Das Zillebuch. Hans Ostwald

Das Zillebuch - Hans Ostwald


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Dann nimmt er immer wieder seinen Bleistift und schreibt geduldig: Heinrich Zille ...

      Die Kapelle spielt brausend den Rixdorfer: »Uff den Sonntag freu ick mir!« Und dann: »Im Grunewald, im Grunewald is Holzauktion«. Und: »Durch Berlin fließt immer noch die Spree!«

      *

      In einer Tanzpause – der große Mittelraum ist fast leer – kommt ein Mann in Arbeiterkleidung, eine emaillierte Kaffeekanne und einen Frühstückspacken in Zeitungspapier in der Hand. Aufatmend lässt er sich auf den Rand des Podiums nieder, wickelt das Päckchen aus – nimmt eine Stulle und isst – und nimmt einen Schluck aus der Kaffeekanne: ganz wie ein Straßen- oder Bauarbeiter, der seine Frühstückspause macht.

      Einige Herumstehende aber durchschauen, dass er auch nur ein Ballbesucher ist, der seine Frühstückspause mimt. Im Nu haben sie sein Päckchen geplündert – einer bricht dem andern ein Stück von dem Butterbrot ab – die Kanne wandert von Mund zu Mund: eine große vergnügte Menge umgibt den frühstückenden Arbeiter, mit dem auch sie gemeinsame Sache machen.

      Alle die Besucher des Zilleballes machen gemeinsame Sache, sind einig in dem Willen und in dem Bewusstsein, sich harmonisch und auf dem Boden eines gemütvollen, lustigen und verständigen Berlinertums zu unterhalten und ein ungezwungenes Fest zu genießen. Wer glaubt, das Berlinertum müsse sich hier roh und ordinär äußern, der irrt im Wesentlichen. Hier offenbart sich der Berliner als durchaus gar nicht übelnehmerisch, als Liebhaber eines freudigen familiären Humors, als vielleicht nicht immer hoffähig aber »hof«-lustig. Ab und zu ist er auch mal derb. An der Rutschbahn freut er sich juchzend über das, was Mädchen sonst nicht zeigen, aber was sie hier nicht verstecken. Wer auf den Treppen hübschen Mädchen begegnet oder an dem sie vorbeigehen, während er mit fideler Gesellschaft am Tisch sitzt, beweist ihnen eine handgreifliche Huldigung, indem er sie auf den Teil des Rückens klatscht, wo er »anfängt schön zu werden«.

      Der Begleiter des schönen Mädchens rächt sich sofort, indem er bei der Frau dessen, der zuerst »klatschte«, den Klatsch wiederholt oder auch nur drohend-gutmütig sagt:

      »Det mach man in Zukunft bloß bei deiner Ollen! Sonst fühlt sich die zurückgesetzt!«

      Und damit ist alles ausgeglichen. Der Krach, wegen dessen der Berliner so verschrien ist, wird vergeblich auf solchen Festen gesucht. Die Weltstadt hat längst den Berliner, und besonders die mittleren Schichten, die den Zilleball bevölkern, zur Toleranz und Nachsicht erzogen. Eine gemeinsame Fröhlichkeit überbrückt alles.

      Und Frauen, denen man ansieht, dass sie keine handgreiflichen Späße verstehen, werden nicht angetastet. Der Berliner hat dafür einen feinen Geruch. Er fragt wohl eine einzelne Herumschweifende:

      »Na, Kleene – suchste mir oder mich?«

      »Nee, meinen Bruder suche ich!«

      »Wird ein schöner Bruder sein!« meint er lächelnd. »Soll ich suchen helfen?«

      Wenn sie aber ihn merken lässt, dass sie allein bleiben will, biegt er abseits – fragt vielleicht eine andere »Zillejöhre«.

      »Biste schon vergeben?«

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      31. Berlinerin in der Knospe.

       Studie aus den neunziger Jahren.

      Nach dem bunten Original zum 1. Mal veröffentlicht.

      Und ist dann froh, wenn sie ihm nach einem prüfenden Blick mit zum Tisch seiner »Klique« folgt und ärgert sich höchstens, dass sie zuwenig Wein trinkt, die Hand aufs Glas hält, wenn er zugießen will, sich heimlich Essen bestellt und es selbst bezahlt – – wie das jetzt die Berlinerinnen machen, die »sich nicht verpflichten wollen« – und die schließlich auch meistens allein nach Hause gehen – und unterwegs in der Untergrund- oder in der Stadtbahn dann auf die echten Zillefamilien stoßen, die von ihren Vereinsfesten nach Hause kommen: mit gewonnenen Aluminiumkochtöpfen und anderen Töpfen für nächtliche Zwecke, mit Porzellankannen, Würsten, Kaffeemühlen und anderen nützlichen Gegenständen, die ihr ganzes Glück auszumachen scheinen ...

      Zille aber lässt um diese Zeit im Ballsaal müde den Bleistift sinken:

      »Nu jeht's nicht mehr!«

      Die meisten, die ihn quälen, enteilen zum Tanz. Eine dichte Welle von Tanzpaaren, bunt durcheinander, wirbelt um die Musikantenbühne herum. Und Zille, der schon die Freude am Fest verloren zu haben schien, sieht nochmals freudig hinein in diesen Trubel. Als aber wieder der Bettel um Autogramme anfängt, schüttelt er den Kopf:

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      32. »Bedaure – alles besetzt!«

       Stimmungsbild aus der Nachbarschaft des Zilleballes.

      Nach dem Original.

      »Nee – nu ist's genug...!« Und leise sagt er zu seinem Nachbar: »Wenn ich für jedes Autogramm 'ne Mark kriegen würde, hätte ich vielleicht mehr, als wie ich so dafür kriege, dass se mit meinem Namen krebsen gehen ...«

      Man will ihm das nicht glauben. Neidische meinen, er werde reich durch den Zilleball. Aber er bekommt vielleicht für alle die wochenlangen Scherereien und Belästigungen – schon monatelang vorher quälen sie ihn um Freikarten, und muss er Ratschläge für die Ausstattung und Propaganda erteilen – nun, er wird höchstens einen Monatslohn eines Angestellten bekommen.

      »Ja, von die Arbeit wird man nich reich! Bloß, wenn man den Profit zieht von der Arbeit anderer ...«

      Und dann wollen noch Unzählige von ihm hören, ob sie »echt« sind, ob er sie für wirkliche Zillekinder halte.

      Väterlich gibt er manchem ein gutes Wort und sieht manch Mädchen freundlich an. Schließlich muss er noch die Prämiierung der besten Zilletypen überwachen oder gutheißen. Und nur ab und zu einen Schluck aus der Pulle. Aber nicht aus 'ne Sektpulle oder aus der Kognakflasche. Nein, schon seit einem Jahr begnügt er sich mit Fachinger Wasser oder einem andern Brunnen und kühlt seinen heißen Körper, der zu glühen scheint im Lärm des Balles, in der lauten Jazzmusik, dem Gesang und Gekreisch und Gejohle und dem Gedudel mehrerer Leierkasten der Fröhlichen und im heißen Dunst, der von den Tausenden von Tanzenden aufsteigt.

      Das letztemal kostete er vom Kognak beim Sommerfest im Lunapark, wo er auch als Preisrichter seines Amtes waltete. »Feine französische Marke! Aber ich nahm nur ein paar Tropfen auf die Zunge – das brannte im ganzen Körper wie Feuer! Das war richtiges Feuer!«

      Und abermals beginnt das Betteln um Autogramme und das Quälen um Begutachtung. Da gelingt es ihm, dessen Augen rot umrandet sind von der Anstrengung und Übermüdung, durch einen Seitenausgang hinaus zu kommen. Er zieht seinen alten verwetterten Hut in die faltige Stirn und lässt sich müden Ganges zum wartenden Auto geleiten.

      Im Wagen atmet er wieder auf – und hat einen neuen Einfall:

      »Also das Bild, wo die Masken alle nachts in ein Hotel wollen, und wo der Ober aus dem Fenster ruft: »Alles besetzt!« – das paßt doch auch auf den Zilleball! ... Da, sehen Sie mal, wie die Pärchen – seid umschlungen Millionen! – dahinziehen!«

      Und ein fröhliches Lächeln umspielt seine väterlichen Augen.

      Oft regt sich Zille über die unzureichenden Darbietungen und Einrichtungen beim Zilleball 1929 auf:

      »Das sollte ein Volksfest sein! Ein richtiges Volksfest! Sie machen aber eine Schampagnerpropaganda draus. –

      Ein Laubenfest sollte es diesmal werden. Was machen sie?

      Eine Ruine von einer Bude setzen sie in die Mitte vom Saal. Verschiedene Gäste machten sich darüber lustig und kletterten rauf. Ringsum die Reste von früheren Dekorationen. Nichts Neues gemalt. Keine Musik im Saal. Bloß auf der Galerie. Ein Haufen Leierkasten in dem unteren Umgang. Kein Ton von der Ballmusik war unten im Saal richtig zu


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