben Tagesmarsch.«

      »Und man kann sie besteigen?«

      »Natürlich.«

      »Ich werde lieber drum herum gehen«, verkündete Lianna. »Ich kann nicht bergsteigen.«

      »Du kannst tun, was dir beliebt«, sagte er und überlegte, ob er sie darauf hinweisen sollte, dass sie sich offenbar falsche Vorstellungen vom Gebirge machte: Zu Pferd war dort oben sicher kein Vorankommen, egal ob man nun die Stufe umrundete oder sie erstieg.

      »Und du könntest ruhig etwas freundlicher sein«, forderte sie und durchbrach damit seine Gedanken.

      »Ich bin freundlich«, knurrte er, und zu seiner Überraschung lachte sie.

      »Götter! Wenn das deine Freundlichkeit ist, dann möchte ich dich wirklich nicht böse erleben!«

      Er spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. Er sah sie nicht, denn sie ritt immer noch hinter ihm, doch vor seinem inneren Auge entstand ihr Bild, wie sie lachte, so befreit und ungebremst, dass es ihm fremd erschien. Er fragte sich, ob er je in seinem Leben auf diese Art gelacht hatte.


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