Die zehn Lebensempfehlungen des Yoga. Alexander Kobs

Die zehn Lebensempfehlungen des Yoga - Alexander Kobs


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wird. Die Übenden werden Stufe für Stufe zum Samadhi geführt: einem Bewusstseinszustand, der in der Innenschau als „Eins-mit-Allem“ erlebt wird und der uns erkennen lässt, dass wir selbst Teil des kosmischen Bewusstseins sind.

      Die einzelnen Stufen in der Übersicht:

      1. Yamas sind fünf Empfehlungen hinsichtlich der inneren Einstellung und dem sozialen Verhalten zu anderen gegenüber. Sie fördern positive zwischenmenschliche Beziehungen in der Familie und der Gesellschaft. Ohne sie würden Auseinandersetzungen, Konflikte und Ablenkungen in einem Maße auftreten, die den Yoga-Weg massiv stören würden. Gewaltlosigkeit ist der Eckpfeiler und oberstes Gebot, auf dem jede soziale Interaktion mit anderen Lebensformen beruht. Die weiteren vier Yamas lauten: Wahrhaftigkeit, Nicht-Stehlen, sinnliches Maßhalten sowie Anspruchslosigkeit.

      2. Niyamas beeinflussen unser Verhalten uns selbst gegenüber. Sie fördern die positive, zielorientierte Entwicklung einer erwachsenen Persönlichkeit und beschreiben eine innere Grundhaltung des Übenden, die nach Befreiung und Verminderung seines Leidens strebt. Die Niyamas umfassen Reinlichkeit, Zufriedenheit, Selbstdisziplin, Selbst-Studium sowie Hingabe (zum Göttlichen).

      3. Asana bedeutet Körperhaltung; im populären Hatha-Yoga also physische Körperübungen, die Kraft, Flexibilität und Entspannung bewirken. Es wird unterschieden zwischen meditativen Körperhaltungen und Haltungen, welche die allgemeine Gesundheit fördern.

      4. Pranayama beinhaltet Atem- und Energieübungen. Die „Wissenschaft vom Atem“ führt zu erhöhter Energie und Konzentration, verbunden mit gleichzeitiger Reinigung und Entgiftung des Körpers über die Atemwege.

      5. Pratyahara reguliert eingehende Informationen, die als vielfältige Sinneswahrnehmungen in unseren Geist hineinströmen. Die Menge und die Qualität der empfangenen Eindrücke können die Ausgeglichenheit, Klarheit und Konzentration des Geistes beeinträchtigen. Mithilfe von Pratyahara können daher beispielsweise nicht förderliche Sinneseindrücke früher erkannt werden, wodurch einer Reizüberflutung Einhalt geboten werden kann.

      6. Dharana – Konzentration. Diese Stufe ist nicht nur hilfreich auf spiritueller Ebene, sondern auf allen Ebenen des privaten und beruflichen Lebens. Sie hilft Aktivitäten schneller und fehlerfreier abzuwickeln und in den sogenannten „Flow“ zu kommen, indem wir mit einer Handlung vollständig verschmelzen. Stunden vergehen hierbei wie Minuten. In der Konzentration wird der zerstreute Geist gebündelt und durch bewusste Achtsamkeit zur Einpunktigkeit geführt.

      7. Dhyana – Meditation. Sie ist das Ergebnis fortwährender, ununterbrochener Konzentration. Dharana macht den Geist einpunktig, klar und ruhig. Dhyana lässt eine Expansion des Geistes entstehen, über alle bewussten und unbewussten Ebenen hin zu Samadhi, dem überbewussten Zustand. Meditation erweckt inneres, intuitives Wissen und ist ein kraftvolles Instrument, den Alltag ruhiger und gelassener anzugehen.

      8. Samadhi – kosmisches Bewusstsein und All-Eins-Sein. In diesem Zustand wird die Einheit mit dem höheren Selbst gefunden. Alle Begrenzungen werden überwunden – es gibt keine Fragen und keine Antworten mehr, da alle Polaritäten aufgehoben sind. Die Erfahrung dieses unbegrenzten Bewusstseins jenseits des Wachens, Träumens und Tiefschlafes ist das praktische und eigentliche Ziel des Yoga. Es ist das Ende aller Furcht, aller Wünsche, aller Fragen und allen Mangels.

      Yamas und Niyamas bilden die ersten beiden Stufen auf der Treppe des königlichen Yoga-Weges. Für einen Yoga-Meister wie Iyengar wird durch sie das Fundament gegossen, auf dem das Haus des Yoga steht. Wie solche universellen Prinzipien ins Leben integriert werden und wie wir mit uns selber, mit anderen Wesen, der Umwelt und dem Planeten umgehen, hat entscheidende Bedeutung für die eigene, spirituelle Persönlichkeitsentwicklung. Auf dem Weg der Selbst-Transformation liegen viele mentale und körperliche Hindernisse, Ablenkungen und Zerstreuungen. Die Yamas und Niyamas halten die Konzentration aufs Wesentliche ausgerichtet und führen zu mehr individueller Zufriedenheit und Wohl-Sein (Well-Being).

      In der Begeisterung für neue Asanas oder Atemübungen schenken Yoga-Übende manchmal diesen ersten beiden Schritten des Yoga-Weges weniger Beachtung. Aber Körper- und Energieübungen entfalten nur oberflächliche Wirkung, selbst wenn sie auf körperlicher und energetischer Ebene Gesundheit und Stressabbau fördern können.

      Frieden sollte beispielsweise zuerst im Inneren aufblühen. Denn ist es sinnvoll, scheinbar perfekte und anspruchsvolle Körperhaltungen einzunehmen, wenn sie nicht mit Gewaltlosigkeit (Ahimsa, dem ersten Yama) praktiziert werden? Verletzungen könnten die Folge sein. Was nützt ein friedvoller und ausgeglichener Geist in dreißig Minuten Meditation, wenn wir den Rest des Tages auf den Mitmenschen herumtrampeln?

      Unabhängig von den gewählten Methoden der Selbsttransformation sollte der Alltag so organisiert sein, dass persönliches Verhalten keine Störung oder existenzielle Bedrohung für irgendeinen Teil der Schöpfung hervorruft. Dazu dienen die zehn Lebensempfehlungen als essenzieller Teil eines „Yogic Lifestyle“. Sie entstressen das Leben, indem sie es vereinfachen. Durch sie entwickeln wir gesunde, heilsame und verantwortungsvolle Beziehungen sowie Respekt für uns und andere. Dadurch wird Liebe, Verständnis und Mitgefühl zu allem auf der Erde existierenden Leben geweckt. Ebenso finden wir die Kraft und Entschlossenheit, mit deutlichen Worten Missstände und notwendige Veränderungen anzusprechen.

      Es ist kein leichtes Unterfangen, die gewonnenen Erfahrungen mit den Yamas und Niyamas in den Alltag zu integrieren. Trotzdem sollte das bisherige Leben nicht aufgegeben werden und weltliche Verpflichtungen, Bindungen und Freundschaften sollten nicht vernachlässigt werden. Ein Rückzug in Höhlen oder ins Schweigen ist nicht notwendig – im Gegenteil: Die unmittelbare Umgebung liefert ein mannigfaltiges Geflecht von Übungsmöglichkeiten. Anfangs fallen wir vielleicht in alte Gewohnheiten und Verhaltensmuster zurück. Wir ängstigen uns vielleicht, dass Mitmenschen unsere Bemühungen kritisieren und belächeln und nicht ernst nehmen könnten. Diese mangelnde Zustimmung sollte uns jedoch nicht entmutigen. Bevor beispielsweise Gewaltlosigkeit auf allen Ebenen perfekt praktiziert wird, werden wir bereits viele kleinere friedvolle Veränderungen an uns und unseren Mitmenschen wahrnehmen.

      Die zehn Lebensempfehlungen im Überblick

      Durch die Yamas werden gesunde und harmonische Beziehungen zu anderen entwickelt; Niyamas werden praktiziert, um diese Art von Beziehungen auch zu uns selbst aufzubauen. Beide Übungsformen beinhalten, Verantwortung für das Leben zu übernehmen und dieses aktiv, bewusst und freudvoll zu gestalten.

      Die zehn Lebensempfehlungen werden auch als Mahavratas, als große Gelübde bezeichnet. Yogis betrachten diese ethischen Prinzipien als tiefes Bekenntnis, die eigene Persönlichkeit freiwillig zum Positiven zu verändern. Sie werden als universell gültig betrachtet, und können ihren Wert nicht durch Veränderungen von Zeit, Ort, Geschlecht, Situation oder Lebensumständen verlieren. Andere spirituelle Traditionen besitzen ebenfalls ethische Verhaltensempfehlungen – zur Anregung im Folgenden zwei Aufstellungen aus der christlichen und buddhistischen Lehre.

      Die erste Stufe des Raja-Yoga (s. Abb. 2, S. 18 und Abb. 3, S. 24) definiert einen sozialen Verhaltenskodex. Das Wort Yama bedeutet „das, was hilft, innerhalb unserer Grenzen zu bleiben und nicht die Grenzen anderer zu überschreiten“. Verkürzt ausgedrückt: „Leben und leben lassen.“ Handlungen, die anderen oder einem selbst Schaden zufügen, sollten nicht begangen werden. Yama stammt von der Wortwurzel yam, was kontrollieren meint: die bewusste Kontrolle und Pflege unserer Beziehungen zu allen Geschöpfen ohne Ausnahme und ohne Ausschluss.

       Christentum 4

      1.Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

      2.Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.


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