Einmal morden ist nicht genug. Irene Scharenberg
auf einem kleinen Parkplatz in Ruhrort. Etwas unterhalb mündete der Vinckekanal in den Rhein. In der Nähe des Anlegers für Hafenrundfahrten flatterten einige Fahnen an hohen Masten im Wind. Max sah zu dem Hotelgebäude hoch, in dessen oberster Etage sich ein italienisches Restaurant befand, aber da wollte sein Kumpel bestimmt nicht einkehren. Sie stiegen aus. Hanno klopfte mit der Hand auf das glänzend polierte Dach des Audis und grinste. »Jetzt machen wir erst einmal ein Foto mit uns und dem neuen Flitzer.«
»Muss das sein?« Während Hanno sein Smartphone zückte, verzog Max das Gesicht. Warum machte sein Kumpel immer um alles so einen Wirbel?
»Keine Widerrede! Komm schon!« Er hielt das Smartphone gerade für ein Selfie mit Freund und Auto bereit, da passierte eine Frau mittleren Alters die Straße und schaute neugierig zu ihnen hinüber. Hanno brach seine Aktion ab und eilte zu der Passantin. Wenig später kehrte er mit ihr zurück.
»Soll das ganze Auto aufs Foto?«, fragte sie.
»Am besten schießen Sie gleich zwei, einmal mit uns in Großaufnahme und einmal mit dem ganzen Wagen.«
»Schade, dass du was gegen WhatsApp und Konsorten hast, sonst könnte ich dir die Bilder gleich schicken«, wandte sich Hanno wieder an ihn.
»Ich hab dir großartig erklärt, warum.«
»Ist ja schon gut. Ich lass von den Fotos extra für dich Abzüge machen. Nur maul jetzt bitte nicht mehr rum und verdirb mir damit nicht den Abend. Und jetzt gehen wir erst mal was trinken. Hübi oder Anker, weiß meinst du?«
»Wir losen.«
»Ja, wie in alten Zeiten. Kopf heißt Zum Hübi und Zahl heißt Zum Anker.« Noch während er die Spielregeln erklärte, holte Hanno einen Euro aus der Tasche. Er warf ihn in die Luft und ließ ihn auf den Handrücken klatschen. »Zahl!«
Wenn einem die Entscheidungen nur immer so einfach abgenommen würden. Max seufzte, dann setzte er sich in Bewegung.
In Schimmis ehemaliger Kneipe ließen sie sich auf einer rustikalen Bank an der rechten Wand nieder. Die Einrichtung mit halbhoher Holzvertäfelung an den Wänden und ohne überflüssigen Schnickschnack passte zu einem Lokal, in dem Horst Schimanski seinerzeit gern verkehrt hatte. Hanno orderte zwei Köpi. Nachdem sie das Bier ungewohnt schweigend geleert hatten, stand die unausgesprochene Frage im Raum, ob sie den bisher nicht gerade erquickenden gemeinsamen Abend jetzt lieber schnell beenden sollten. Oder würden sie ihm noch einmal eine neue Wendung geben können?
»Noch zwei«, rief Hanno plötzlich quer durch die Kneipe. Und dabei sollte es nicht bleiben. Sie harrten aus, bis alle anderen Gäste sich verabschiedet hatten, und brachen dann eher notgedrungen selbst auf.
»Aber du kannst doch jetzt nicht mehr fahren«, bemerkte Max. Ihm war nicht ganz wohl bei der Vorstellung, dass sich Hanno hinter das Steuer setzen würde.
»Ich lasse das Auto stehen und du schläfst heute Nacht bei mir«, erwiderte Hanno, während er ihm kameradschaftlich auf die Schulter klopfte. »Und dahin nehmen wir uns zusammen ein Taxi.«
In Hannos winziger Wohnung in einem vierstöckigen Mietshaus tauten beide nach einigen weiteren Drinks so richtig auf. Gemeinsame Erlebnisse, bei denen sie sich rühmlich – oder auch nicht – hervorgetan hatten, kamen auf den Tisch und sie lachten viel. Irgendwann wurde es Zeit zum Schlafen.
»Kannst mein Bett haben«, erklärte Hanno. »Ich penn auf der Couch. Meistens sack ich sowieso im Wohnzimmer vor dem Fernseher weg und steh nicht mehr auf.«
»Wie du meinst«, erwiderte Max und verzog sich gähnend ins Bad.
Bevor er später ins Schlafzimmer verschwinden konnte, fasste Hanno seinen Arm und sah ihn mit ernster Miene an. »Es ist alles ganz anders ... ganz anders, als du denkst«, brachte er mit brüchiger und seltsamer Stimme hervor.
»Wovon sprichst du?«, fragte Max irritiert.
»Ach vergiss es.« Hanno versuchte zu lachen. Als das missglückte, drehte er sich abrupt um und wankte zum Sofa.
Kapitel 5
Der Beginn dieses Tages war ganz nach Kommissar Bernhard Barnowskis Geschmack. Endlich kam er in den Genuss, die vielen Überstunden abzufeiern. Das Einarbeiten der neuen Kollegin konnte ruhig einige Stunden warten und er den Morgen zusammen mit seiner Freundin genießen, deren Friseursalon auch erst um zehn Uhr öffnete.
»Gabymaus, das war einfach super«, japste Barnowski. »Und damit widerlegst du alle meine Vorurteile.«
»Die da wären?«
»Na ja, dass Sex mit einem langjährigen Partner irgendwann langweilig wird. Also, alles wäre eingefahren und man hätte nicht mehr richtig Bock aufeinander.«
Gaby lachte. »Ich habe da auf jeden Fall eine ganz andere Theorie. Und deshalb sollten wir endlich heiraten.«
»Heiraten?« Barnowski hatte das ausgesprochen, als hätte sie vorgeschlagen, auf Dauer in ein Zelt am Nordpol zu ziehen.
»Was um alles in der Welt ist so ungewöhnlich daran? Wir sind seit zwölf Jahren zusammen. Die Probezeit haben wir doch längst hinter uns. Oder findest du nicht?«
Unwillkürlich zog Barnowski die Bettdecke etwas höher. »Irgendwie hast du Recht«, erwiderte er mit einer Stimme, die ihm seltsam fremd vorkam. »Vielleicht sollten wir in nächster Zeit wirklich einmal intensiver darüber nachdenken.«
»Ich brauche darüber aber nicht mehr nachzudenken«, entgegnete Gaby und wuschelte Barnowski durch das volle schwarze Haar. »Ich will dich heiraten. Punkt. Aus. Ende.«
»Aber warum hast du denn vorher nie etwas gesagt?«
»Vorher nie was gesagt? Also, hör mal! Was war denn mit Norderney? Mit dieser Hochzeitszeremonie am Strand, über die wir uns erkundigt haben? Gut, die Wartezeit war uns zu lang. Und jetzt verzichte ich auf eine Inseltrauung und wir heiraten einfach in Duisburg oder in Moers, da gibt es sogar Termine im Schloss.«
Mist, sein Plan war nicht aufgegangen. Er hatte von den langen Wartezeiten auf der Insel gewusst und gehofft, dadurch eine weitere Galgenfrist zu bekommen. Und er hatte sich eingebildet, dass sie nicht mehr so schnell davon anfangen würde, nachdem er zumindest guten Willen gezeigt hatte. »Aber ...«
»Aber?« Die beißende Ironie in ihrer Stimme zerstörte die gute Atmosphäre, die er vor wenigen Minuten noch so genossen hatte. »Es gibt kein Aber, nachdem ich dir seit so vielen Jahren deine Unterhosen wasche, obwohl ich genauso arbeiten gehe wie du.« Gaby schickte gerade ein paar Blicke Marke »Fall tot um« in seine Richtung.
Scheiße, dachte er, erst dieser Wahnsinnssex und dann wird man auf brutale Weise wieder aus dem Garten Eden herausgekickt. Plötzlich klingelte sein Diensthandy. Barnowski konnte sich an keine einzige Situation erinnern, in der er darüber jemals so dankbar gewesen war. Er sprang nackt aus dem Bett und hechtete in die Diele, wo er das Handy auf der alten Kommode, einem Erbstück von Gabys Oma, deponiert hatte.
»Was gibt’s?«, meldete er sich, während er auf seine Füße starrte.
»Bernhard, es tut mir total leid, dich zu stören«, erklärte Nadine mit zerknirschter Stimme. »Aber Plötsche braucht unbedingt einige Informationen, die ich ihm nicht geben kann.«
»Ich komme sofort!«
»Aber vielleicht können wir das auch am Telefon klären, dann brauchst du nicht extra ...« Weiter kam Nadine nicht.
»Ich mach mich gleich fertig und bin in einer knappen halben Stunde da«, fuhr Barnowski ihr ins Wort. Diesen tollen Abgang durfte er sich nicht entgehen lassen. Er wollte das Telefonat gerade beenden, da tauchte Gaby in der Diele auf, mit einem Blick, als würde es in den nächsten Sekunden für die Mordkommission ein potentielles Opfer geben. Barnowski versuchte zu lächeln, was gründlich misslang. Nachdem er das Handy wieder auf die Kommode gelegt hatte, war Gaby verschwunden. Er lief ins Schlafzimmer zurück. Dort saß sie aufrecht im Bett. Zu seinem Erstaunen hatte sie inzwischen ein hässliches Nachthemd angezogen, ein Geschenk ihrer Mutter. Das hatte Mariella Böttke