Verlierer auf Erden, Gewinner im Himmel. Gabriel Magma
Ich wollte nicht mehr singen und auch nichts mehr komponieren, hatte nicht einmal mehr Lust, mir Musik im Radio anzuhören. Jeden Morgen fiel es mir schwer, überhaupt aufzustehen, und ich konnte es nicht mehr ertragen, in den Spiegel zu sehen oder einen Anruf entgegenzunehmen.
Ich schämte mich sehr, als ich mitbekam, dass meine Familie in ein kleineres Haus umziehen musste. Das war allein meine Schuld, und mein Vater warf mir auch vor, dass ich die Familie finanziell ruiniert hätte. (Ein Minus, weil ich mein Wort nicht gehalten und die Schulden bei meiner Familie nicht beglichen hatte.)
Schließlich versuchte ich meine Schuldgefühle und mein Versagen durch den Konsum von Alkohol und Kokain zu verdrängen. (Ein Minus, da ich mich selbst aufgab und mich in den Drogenkonsum flüchtete.)
Aber ich verdrängte die schlimme Situation nicht nur, sondern landete auch noch in einer Abwärtsspirale des Kummers und der Selbstzerstörung, die ich keinem Menschen wünsche.
Eine Weile konnte ich in den Wohnungen meiner besser gestellten Fans unterkommen, und sie versorgten mich auch mit Kokain. Doch letztlich warfen sie mich alle irgendwann raus. (Ein Minus, weil ich meine Fans ausnutzte.)
Also musste ich zu meiner Familie zurückkehren und dort auf dem Sofa übernachten, denn in ihrem neuen Haus gab es nur zwei Schlafzimmer. Mein Vater war anfangs zwar dagegen, da ihm klar war, dass ich immer noch drogenabhängig war, doch meine Mutter überzeugte ihn davon, dass die Familie mich aufnehmen müsse.
Tatsächlich zählt im Leben eines Junkies nur, an Drogen heranzukommen. Alles andere betrachtet er entweder als Mittel zu diesem Zweck oder als Hindernis dabei.
Zu diesem Zeitpunkt lebte ich einzig und allein von meiner Familie, von niemandem sonst. Einige Monate lang stahl ich ihr sogar Geld, um mir Kokain zu besorgen – bis meine Eltern es merkten und das Geld vor mir versteckten. (Ein Minus, weil ich meine Familie bestahl.)
Als ich keinen Zugang mehr zu den Geldbörsen meiner Familie hatte, brachte ich den Schmuck meiner Mutter heimlich zu einer Pfandleihe. Das muss ihr sehr wehgetan haben, da sie den Schmuck von ihrer Mutter geerbt hatte. Doch sie sagte meinem Vater nichts davon, weil sie nicht wollte, dass er mich aus dem Haus warf. (Ein Minus dafür, dass ich meiner Mutter ihren Schmuck raubte.)
Als Kerry schließlich einwilligte, sich mit mir zu treffen, erkannten wir einander fast nicht wieder. Im vergangenen Jahr hatte ich mich körperlich sehr verändert, und sie war nicht nur Mutter geworden, sondern mittlerweile auch eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Ich erzählte ihr vom Misserfolg meines zweiten Albums und bat sie um ein Darlehen, aber das lehnte sie ab. Ich bat sie auch darum, Spencer sehen zu dürfen, was sie ebenfalls verweigerte. Ihrer Meinung nach war es für Spencer besser, seinen Vater für tot zu halten, als die Wahrheit zu erfahren: dass sein Vater ihn im Stich gelassen hatte. Ich erwiderte, es sei mein gutes Recht, meinen Sohn zu sehen, und drohte ihr damit, sie ständig zu verfolgen, wenn sie nicht klein beigebe. Als sie das hörte, wurde sie nervös und warnte mich davor, mich meinem Kind zu nähern. Ich bot ihr an, sie in Ruhe zu lassen, wenn sie mir 300 Pfund lieh, und sie gab mir das Geld. (Ein Minus, da ich das Kind zur Erpressung von Kerry benutzt hatte.)
Natürlich hielt ich mein Versprechen ihr gegenüber nicht. Ein paar Wochen später wollte ich noch mehr Geld aus Kerry herausholen, musste jedoch feststellen, dass sie umgezogen war. Ich habe Kerry und Spencer niemals wiedergesehen. (Ein Minus dafür, dass ich meine frühere Frau und meinen Sohn zum Umzug zwang.)
In kürzester Zeit war ich von mehreren Drogen abhängig geworden. Mein Körper war geschwächt, mein Gesicht angeschwollen, meine Stimme rau und heiser. Mir fiel auf, dass die Menschen jetzt häufig wegsahen, wenn sie an mir vorbeigingen. Und ich nahm es ihnen nicht übel – ich wäre mir ja am liebsten selbst aus dem Weg gegangen.
Irgendwann war ich so fertig mit mir und der Welt, dass ich nicht mehr die Kraft hatte, meine Eltern davon abzuhalten, mich in eine Entzugsklinik einzuliefern. Sie brachten mich in die beste Großbritanniens. Zu dieser Zeit dachte ich nicht darüber nach, wie sie überhaupt das Geld dafür hatten zusammenkratzen können. Erst viel später fand ich heraus, dass meine Eltern die Rechnungen für meinen Klinikaufenthalt mit dem Geld bezahlt hatten, das sie für das Universitätsstudium meiner Schwester zurückgelegt hatten. Nun konnte Claire nicht nur das Studium vergessen, sondern musste auch in einem Restaurant arbeiten, um Geld für meine Therapie beizusteuern. (Ein Minus, weil ich meiner Schwester die Chance zu studieren nahm.)
In der Klinik fand ich es zunächst entsetzlich. Das Personal war zwar sehr freundlich und tüchtig, aber in diesem Umfeld versank ich nur noch tiefer in meinem Schwarzen Loch. Alle diese perfekten Menschen um mich herum verstärkten bei mir noch das Gefühl eigener Wertlosigkeit. Wäre ich der Leiter dieser Einrichtung gewesen, hätte ich nur frühere Drogenabhängige eingestellt, denen die Zähne ausgefallen waren. Denn sie allein wissen, was es bedeutet, sich selbst zu zerstören.
Mit der Zeit halfen mir die Therapeuten allerdings sehr. Mit ihrer Unterstützung begriff ich, dass ich, um mich selbst wieder aufzubauen, lediglich lernen musste, mich selbst und andere Menschen wieder zu achten. Das war nicht leicht, doch nach zehn Monaten innerer Kämpfe voller Höhen, Tiefen und Rückfälle schaffte ich es schließlich, meine Niederlagen und Ängste hinter mir zu lassen und meine Drogenabhängigkeit zu überwinden. (Ein Plus dafür, dass ich die Drogenabhängigkeit überwand.)
Als ich nach Hause entlassen wurde, freuten sich meine Mutter und meine Schwester sehr, und ich glaube, auch mein Vater – wenn es ihn vielleicht auch vor allem erleichterte, die monatlichen Überweisungen an die Klinik einstellen zu können. Wir alle wollten die Situation vor meinem Absturz wiederherstellen und taten deshalb so, als wäre nichts passiert. Aber natürlich war mir klar, dass sich mein Leben zwangsläufig verändert hatte, da meine Jahre als Drogenabhängiger einen hohen Preis gefordert hatten.
Bei meiner Rückkehr erfuhr ich, dass meine Mutter inzwischen Geschäftsfrau war. Um die Kosten der Klinik mittragen zu helfen, hatte sie die Arbeit bei einem Immobilienmakler aufgenommen. Und als die Inhaberin in den Ruhestand ging, kaufte meine Mutter ihr das Maklerbüro ab und bot mir eine Stelle in dem Büro an. Ich nahm sie ohne zu zögern an, obwohl mein Vater mir eine solche Arbeit keineswegs zutraute. Bei der Entlassung aus der Klinik hatte ich mir vorgenommen, Ordnung in mein Leben zu bringen, weit weg von der Welt der Musik, und diese Stelle kam mir wie eine wunderbare Chance vor. (Ein Plus dafür, dass ich mich wieder in die Gesellschaft integrierte.)
Meine Mutter erklärte mir, der Schlüssel zum Verkauf von Immobilien liege darin, den Käufer davon zu überzeugen, dass er eine Villa erwerbe, und dem Verkäufer das Gefühl zu geben, er könne froh sein, seine Bruchbude loszuwerden. Schon nach wenigen Wochen gelang es mir, ein Haus zu verkaufen. Das erfüllte mich mit gesundem Stolz darauf, dass ich eigenständig etwas zustande gebracht hatte. (Ein Plus für den Versuch, etwas eigenständig in Gang zu setzen.)
Doch als ich das zweite Haus verkaufen wollte, machte ich alles kaputt. Offenbar hatte der Konzessionsgeber der Agentur meiner Mutter angebliche »Kunden« auf den Hals geschickt, um ihre Geschäftspraktiken zu überprüfen. Beim Verkaufsgespräch übertrieb ich allzu sehr, als ich die Vorzüge des Mietswohnhauses hervorhob, und versuchte zu verschleiern, dass sich im Keller Feuchtigkeit gesammelt hatte. Das führte dazu, dass uns der Konzessionsgeber die Lizenz als Immobilienmakler in seinem Verbund entzog.
Als ich feststellen musste, dass dieser Rausschmiss meine Mutter 30.000 Pfund kostete, die sie als Kredit bei der Bank aufgenommen hatte, tauchten alle Gespenster meiner Vergangenheit wieder auf. Da ich das Gefühl hatte, meiner Familie ständig neue Probleme aufzuhalsen, beschloss ich, auszuziehen und ihr Leben nicht mehr durcheinander zu bringen. (Ein Plus dafür, dass ich meiner Familie die Last abnahm, sich ständig um mich kümmern zu müssen.)
Ich fand ein großes, aber preisgünstiges Apartment, das mir eine Witwe namens Margaret vermietete. Als sie merkte, dass ich früher drogenabhängig gewesen war, bat sie mich, die Miete für ein halbes Jahr im Voraus zu bezahlen. Mir fehlten aber 60 Pfund für die von Margaret verlangte Summe. Die einzige Möglichkeit, die mir einfiel, das Geld aufzubringen, bestand darin, als Straßensänger in einer der U-Bahn-Stationen in Liverpool aufzutreten.
Ich