Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen. Annerose Matz-Donath

Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen - Annerose Matz-Donath


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Tribunal

       Wyschinskijs Schatten

       Ein teuflisches Drehbuch

       Vergeblicher Aufstand

       Silberkopf mit Feuerhaken

       Begriffe und Abkürzungen

       Einleitung

      Unlängst – 1997 – wurde den Opfern des sowjetischen Staatsterrors in St. Petersburg ein Denkmal errichtet. Eine doppelte Sphinx läßt dort nun ihre dunklen Blicke über die Ufer der Newa schweifen, jede mit einem geteilten Antlitz: zur Hälfte zeigt es die Züge einer schönen jungen Frau, zur anderen bildet es einen nackten, zähnebleckenden Totenschädel ab. Der Bildhauer, der das Denkmal schuf – Michail Schemjakin – fand sein Motiv in einem Gedicht, das einst jeder Russe kannte: „Die Sphinx“ – so hatte 1918 in seinem berühmten Poem „Die Skythen“ der bis heute verehrte russische Dichter Alexander Blok sein Vaterland Rußland genannt.

      Doch nicht nur Bürger der einstigen Sowjetunion wurden Opfer des roten Terrors. Der lange Arm der Tscheka – später GPU und zur Zeit des Zweiten Weltkriegs NKWD genannt – reichte überall hin, wo sowjetische Truppen standen. So sehen auch Deutsche – Männer, Frauen und Kinder – in Schemjakins Denkmal ein düsteres Symbol ihres Schicksals – alle die, die nach 1945 in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone von Sowjetischen Militärtribunalen verurteilt wurden.

      Kaum einem wurde seine angebliche Schuld bewiesen. Der Verurteilung entging dennoch keiner, war er einmal in den Händen des NKWD. Steine, hilflose, wehrlose kleine Steine waren die Menschen ja nur im großen Schachspiel der Sowjetunion um Einfluß und Macht in Europa.

      Wurde einer, wurde eine nach dem Urteil nicht nach Sibirien verschleppt, warteten auf sie das Zuchthaus Bautzen oder die alten Nazi-KZs Buchenwald und Sachsenhausen. Dort, in Sachsenhausen, wurden schließlich auch alle SMT-verurteilten Frauen gesammelt.

      Nach der Gründung der DDR erschien Moskau wie Ostberlin ein sowjetischer GULag auf deutschem Boden politisch als nicht mehr tragbar. So kamen die „Gefangenen“, wie Molotow schrieb – „die Verbrecher“, wie es bei Walter Ulbricht zu lesen steht – im Februar 1950 „zur weiteren Strafverbüßung“ in den Gewahrsam der DDR. Die entwarf für sie, speziell für die SMTer, ein besonders strenges Zuchthaus-Regime in einer Reihe von Sonderstrafanstalten.

      Zum Ende des Jahres 1954 wurde die DDR sodann auch zum Gerichtsherrn über die alten SMT-Verfahren. Doch von dem damit auch auf sie übergegangenen Gnadenrecht machten die deutschen Kommunisten nur zögernd Gebrauch. Noch Jahre nach 1954 hielten Ulbricht und seine Satrapen viele Gefangene in Hoheneck und Bautzen fest, obwohl diese Menschen niemals gegen Gesetze verstoßen hatten – und am allerwenigsten gegen Gesetze der DDR!

      Für die etwa 1.300 SMTerinnen aus Sachsenhausen wurde in Hoheneck über Stollberg im Erzgebirge ein baufällig-altes Gemäuer neu als Zuchthaus hergerichtet. Selbst nach der sehr strengen Berechnung ihrer Verwalter boten die Häuser nicht mehr als 700 Gefangenen Platz. Dennoch wurden zeitweise dort bis zu 1.900 Menschen zusammengepfercht.

      Nun sahen die Frauen nur durch schmale Fensterritzen und Gitter, wie die Blütenhoffnung des Frühlings sich in die leuchtende Fülle des Sommers verklärte, wie das bunte Herbstlaub im strahlenden Weiß des Winters erstarb. Wenigstens siebenmal, meist sogar acht- oder neun- und sogar zwölfmal wechselten ihnen so die Jahreszeiten, seit die Verhaftung sie aus dem Leben gerissen hatte. Sieben, neun oder zwölf – so viele Jahre waren sie alle streng und absolut von der Außenwelt isoliert, waren sie von den Familien, von ihren Kindern getrennt. Verlorene Jahre. Schwarze Jahre!

      Aber Schwarz ist nicht nur die Farbe des Schreckens, des Verlusts und der Trauer. Schwarz trugen nicht nur Hitlers SS und die Opritschniki, die frühen Brüder der Tscheka, die Iwan dem Schrecklichen dienten. Auch die Totenkopfhusaren der Freiheitskriege kleideten sich in Schwarz, und Schwarz war für die Chinesen die Farbe der himmlischen Herrlichkeit, in die ihre Kaiser sich hüllten. Wie viele Nuancen hat Schwarz – nicht nur im übertragenen Sinne! 27 fand der Maler Nikolaus de Staël allein in den Bildern dreier berühmter klassischer Maler.1

      Schwarz hebt alle Farbe auf und bewahrt sie zugleich wie das Dunkel der Nacht die Buntheit der Welt für den Morgen. Die düstere Farbe steht nicht nur für Weltverlust, wie Haft ihn gewaltsam bewirkt. Denn Unglück kann Menschen zwar brechen, setzt Wunden und lebenslang Narben. Aber es kann auch sensibel machen für anderer Not. So ist es sicher kein Zufall, dass sich später manch eine der Hoheneckerinnen in sozialer Arbeit engagierte.

      Doch sie selbst – wer sieht sie – die Frauen, denen man ein Stück ihres Lebens stahl und die man so tief in ihrer menschlichen Würde verletzte? Wer gedenkt der Leiden ihrer verlassenen Kinder, oft nicht nur der Mutterliebe, sondern allen Schutzes und aller Lebenswärme beraubt, dafür von Ängsten und oft auch von materieller Not gequält! Und hätte das nicht tausend Kinder, sondern nur ein einziges betroffen – es müßte unsere Herzen rühren. Noch niemand schrieb bisher auf, was diese Kinder litten, deren Müttern heute in Moskau bescheinigt wird, dass sie seinerzeit „ohne Grund und Ursache“ und „aus politischen Motiven“ verhaftet und zu so hohen Strafen verurteilt wurden, als wolle man sie lebendig begraben.

      Wer Verbrechen zum Opfer fällt, dem wird nicht nur das äußere Leben zerbrochen. Ihm geht das Bild der Welt aus den Fugen. Wer aber fügt es den Geschundenen und Gequälten wieder zusammen? Welches Licht löst aus dem Schwarz einer gnadenlosen kollektiven Verfolgung wieder die Farbe des einzelnen menschlichen Lebens heraus?

      Wo anders nicht mehr zu helfen ist – Vergangenes ist niemals „gutzumachen“ – da bleibt, im vollen tröstenden Sinne, nur menschliche Anteilnahme. Doch Brücken des Verstehens brauchen zwei Pfeiler. Die heißen „Erzählen dürfen“ und „Zuhören wollen“.

      Was in diesem Buche geschildert wird, läßt nur den Anfang der jahrelangen Leidenswege wieder lebendig werden – die Zeit der sowjetischen Untersuchungshaft. Es stützt sich dabei auf viele Gespräche mit ehemaligen Hoheneckerinnen und auf Aufzeichnungen, die einige Frauen für ihre Kinder machten. Vor allem aber beruht es auf etwa 130 ausführlichen Tonband-Interviews.

      Auf den rund zehntausend Seiten der ausgeschriebenen Gesprächs-Protokolle sind Schrecken festhalten, die einander bis zur Austauschbarkeit gleichen. Das bekräftigt die Glaubwürdigkeit der Berichte, die aus der Erinnerung schöpfen müssen. Denn im Unterschied zu Gefangenen eines anderen totalitären Systems auf deutschem Boden waren denen der Kommunisten – wenn überhaupt – nur inhaltslose Briefe nach Hause erlaubt. An Tagebuchführen in der Haft oder andere Arten der Aufzeichnung war gar nicht zu denken.

      „CHRANITJ WETSCHNO“ – Aufbewahren für alle Zeit – steht auf den Deckeln der russischen Gefangenen-Akten. Die SMTerinnen wollen das Ihre dazu tun, indem sie erzählen, wie damals die Wirklichkeit aussah. Denn das sagen die Akten nicht!

       Nachtrag zur 2. Auflage:

      Naturgemäß kann ein Buch wie das vorliegende nur Ausschnitte aus den stundenlangen Interviews darbieten. Da die Autorin – gelernte Historikerin – sich aber sowohl den Opfern als auch der Zeitgeschichte verpflichtet fühlt, machte sie gerne vom Angebot der Universität Leipzig Gebrauch, alle Unterlagen in die Obhut des dortigen wissenschaftlichen Archivs zu geben. Alle 130 Interviews stehen also in Leipzig in voller Länge in Wort und Ton und mit Klarnamen und genauen persönlichen Daten zur Verfügung.

      1 Frans Hals, Veronese, Velázquez

       1. Mütter und Kinder


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