Einmal morden ist nicht genug. Irene Scharenberg
auf Kosten des Chefs. Maximilian unterdrückte den aufkommenden Lachreiz. Er würde viel darauf verwetten, dass sie ein Verhältnis mit Thorben Hachlinger hatte. Okay, der Mann war frisch geschieden, aber hatte die Madame wirklich so lange abgewartet oder war sie vielmehr der Grund für die Scheidung?
Jedenfalls hatte sie das Gelände zum Glück bereits verlassen und das Vorzimmer war unbesetzt. Max drückte die Klinke hinunter, ohne vorher anzuklopfen. Die Tür, die zum Reich des Chefs führte, stand einen Spalt offen und er hörte Hachlingers Stimme. Max blieb abrupt stehen. Hatte der Boss noch Besuch oder telefonierte er gerade? Auf jeden Fall war es nicht ratsam, ihn zu stören. Erst recht nicht, wenn er ihn für sein Anliegen gnädig stimmen wollte.
»Du mieser Erpresser!«, schrie sein Chef plötzlich recht laut und hörbar verärgert.
Von einer unsichtbaren Macht angezogen verharrte Max an der Tür. »Du steckst doch da genauso drin wie ich. Bei den meisten Geschäften hast du mitgemacht. Und die Sache mit Krishan Kumar hast du sogar ganz allein durchgezogen. Mit einem international Gesuchten! Das war mir viel zu riskant. Ich möchte nicht wissen, wie viele Rupien dir der stinkreiche Inder für die illegale Einreise zur Hochzeit seiner Tochter in Good Old Germany gezahlt hat.«
Das war der Beweis! Anscheinend lief neben dem offiziellen Teppichhandel tatsächlich ein lukratives Zweitgeschäft. Versteckte man zahlungswillige Einwanderer, die sonst nicht nach Europa einreisen durften, in den Lastwagen mit der angelieferten Ware?
»Was heißt das?«, schimpfte Hachlinger mit einem Mal außer sich, so dass Max unwillkürlich zusammenzuckte. »Du willst dich aus Deutschland absetzen?« Eine Weile redete Hachlinger nicht mehr. Anscheinend hörte er seinem Gesprächspartner zu. Max fragte sich schon, ob er das Telefonat gleich beenden würde, und stellte sich darauf ein, eilig den Rückzug anzutreten. Auf keinen Fall durfte er seinem Chef jetzt begegnen, Fußballspiel hin oder her.
»Dass ich dir eine solche Summe gebe, bleibt eine einmalige Angelegenheit, damit das von vornherein klar ist«, sprach Hachlinger doch weiter, als Max schon nicht mehr damit gerechnet hatte. »Und sofort geht auch nicht. Ich kriege selbst erst in zwei Tagen die nächste Zahlung. Der Geldbote kommt am Nachmittag. Aber ich hab danach nicht sofort Zeit. Du kannst am Abend auflaufen, sagen wir um zehn.«
Max hatte genug gehört. Außerdem vermutete er, dass der Chef das Gespräch gleich beenden würde. Lautlos schlich er hinaus. Im Flur hastete er zum Ausgang. Dabei drehte er sich immer wieder um, als ob Hachlinger jeden Moment auftauchen könnte. Er verzichtete darauf, seine Jacke aus dem Spind zu holen und hetzte nach draußen. Während er das Gebäude verließ, reifte in ihm ein Plan. Hachlinger würde das Geld übermorgen garantiert in seinem Tresor deponieren, bevor sein Kumpan am späten Abend erschien. Und mit Tresoren kannte Max sich aus. Bliebe nur zu hoffen, dass der Chef nicht die ganze Zeit davorsitzen würde und das Büro eine Weile unbesetzt wäre.
Kapitel 2
Barnowski saß mit einem Morgenkaffee an seinem Schreibtisch und fuhr sich durch das volle schwarze Haar. Zuerst, als sein Chef dienstunfähig geworden war, hatte er überlegt, in Pielkötters wesentlich größeres Büro zu wechseln, aber als er die ersten persönlichen Sachen hinüberschaffen wollte, hatte ihn ein ungutes Gefühl davor zurückschrecken lassen. Er hatte das Bild von Gaby aus dem letzten Urlaub und seinen Ablagekorb, der statt aus Staatsbesitz aus einem Einrichtungshaus seines Vertrauens stammte, wieder an ihren alten Platz gestellt. Schließlich wollte er, auch wenn er sich das vor allzu langer Zeit nicht hätte träumen lassen, dass Pielkötter wieder zurückkam, Verstärkung durch Nadine Schönling hin oder her. Zweifellos war er mit der jungen Frau, die ihm nun endlich als Kommissaranwärterin zur Seite gestellt wurde, sehr gut zurechtgekommen, als sie während ihrer Ausbildung bei ihnen reingeschnuppert hatte. Allerdings würde sie Pielkötters Erfahrung nicht ersetzen können. Wo die Dame nur blieb? Eigentlich sollte sie um acht Uhr ihren Dienst antreten und nun zeigte die Uhr bereits achtundzwanzig nach. Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da klopfte es an seiner Tür.
»Ja, bitte!«, sagte er laut und fuhr sich schnell noch einmal durch das Haar.
Wenige Augenblicke später trat eine junge Frau ein, die er als Nadine Schönling erkannte, auch wenn sie sich sehr verändert hatte. Zu ihrem Vorteil, überlegte er, während er ihr ein strahlendes Lächeln schenkte. Dabei war sie schon vor ein paar Jahren recht attraktiv gewesen. Schmales Gesicht, hohe Wangenknochen und dann diese ausdrucksvollen braun-grünen Augen, die ihm aus einer modischen Oversize-Brille freundlich entgegenblickten. Das Schlaksige, an das er sich meinte erinnern zu können, war zugunsten von Rundungen an den richtigen Stellen verschwunden.
»Tut mir leid, dass ich so spät dran bin, Bernhard«, begrüßte sie ihn. »Der stellvertretende Polizeipräsident hat mich so lange aufgehalten. Übrigens, ich darf dich doch wohl noch beim Vornamen nennen? Auch wenn du jetzt noch etwas mehr mein Vorgesetzter bist als damals im Praktikum.«
»Klar, Mann!«, erwiderte er lachend, »ne, klar, Nadine, meine ich. Jedenfalls freue ich mich sehr, dass ich dich als Verstärkung bekomme.«
»Ich mich auch. Es ist meine erste Stelle als Anwärterin und da beruhigt es mich, dass ich den Laden hier schon ein wenig kenne.« Inzwischen stand sie vor seinem Schreibtisch und reichte ihm ihre Hand.
Barnowski schlug ein. »Auf gute Zusammenarbeit.«
»Gib es im Moment einen ungeklärten Mordfall, in den ich mich reinknien muss?«
»Nee, zum Glück nicht. Nur jede Menge Schreibkram, bei dem du mir helfen kannst.« Er stockte. »Allerdings kann sich das mit dem Mord schnell ändern.«
»Und an welchem Platz soll ich arbeiten?«
Barnowski zog die Stirn kurz in Falten. »Man hat dir also noch keinen Schreibtisch zugewiesen. Hm, Pielkötters Büro ist ja frei. Aber falls es dir lieber ist, stellen wir noch einen Schreibtisch hier bei mir unter. Wäre zwar etwas eng, aber wir rücken ja gerne zusammen.« Er lachte. »Außerdem weiß man nicht, ob Pielkötter vielleicht bald wiederkommt.«
»Ehrlich gesagt, wäre mir die beengte Variante lieber«, erwiderte sie. »Am Anfang habe ich bestimmt jede Menge Fragen und dann brauche ich nicht immer zu telefonieren oder zu dir zu laufen.«
Kapitel 3
Pielkötter saß Doktor Salzbach im Sprechzimmer der Norderneyer Kur- und Rehabilitationsklinik am Deich mit bleichem Gesicht gegenüber. Die ruhige bedächtige Art seines Arztes mochte normalerweise wohltuend wirken, aber im Moment zerrte sie einfach nur an Pielkötters Nerven. Schließlich ging es um seine Zukunft. Warum sah Salzbach ihn einfach nur durchdringend an und spannte ihn weiter auf die Folter? Er wollte endlich wissen, ob er bald wieder seinen Dienst antreten konnte. Die Beweglichkeit seines Schultergelenks und des kranken Arms hatte in den letzten Tagen enorm zugenommen, aber würde das reichen?
»Wie mir zu Ohren gekommen ist, gehören Sie in unserer Klinik immer noch nicht zu den Musterpatienten«, begann der Arzt endlich zu sprechen.
Pielkötter unterdrückte mühsam ein Seufzen. Salzbach hatte damit durchaus Recht, aber darum ging es doch jetzt nicht. Für den Fall Immenhoff hatte er schließlich keine Therapiestunden versäumt.
»Unverbesserlich, würde ich sagen, einfach unverbesserlich« Salzbach deutete kurz ein Lächeln an, dann wurde er wieder sehr ernst. »Allerdings haben Sie gerade in der letzten Woche große Fortschritte gemacht. Deshalb habe ich keine Handhabe mehr, Sie noch länger in der Klinik zu behalten, auch wenn Ihnen das sicher guttun würde. Wie ich Ihnen schon beim letzten Gespräch unter Vorbehalt mitgeteilt habe, werden Sie morgen entlassen.«
Pielkötter freute sich natürlich auf Zuhause, erleichtert fühlte er sich durch die Ankündigung allerdings noch nicht. Schließlich musste die Entlassung nicht unbedingt heißen, dass er wieder dienstfähig sein würde. »Und meine Arbeit?«, fragte er mit einem dicken Kloß in der Stimme.
»Keine Sorge, ich weiß, wie wichtig es Ihnen ist, so bald wie möglich wieder Ihren Dienst aufzunehmen.«
Während der Arzt redete, schoss Pielkötter Adrenalin in die Adern, als müsse er sich auf einen Kampf vorbereiten.
»Nun,