Das Zillebuch. Hans Ostwald
Zillebild.
Und dann redete er lange auf mich ein. Er hätte nicht mal mehr eine feste Wohnung. Und das sei doch das Fürchterlichste. Wenn ein Mensch erst seine feste Bleibe aufgeben müsse ... Plötzlich fragte er mich:
›Kann ick nich da in der Ecke schlafen? Hinter dem Spinde? Ich schlafe im Stehen!‹
›Bauen Sie sich da auf!‹ antwortete ich ihm spöttisch. Aber dann machte ich ihm doch klar, dass mir das nicht passte, wenn hinter mir beim Schlafen ein fremder Mensch im Zimmer sei. – Man kann ja auch nicht wissen, was der in der Nacht vorhatte. – Der dachte doch auch, er findet Schätze bei mir. Und denn: im Schlaf kann sich keiner wehren ... – Er war ja noch ganz gut in Kluft. Also war das bloß Schwindel mit der Obdachlosigkeit. Trotzdem es ja genug Brüder gibt, die keine feste Bleibe haben. Aber das ist auch nicht immer bloß Mangel an Geld. Sie wollen sich eben nicht finden lassen. Oder, das Hin und Her gefällt ihnen besser. –
Na – mit Mühe und Not habe ich den Bruder rausspediert!
Und einer kam und erklärte' mir, wenn ich ihm nicht sofort gründlich helfen würde, dann würde er sich vor meiner Tür aufhängen.
›Wollen Sie einen Strick von mir dazu haben?‹ fragte ich ihn.
Der sah bald ein, dass er an den Richtigen gekommen war – und zog stumm ab.«
Nach einer Weile steckte Zille einige Scheine in alte Briefumschläge, die er aus Sparsamkeit selbst gewendet und wieder verklebt hatte:
»Nee, nee – man hat so schon für genug Arme zu sorgen ...«
*
»Was meinen Sie wohl, wie man um Autogramme angebettelt wird! Aber die Leute, die um Autogramme schreiben, kriegen von mir einen Brief:
›Wenn Sie an die Frau Soundso fünf Mark schicken‹ – ich habe doch immer 'ne ganze Masse arme Witwen und andre arme Luders – ›dann will ich Ihnen gern meinen Namenszug zukommen lassen.‹
Und richtig – meistens schreibt mir dann auch irgendeine arme Alte, sie hätte von Demunddem fünf Mark gekriegt und sollte mir das mitteilen. Und 'n schöner Dank is auch meistens bei.« –
23. Alice Hechy in einer Zille-Rolle.
Nach dem Original zum 1. Mal veröffentlicht.
»Da kam auch einer aus einer bekannten Großindustriellenfamilie. Einer von den drei großen Hetzern. Der kaufte sich gerade gerne ›mein Volk.‹
›Das ist nicht die schlechteste Kapitalsanlage‹, meinte er. ›Man muss doch jetzt sein Interesse fürs Volk zeigen ... Wenn sie hier mal nachsehen kommen, dann kann ich doch beweisen, dass ich für das Volk was übrig hatte. Das ist gut angelegt für meine Familie; die Sachen behalten ihren Wert!‹
Als ich nun in die Akademie kam als Mitglied, da sagte der Sohn:
›Jetzt sind sie noch mehr wert! Und das Vergnügen dran haben wir dazu!‹
Sie luden mich denn auch ein in ihre Wohnung – Kurfürstendammgegend – Marmortreppe – Fahrstuhl – fingerdicke, echte Teppiche, 'ne Masse Silber und Kristall. Ja – wenn ich jetzt hier den Fahrstuhl im Hause hätte! ...«
Und er sah traurig auf seine Beine herab, die ihn nur selten die vier schmalen Holztreppen hinab und herauf tragen wollten. – Dann winkte er abwärts, wie wenn das versinken müsse und fuhr fort:
»Ja, und dann führten sie mich zu Tisch und sagten, heute gäb's mal was Besonderes. Saubohnen mit Fleisch.
Es war noch in der Zeit, als wir andern überhaupt nischt hatten, als so 'n Happen auf Marken zugeteilt wurde.
Na, ich sah mir denn das feingestickte Leinen, das echte Porzellan, die silbernen Löffel und Gabeln und Schüsseln an und sagte so 'n bißchen ironisch:
›Bloß – weil ich hier bin!‹
Und ich dachte mir: ›Sonst gibt's Fleisch und Geflügel und Wild und Schnitzel in Butter ...
Ja, ja, se wollen uns immer für dumm verkaufen – aber wir wissen ja doch, wie's gekocht wird ...‹«
*
Ein Verlag wollte seinen Lesern auch Zillezeichnungen bieten. Zille war populär, war so behebt geworden, dass jede an ein größeres Publikum sich wendende Zeitung und Zeitschrift seine Berliner Zeichnungen bringen musste. Die Inhaber hatten aber die Tendenz, nicht das soziale Elend zu Worte kommen zu lassen. Sie verlangten auch von Zille, er solle in seinen Abbildungen keine Gebrechen zeigen, keine schwangeren Frauen, keine Kranken, kein Elendsmilieu.
24. Westermeier und Lotte Werkmeister im Zille-Akt der Revue »Das hat die Welt noch nicht gesehn!«
Da antwortete ihnen Zille:
»Dann kann ich Ihnen Berlin nicht zeichnen!«
Und der Verlag hat schließlich auch gern »die echten Zilles« genommen und veröffentlicht.
*
Zu dem Echtesten und Persönlichsten gehört das, was Zille bei seiner Einführung in die Akademie der Künste erlebte. In der ersten Sitzung, an der die neuen Mitglieder teilnehmen, müssen sie, wie das seit langem Gewohnheit ist, ihren eigenhändig geschriebenen Lebenslauf überreichen. Max Liebermann, der Präsident der Akademie, nahm aus Zilles Hand dessen Selbstbiographie – sah auf das eng beschriebene Blatt – las einige Zeilen und meinte lächelnd:
»Det is ja janz ulkig! Aber sagen Se mal – warum ham Se denn det so kleen jeschriem?«
Zille antwortete schlagfertig: »Erstens sollte das alles uff eene Seite jehn – und denn braucht es ja doch ooch keener zu lesen!«
»So – o – nu lesen Se't man selber vor?« sagte Liebermann.
Zille nahm das Blatt und las seinen Lebenslauf. Solche echten volkstümlichen Worte hatte die hochmögende Kameradschaft der Akademie wohl noch nie an dieser Stelle gehört. Aber die Professoren schüttelten nicht entrüstet den Kopf. Ihre Gesichter hellten sich auf. Stilles Lächeln glänzte in den Augen, in den Mundwinkeln. Das stille Vergnügen an dem »Frischen Ton«, wie er in dem feierlichen Sitzungssaal bisher unbekannt gewesen war, explodierte schließlich in einem laut schallenden Gelächter.
Aber Zille blieb ernst und las die letzten Sätze vor:
»– Jetzt bin ich sogar Mitglied der Akademie geworden. Dazu schreibe ich, was das Blatt ›Fridericus‹ sagt: ›Der Berliner Abortzeichner Heinrich Zille ist zum Mitglied der Akademie der Künste gewählt und als solches vom Kultusminister bestätigt worden. Verhülle, o Muse, dein Haupt!« (Siehe Bild 10.)
25. »Komm man, Kleene!« Westermeier und Lotte Werkmeister in einem Zille-Akt.
Nach dem Original zum 1. Mal veröffentlicht.
Diese Worte zündeten derart, dass die Mitglieder in stürmischem Beifall Zille umringten.
So unakademisch war wohl selten ein neues Mitglied begrüßt worden. Dann aber musste er als jüngster Akademiker, trotz seiner sechsundsechzig Jahre, die Blechbüchse in die Hand nehmen und die Stimmen für seine Wahl von Mitglied zu Mitglied einsammeln. Bei dieser Arbeit meinte er:
»Na, det jeht ja noch. Aber muss ick als Lehrling nu ooch den Schnaps for de andern holen?«
Die Sitzung wurde schleunigst aufgehoben – und woanders weitergetagt, wo es gemütlicher war als in der Akademie.
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Viel Freude hatte Zille durch andere Folgen seiner