Kakanien oder ka Kakanien?. Группа авторов

Kakanien oder ka Kakanien? - Группа авторов


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in dieser Stunde zuhörte), die die Monarchie als eine Art Prä-EU deutete und es nur für folgerichtig hielt, dass Otto Habsburg Abgeordneter im Europaparlament war. 1979 initiierte er eine Resolution, die durch einen leeren Stuhl im Europäischen Parlament auf die Völker hinter dem Eisernen Vorhang aufmerksam machte – und nahm dadurch die spätere Osterweiterung vorweg.

      Vielleicht aber lag es auch an Otto Friedländers Buch „Letzter Glanz der Märchenstadt – Wien um 1900“, das mir das alte Wien als eine Weltstadt beschrieb, in deren Straßen eine bunte Vielfalt an Menschen zu sehen war: türkische Hausierer mit weichen Opanken an den Füßen und dem Fez auf dem Kopf, huzulische Hirten in gesticktem, weißem Pelz, polnische Juden mit langem Bart und in mit Zobel verbrämten Seidenkaftanen, armenische Mechitaristen, hannakische Ammen und ungarische Garden mit Pantherfellen und Reiherfedern. Wie absurd sind doch Ortstaferlstürmereien in einem Land, dessen Monarch einst seine Proklamationen mit „An Meine Getreuen Völker“ einleitete und in elf verschiedenen Sprachen veröffentlichen ließ.

      In Heimito von Doderers Roman „Grenzwald“ wird eine Gruppe von österreichischen Offizieren im Laufe des Ersten Weltkriegs aufgefordert, sich doch einer Nation zuzuordnen. Da sie deutsch, tschechisch und ungarisch sprechen, kommen sie zu dem Schluss, eben einfach „Wiener“ zu sein.

      Selbstverständlich war die Monarchie ein Herrschaftsgefüge, das seine Ansprüche zur Not auch mit Waffengewalt durchsetzte. Die Loyalität gegenüber dem Kaiser war unterschiedlich verteilt: Bei den galizischen Juden war sie hoch, bei den Tschechen tendierte sie gegen null. Und manchmal erlebt man auch viele Jahrzehnte nach dem Untergang des Habsburgerreiches so seine Überraschungen. 2007 durfte ich mit einer Delegation zum Zwecke des Kulturaustausches nach Sarajevo fahren. Eines Abends kam ich mit einem bosnischen Schriftstellerkollegen ins Gespräch und sagte irgendetwas Negatives über die habsburgische Okkupationspolitik in Bosnien-Herzegowina. Zu meiner Überraschung geriet er völlig in Rage und erklärte mir, ich hätte keine Ahnung von Geschichte: Die Habsburger seien mit Abstand das Beste gewesen, was diesem Land je passiert sei! Sie hätten Schulen, Spitäler, Theater gebaut, ein funktionierendes Eisenbahnnetz installiert und Sarajevo eine Stadtkanalisation geschenkt.

      Ich versuchte, etwas einzuwenden, brachte die blutige Niederschlagung der Aufstände nach dem Berliner Kongress vor, der Österreich-Ungarn die Verwaltung der Region übertragen hatte, die Annexionskrise 1908 und nicht zuletzt den Umstand, dass der Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand wohl nicht wegen extremer Beliebtheit der Habsburger in Sarajevo ermordet worden war – nun, wir hatten wohl beide Recht, so ist das nun mal mit der Geschichte.

      Am Vormittag hatten wir jene Stelle nächst des Miljacka-Flusses besichtigt, wo der bosnische Serbe Gavrilo Princip mit seinen Schüssen den Anstoß zum Ersten Weltkrieg gegeben hatte. Unter den Kommunisten hatte er als Held gegolten, seine Fußspuren waren in den Gehsteig eingelassen gewesen, sodass man genau nachvollziehen konnte, wo er gestanden hatte, als er den Thronfolger traf. Nunmehr fanden wir die triumphalen Fußspuren entfernt: Im Bosnienkrieg galt Princip bosnischen Muslimen und Kroaten als serbischer Held, weshalb man ihm keine Bewunderung mehr zollen mochte. 2004 wurde an der Attentatsstelle eine Plakette angebracht, die nur mehr die nüchternen Fakten festhält. Auch die Geschichte hat eine Geschichte.

      Wenn Österreicher die Grenze zu einem der ehemaligen Kronländer der Monarchie überqueren, kommt es vor, dass sie mit wehmütig-ironischer Geste sagen: „All das hat einmal zu uns gehört!“ In der Europäischen Union können wir wieder zusammengehören, diesmal auf freiwilliger Basis.

      Aus: Bettina Balàka (2018): Kaiser, Krieger, Heldinnen. Exkursionen in die Gegenwart der Vergangenheit. Innsbruck: Haymon, 115–121. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Verlags.

      Mütter

      (Auszug)

       Pavol Rankov

      Ich war Alexejs Mutter und die Last der Betreuung hatte ich zu tragen. So war es von der Natur vorbestimmt. Ich versuchte, mich während des Tagesdienstes ab und zu ein wenig zu verkriechen, um die Augen zu schließen und etwas zu schlafen, doch es gelang mir nur ganz selten. Als ich mich einmal hinter der Baracke kurz ins Gras duckte, kam gleich die Gefangene angerannt, die mit mir zusammenarbeitete, und rief, die Wachen würden schon nach mir suchen, weil Alexej wieder weine. Auch nachts musste ich auf der Hut sein und Alexej sofort beim ersten Greinen an die Brust legen, denn ich hatte Angst vor Liedchen. Sie hatte schon mehrmals gedroht, das Kind zu erwürgen, wenn es sie noch einmal aufwecke. Ich bat sie, wieder auf ihre alte Pritsche am anderen Ende der Baracke zu ziehen, wo das Weinen sie nicht so stören würde, doch das machte sie noch wütender. Doch auch die anderen murrten. Die Hündinnen zwangen eine der Frauen, Irina beim Appell zu bitten, das Kind aus der Baracke heraus zu schaffen. Irina schrie sie daraufhin an, sie solle sich um ihren Kram kümmern. Dass die Mutter mit dem Kind im sechsten Lagpunkt sei, habe die Lagerleitung festgelegt und über einen Befehl werde nicht diskutiert.

      In der darauffolgenden Nacht wachte ich von einem Schlag ins Gesicht auf. Liedchen stand über mir und rief, es sei die letzte Warnung. Alexej weinte wieder, doch ich war so müde, dass ich es nicht mitbekommen hatte. Liedchen packte mich an der Kehle und begann, mich zu würgen. Sie schrie, sie werde das Kind umbringen, wenn es sie noch einmal wecke. Dann zog sie mich hoch und stieß mich in Richtung Wiege, ich solle mich gefälligst um den Sohn kümmern. Doch ihre Wut ließ nicht nach. Sie ging in der Baracke auf und ab, trat gegen die Pritschen und versetzte allen Gefangenen, an denen sie vorbeikam, einen Hieb. Es machte sie rasend, dass einige noch immer schliefen, während sie von dem Weinen längst aufgewacht war.

      Am nächsten Abend legte ich Alexej gar nicht erst in die armselige Wiege, sondern ließ ihn bei mir, damit ich ihn sofort stillen konnte. Die Sirene, die den Abendappell ankündete, klang in meinen Ohren wie eine Sterbeglocke. Natürlich wagte ich nicht, ein Nickerchen zu machen. Ich hockte auf der Pritsche und versuchte zu beten, doch in meinem Kopf wirbelten Bilder aus der Vergangenheit herum. Mal sah ich vor mir den Rücken von Alexejs Vater, als er aus dem Fenster meines Zimmers sprang, mal Mutter, wie sie auf dem Vorplatz stand und dem Wagen hinterher sah, mit dem die sowjetischen Soldaten mich wegbrachten. Aus meinem Gedächtnis stieg auch das entstellte Gesicht der toten Kaisa auf und kurz darauf der stechende Blick der Wölfin, die sich mir im nächtlichen Wald in den Weg gestellt hatte.

      Als Alexej sich zu rühren anfing, nahm ich ihn sofort hoch und legte ihn an. Er trank, machte Bäuerchen und schlief ein. Ich hätte mindestens eine Stunde Ruhe gehabt, um mich selbst etwas aufs Ohr zu legen, doch ich hielt meine Augen mit Macht offen.

      Dennoch schlief ich irgendwann ein. Alexejs Weinen weckte mich. Im Halbschlaf hörte ich in der dunklen Baracke jemand umher poltern. Als der Mund des Kleinen meine Brustwarze umschloss und das Weinen verstummte, hörte ich noch, wie eine der Liegen knarrte. Glücklicherweise war es nicht Liedchens. Erst als ich mich aufrichtete, um den Kleinen zum Aufstoßen an meine Schulter zu lehnen, sah ich, dass direkt neben meiner Pritsche jemand am Boden lag. Es war Liedchen. In ihrer grenzenlosen Bösartigkeit hatte sie offenbar beschlossen, neben uns zu schlafen, damit ihr nicht das leiseste Wimmern Alexejs entging. Ich bemühte mich, sie nicht anzustoßen, schließlich hatte sie wegen des nächtlichen Gewecktwerdens diese irrsinnige Position bezogen.

      Ich war mir sicher, dass Liedchen meinen Sohn in jener Nacht umbringen wollte. Ich saß auf der Pritsche und grübelte fieberhaft, wie ich ihn schützen könnte. Am Ende kam ich zu dem Schluss, dass ich zu Irina gehen und ihr alles erzählen musste. Sie war die einzige, die mir helfen konnte. Doch gleichzeitig war mir auch klar, dass sie nicht helfen würde. Alexej war eine Last, die sie loswerden wollte, und Liedchen bedeutete eine Lösung dieses Problems. Alle um uns herum waren gegen uns. Gegen Morgen flutete mattes Licht die Baracke. Liedchen lag noch immer direkt neben mir auf dem Bauch, ihr Gesicht hatte sie in dem braunen Wattemantel vergraben, den sie nicht einmal bei größter Hitze ablegte. Irgendwann ertönte die Sirene, der Schlüssel rasselte im Schloss und die Wachhabende kam in die Baracke gelaufen.

      „Los geht’s! Los geht’s!“, schrie sie wie jeden Morgen. Den Frauen, die noch nicht aufgestanden waren, hieb sie mit dem Axtstiel auf die Beine. Als sie bei Liedchen ankam, zögerte sie einen Moment. Offenbar schwankte sie, ob sie die


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