Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen. Annerose Matz-Donath
damals schon, wie alles enden würde.
Ich habe mir solche Gedanken nicht gemacht. Ich bin ja eine große Träumerin und war glücklich verliebt, verheiratet, eine selige Mutter – und sonst gar nichts! Alles andere interessierte mich nicht. Ich war nur Mutter, nur Mutter und hatte nur meine Kinder im Sinn!
Noch in den letzten Tagen des Krieges ist mein Mann dann gefallen. Auf den 31. März 1945 lautete der Totenschein.“
Kurz darauf ziehen wirklich – wie ihr Mann es vorausgesagt hatte – in Suhl amerikanische Truppen ein. Doch die kümmern sich nicht um die zugereiste junge Familie. Warum auch? Irene Kunze hatte sich niemals öffentlich betätigt, und sie tat es auch jetzt nicht. Sich mit zwei kleinen Kinder überhaupt über Wasser zu halten, war für eine Ortsfremde schwer genug. Nahezu jeder hungerte damals ja und fror.
Am 1. Juli 1945 lösen – Vereinbarungen der Alliierten entsprechend – sowjetische Truppen die Amerikaner ab. Irene spürt von dem Wechsel wenig – vorerst!
„Eines Tages waren die Amis weg. Und plötzlich kamen – na, ich dachte, da kommen so ein paar zerlumpte deutsche Heimkehrer von der Front. Doch das waren die russischen Soldaten! Die sahen ja zum Fürchten aus zu Anfang!
Von den Amis hatten die offenbar Jeeps geklaut, damit rasten sie im Wald herum. Ich wohnte direkt am Wald, und so erlebte ich das aus nächster Nähe mit. Wenn das Benzin alle war, dann ließen sie den Jeep einfach stehen. Die wußten wohl überhaupt nicht, dass da Sprit reingehörte. Die wußten nur, wie die Dinger anzudrehen waren. Ach, es waren ja verdreckte und zerlumpte Kinder, richtige große Kinder – also wirklich.
Man hätte sich vor ihnen fürchten können, weil sie doch Waffen hatten. Aber wir sind nicht vergewaltigt worden. Der Kommandant hat allen Deutschen gesagt, die Frauen sollten sich Pfeffer ans Bett stellen oder in die Tasche stecken und das benutzen, wenn ein Russe sie anfallen würde. Oder eine Flasche Tinte ans Bett. Wenn einer eine Flasche Tinte über die Uniform bekommen hat, dann könnten sie ihn als Übeltäter erkennen. Sich an Frauen heranzumachen war den Soldaten überhaupt streng verboten! Sie durften uns nicht nur nicht anrühren, sondern nicht mal mit uns reden! Die hatten wohl Angst, dass wir sie beeinflussen könnten.“
Die Ruhe, in der die junge Witwe mit ihren Kindern lebte, war trügerisch. Im Februar 1946 – mitten in der Nacht – läutet es plötzlich Sturm an Frau Kunzes Tür. Als sie aufgeregt öffnet, drängt eine Gruppe von Uniformierten in ihren schmalen Wohnungsflur. Von dem Lärm erwachen die Kinder. Sie beginnen zu weinen.
„Sie kamen mit sechs Mann. – Eine Frau darunter zwar, aber das nachts um zwei! Angeblich ging es um meinen gefallenen Mann, der Offizier gewesen war. Er wurde plötzlich gesucht, obwohl sein Tod doch ordnungsgemäß bei allen Behörden registriert war. Ich sage, mein Mann ist gefallen, und habe die Gefallenenmeldung vorgezeigt. Da haben sie erst so ein bißchen Russisch vor sich hingeredet. Und dann haben sie gesagt, ich möchte doch so freundlich sein und mitkommen und ihnen auf der Kommandantur unterschreiben, dass mein Mann gefallen ist. – Nachts um zwei holen die mich dazu aus dem Bett, damit ich unterschreibe, dass mein Mann gefallen ist!“
Auch Irene Kunzes Erinnerung bewahrt bis heute ein schmerzvolles Bild jener Nacht: Wie ihr kleines Mädchen sich ängstlich in ihre Arme schmiegt, der Zweijährige aus seinem Gitterbettchen die kleinen Händchen nach ihr streckt. Aber ‚Dawai, dawai!’ ‚Schnell fort, schnell fort!’ Die Kinder beruhigen? Daran ist gar nicht zu denken. Man läßt Frau Kunze kaum Zeit, sich anzukleiden. Als die Tür hinter ihr ins Schloß fällt, tönt das ängstliche Rufen und Weinen der Kleinen hinter ihr her. Acht Jahre lang gellte ihr das in den Ohren nach – eine Mutter, gezwungen, stumm davonzugehen, als fechte die Not ihrer Kinder sie überhaupt nicht an… Acht Jahre lang – denn erst 1954 wird sie wieder nach Hause kommen.
Besonders quält sie der Gedanke, dass sie keinen weiß, der sich um die beiden kümmern könnte. In Suhl gibt es weder nähere Bekannte noch Verwandte. Und von der Familie in Wilhelmshaven trennt damals, Anfang 1946, unerbittlich die Zonengrenze. Als Irene in den Vernehmungen darüber klagte,
„dass ich doch in Suhl keinen Menschen kannte, der sich um die Kinder hätte kümmern können, da hieß es nur: ‚Die Kinder sind in Moskau und werden dort zu Sowjetbürgern erzogen.’ – Vier Jahre haben die Russen mich in diesem Glauben gelassen! Ich habe darüber bald den Verstand verloren, dass meine Kinder auf Nimmerwiedersehen in der Sowjetunion verschwunden sein sollten!“
Einzelfall oder Methode? Eine anderes Opfer: Helga Söntgen. Und eine andere Szene:
„Dann waren nur Nachtverhöre. Nachts – in der Stille – hörtest du jeden Tritt! Die Schritte – sie kamen immer näher, immer näher. Und da wußtest du: Jetzt, jetzt schließen sie gleich bei dir auf. Jetzt kommst du raus. Dann waren die Vernehmungen – sie waren immer bei Scheinwerferlicht. Und das – wie grausam das war, kann ich keinem beschreiben … !
Mein schlimmstes Erlebnis war, da ließen sie ein Kind nebenan schreien. Es war bestimmt – das sage ich mir heute – es war bestimmt ein Russenkind. Jedenfalls sagten sie, es wäre mein Kind, das ginge jetzt auf Rußland-Transport. Eine Mutter, die Spionin ist, die braucht kein Kind, sagten sie. Das Kind ginge nach Rußland.
Ich habe das damals geglaubt, ich war wie … ach, … wenn ich eine Möglichkeit gehabt hätte, also – da hätte ich Schluß gemacht! Denn wenn man sein Kind schreien hört und man kann nicht hin …! Dass es vielleicht doch nicht das eigene Baby ist, das erkennt man dann ja nicht! Den Ton – durch die Zellentüren durch …! Es war schon grausam. Ich gönne das meinem ärgsten Feind nicht!“
Schon die Verhaftung der jungen Frau war schockierend genug gewesen. Helga Söntgen bleibt noch heute die Stimme im Halse stecken, wenn sie schildert, wie man sie abgeholt hat.
„Ich war gerade anderthalb Jahre verheiratet, mein Junge war neun Monate alt, als es eines Tages an der Tür klopft und klingelt. Ein Deutscher steht da: ‚Für Sie ist ein Einschreibebrief auf der Post. Den müssen Sie abholen. Kommen Sie gleich mit. ‘
Ich gehe runter mit ihm. Da steht unten ein zweiter Mann. Wir gehen ans Auto – ein Auto wartet da, ein Zivilauto. Plötzlich kriege ich einen Sack über den Kopf, ins Auto rein – und weg war ich …“
Bis sie schließlich – 1951, nach der Verurteilung – den Deutschen übergeben wurde, verbrachte Frau Söntgen ein Jahr in russischer Untersuchungshaft. Mehr will sie darüber nicht sagen. Nur diese Begründung noch:
„Das mußt du verstehen. Wir hatten ja nur nachts Verhöre. Und da kommst du raus aus der Zelle, kommst du runter in den Gang da lang – und dann siehst du, dass Blut da aus der Zelle rausfließt!
Das sind alles so Sachen, die du nie vergißt. Nein, ich möchte das gar nicht mehr alles auffrischen, nicht mehr darüber reden!“
Im Frühjahr 1950 also noch immer und immer wieder ganz einfach „Sack über’n Kopf“! Und Vernehmungen, bei denen Menschenblut floß. Denn mit den gleichen Methoden war es schon 1947 zugegangen. Sack über den Kopf – so war mit einer Gruppe junger Frauen und Männer auch Inge Haller abgeholt worden. Und auch ihr weinten zwei kleine Kinder jämmerlich nach.
„Die deutsche Kriminalpolizei hat uns nach Wernigerode gebracht, ins GPU-Gefängnis. Von dort mit verbundenen Augen, die Hände mit Stricken gefesselt, auf einen LKW. Und auf dem LKW Säcke über den Kopf gestülpt, damit wir nichts sahen. Wir haben gedacht, wir werden jetzt irgendwo in den Wald gebracht und erschossen. Aber die Säcke waren kaputt, da haben wir dann auf dem Wagen doch mitgekriegt, dass die uns nach Halle fuhren, in den Roten Ochsen – so als Säcke. Wir wurden so hingestellt, dass keiner sah, dass da Menschen drin waren.“
Als erzähle sie einen Krimi, den sie jüngst gesehen oder gelesen hat, so ruhig berichtet Inge Haller heute über diese Stunden der Todesangst.
Dass sie