Einmal morden ist nicht genug. Irene Scharenberg

Einmal morden ist nicht genug - Irene Scharenberg


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nicht.«

      »Was also schlagen Sie vor?«, brachte Pielkötter mühsam heraus und versuchte, das leichte Zittern seiner Hände zu verbergen, indem er sie gegen die Oberschenkel presste.

      »Hamburger Modell. Das heißt stufenweise beziehungsweise gestaffelte Wiederaufnahme Ihres Dienstes. Damit werden Sie kontinuierlich an die Belastungen Ihres Arbeitsplatzes herangeführt. Der behandelnde Arzt legt dabei auch die möglichen Tätigkeiten fest.« Salzbach sah Pielkötter durchdringend an. »Dass Verbrecherjagd für Sie vorerst entfällt, versteht sich von selbst. Ich denke, Sie werden in der ersten Zeit vorwiegend an Ihrem Schreibtisch sitzen und die Kollegen oder Mitarbeiter beraten. Aber wie ich bereits erwähnte, entscheidet Ihr Arzt in Duisburg. Er muss sich nicht zwingend an meine Vorschläge halten.« Salzbach erhob sich und Pielkötter tat es ihm gleich. Er reichte Pielkötter zum Abschied die Hand und sah ihm direkt in die Augen. »Ich wünsche Ihnen alles Gute, und ich bin zuversichtlich, dass Sie wieder ganz hergestellt werden können. Allerdings nur, wenn Sie auch zu Hause weiterhin regelmäßig Ihre Übungen machen.«

      Das hörte sich doch gar nicht so übel an. Pielkötter lächelte zum ersten Mal seit langer Zeit.

      Aufgewühlt lief Pielkötter den Gang entlang, der zu seinem Zimmer führte. Noch war nicht alles entschieden, aber jetzt kam er erst einmal nach Hause. Vor allem freute er sich auf das Wiedersehen mit seinem Sohn und mit seiner Frau Marianne. Es hatte ihn sehr bedrückt, sie während ihres Krankenhausaufenthaltes und in den Tagen danach nicht unterstützen zu können. Zum Glück hatte sich das entfernte Gewebe als harmlose Zyste erwiesen und nach eigenen Aussagen schien es ihr wieder ganz gut zu gehen. Nur das Tragen schwerer Sachen und körperliche Anstrengung waren ihr noch untersagt.

      Pielkötter beschleunigte seinen Schritt. Auf einmal konnte er es kaum noch abwarten, mit ihr zu telefonieren. Nachdem er die Tür zu seinem Zimmer hinter sich geschlossen hatte, setzte er sich aufs Bett und zog sein Smartphone aus der Hosentasche.

      »Ich bin’s, Willibald.«

      »Hast du inzwischen mit diesem Doktor Salzbach gesprochen?«, fragte Marianne mit einem ängstlichen Unterton, den sie nicht vor ihm verbergen konnte.

      »Ja, und stell dir vor, ich werde morgen entlassen. Mit Wiedereingliederung und einer gewissen Chance auf Erfolg.«

      »Ich freu mich so für dich. Und bin natürlich froh, dich endlich wiederzusehen. Hätte die Reha länger gedauert, wäre ich noch einmal zu Besuch nach Norderney gekommen, selbst wenn mein Arzt mir davon abgeraten hätte.«

      Ihre Worte gefielen ihm, auch wenn sie ihn sehr nachdenklich stimmten, denn sogleich wurde ihm bewusst, was sie nun endlich klären müssten. Sie lebten immer noch getrennt. Vor seiner Verletzung hatte er den Zustand akzeptiert, wenn auch nur äußerst ungern, und dann war er zuerst ins Krankenhaus, dann in die Reha gekommen. Was für eine Lebensform aber schwebte Marianne nach seiner Rückkehr vor? Er hatte dieses Thema erfolgreich verdrängt. Der ungewisse Ausgang seiner Rehamaßnahme hatte im Vordergrund gestanden. Daher hatten sie bisher darüber nicht miteinander gesprochen. Vielleicht war es besser, damit zu warten, bis er zurück wäre?

      »Du, Marianne, könntest du dir vorstellen, wieder in unser Haus zu ziehen, wenn ich wieder in Duisburg bin?« So, nun war es doch schon heraus. Was würde sie sagen? Er wartete, fühlte sich, als sei er in einem dienstlichen Einsatz mit ungewissem Ausgang. Warum antwortete Marianne nicht? An seiner Frage war ja nichts missverständlich. Hatte sie das denn bisher überhaupt nicht in Erwägung gezogen? Bei diesem Gedanken krampften sich seine Magenmuskeln leicht zusammen.

      Marianne räusperte sich. »Also, das geht mir jetzt etwas schnell. Ich kann nicht einfach so von heute auf morgen meine Wohnung aufgeben. Nachher klappt es mit unserem Zusammenleben nicht und dann ...«

      Pielkötter fühlte sich wie nach einem Faustschlag, obwohl er eine solche Antwort nicht ausgeschlossen, ja befürchtet hatte. »Aber wir haben doch schon unser halbes Leben zusammengelebt.«

      »Willibald, wir haben uns beide verändert«, erklärte sie seufzend.

      »Nach meiner OP hast du versprochen, zu mir zu halten«, rutschte ihm raus, obwohl er davon nicht hatte anfangen wollen.

      »Das will ich immer noch. Nur mit dem Zusammenziehen sollten wir vorsichtig sein.«

      »Verstehe«, presste er hervor. »Lass uns ein anderes Mal darüber reden. Ich muss jetzt los. Sonst verpasse ich meine Therapie. Bis dann.«

      Nachdem er aufgelegt hatte, stapfte er eine Weile wütend auf sich selbst im Zimmer auf und ab. Schließlich lief er zur Balkontür, öffnete sie und starrte hinaus. Er hatte keinen Termin. Warum hatte er Marianne angelogen? Er verabscheute Lügen. Ihm war es jedoch unmöglich erschienen, dieses Gespräch weiterzuführen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Allerdings hatte Marianne vielleicht sogar ein wenig Recht. Heutzutage gab es viele Paare, die in getrennten Wohnungen lebten. Egal, ihre Reaktion saß irgendwo in seinem Körper wie ein Stachel.

      Kapitel 4

      Seit Max das Telefonat belauscht hatte, dachte er immer wieder über Hannos Rolle in der Firma nach. Wusste sein Kumpel von den heimlichen Geschäften oder ahnte er nicht einmal etwas von dem offensichtlich lukrativen Nebenverdienst des Chefs? Die Situation war geradezu vertrackt. Auf der einen Seite hätte er sich Hanno zu gerne anvertraut, ihm sogar eine Beteiligung an seinem geplanten Coup angeboten, auf der anderen Seite jedoch wollte er nicht unvorsichtig sein. Möglicherweise machte Hanno sogar bei den krummen Sachen mit. Seit Max Zeuge dieses Telefonats geworden war, ertappte er sich dabei, wie er jedes Wort seines Kumpels auf die Goldwaage legte. Nein, er konnte es wirklich nicht riskieren, ihn in seine eigenen Pläne einzuweihen. Eigentlich hatte er auch keinerlei Lust, heute etwas mit ihm zu unternehmen, aber Hanno hatte sich einfach nicht abwimmeln lassen. Schließlich hatte Max nachgegeben.

      Das Klingeln an der Haustür riss ihn aus seinen Gedanken. Max schielte zu dem Sofa, auf dem er vorhin noch gelegen hatte. Eine Wolldecke hing halb auf dem Boden. Und die Kissen, deren originelle Bezüge seine längst verstorbene Mutter gehäkelt hatte, lagen unordentlich herum. Er hatte sich nicht entschließen können, sie wegzuwerfen, obwohl sie ihm, wenn mal Besuch zu ihm kam, ein bisschen peinlich waren. Sie besaßen Tiermotive. Mäuse, deren Ohren und Schwänze aus dem Bezug herausragten. Für einen Moment überlegte Max, das Sofa in Ordnung zu bringen, aber dann lief er schnurstracks in die Diele. Er nahm seine Jacke von der Garderobe und verließ eilig die Wohnung. Verdutzt sah er Hanno vor einem knallroten Audi TT stehen.

      »Dadadada«, schmetterte sein Kumpel und lachte. »Hast bestimmt erwartet, dass ich dich zu Fuß abhole, oder?«

      »Eigentlich schon«, antwortete Max, weil ihm nichts Besseres einfiel. Den Überraschungscoup musste er erst einmal verdauen, besonders weil ihn daran etwas erheblich störte. »Wo hast du denn das Geld für einen solchen Flitzer her?« Eigentlich hatte er die Frage nicht laut stellen wollen, aber nun war sie heraus.

      »Komm schon, steig endlich ein«, maulte Hanno. »Du bist ein richtiger Spielverderber. Benimmst dich, als wärst du mein spießiger Alter. Oder bist du neidisch?«

      »Ne, ne, is nur ... also, ich mach mir nur Sorgen, dass du dich mit dem Schlitten vielleicht saumäßig verschuldet hast.«

      »Das lass nur meine Sorge sein. Schon mal was von Leasing gehört?«

      »Klar, aber ich denke, du musst eine Unmenge an deine Ex und die Kinder zahlen und am Monatsende bleibt dir kaum noch was übrig. Du hast dich oft genug darüber beschwert.«

      »Mensch Max, nun mach mal halblang.« Hanno sah ihn mit ärgerlicher Miene an. »Was ist eigentlich mit dir los? Gestern auf der Arbeit warst du auch schon so komisch. Egal, ich will jetzt nicht quatschen, lass uns endlich losfahren.«

      Max stieg ein und zog die Luft durch die Nase. Die Matten, die Verkleidung, vielleicht auch die Polster, rochen noch wie frisch aus der Fabrik. Nachdem sie einige Runden mit dem neuen Wagen gedreht hatten, besserte sich die Stimmung langsam.

      »Ich geb einen aus«, erklärte Hanno. »Schließlich ist das mein erster Wagen seit ...« Er lachte. »Muss über sechs Jahre her sein. Willst du vorher noch inne


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