Gott Go Home!. Klaus Ungerer
unterbinden zu können, sobald sie spüren, dass der argumentative Grund unter ihren Füßen wackelig wird. Es ist bezeichnend, dass wir Satiriker benötigen, um das Offensichtliche zu benennen. Im Nachgang des Charlie-Hebdo-Massakers sprach Oliver Maria Schmitt, ehemaliger Chefredakteur der Titanic, aus, was die Grundlage einer aufgeklärten Gesellschaft zu sein hätte: »Im Zusammenhang mit religionskritischer Satire hört man immer wieder den unsinnigen Vorwurf: ›Aber damit verletzt ihr doch die religiösen Gefühle anderer.‹ Ich frage mich: Was soll denn das sein, ein ›religiöses Gefühl‹? (…) Ist das Gefühl eines aufgeklärten Geistes weniger wert als das Gefühl eines religiösen Einfaltspinsels? Es ist aufklärerische Menschenpflicht, jede Religion immer und überall zu kritisieren.«
Das war ein seltenes Licht in überschatteten Zeiten. Überschattet nicht nur vom Irrationalismus des Wachstumsglaubens, sondern auch vom Obskurantismus abergläubischer Weltanschauungen. Glaube ist Aberglaube, der über das Hosentaschenformat hinausgewachsen ist, mächtige gesellschaftliche Strukturen ausgebildet hat und, mehr als das Wochenhoroskop, für Hierarchie und Unterwerfung steht. Wer glaubt, ordnet sich unter, gibt Verantwortung ab. Das bedeutet das Gegenteil eines freiheitlichen, demokratischen Menschenbilds, das Gegenteil von Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Immer und überall sind es Männer, die unter viel Brimborium eine quasi magische Macht für sich beanspruchen – basierend auf den Erkenntnissen früherer Kriegsherren wie Mohammed, charismatischer Outcasts wie Jesus und offensichtlicher Scharlatane wie Scientology-Gründer L. Ron Hubbard oder Mormonen-Urvater Joseph Smith.
Gibt es denn tatsächlich noch viele Menschen, die an die Kekswerdung Christi glauben? In Berlin leben aktuellen Studien zufolge drei Viertel der Bevölkerung ohne ernsthaften Glauben an Gott, und bohrt man bei denjenigen nach, die sich als »spirituell« bezeichnen, bleibt meist nicht viel mehr übrig als ein warm waberndes Gefühl der Aufgehobenheit im Universum, das auch ein Atheist problemlos empfinden kann. Wo Menschen der Kontakt mit Bildung vergönnt war, spielen Fragen nach Engeln, dem Paradies oder der Hölle keine Rolle. Sondern dringendere und konkretere Probleme: Wie speisen wir die Menschheit, gibt es Zugang zu Wasser für alle? Wie vermeiden wir Kriege, wie schaffen wir Verständnis untereinander? Wie geben wir den Chancenlosen Hoffnung? Doch wohl nicht durch das Gebet zu einem reformierten Tyrannen.
Die Initiative »Pro Reli« plakatierte einmal den Slogan »Keine Moral ohne Gott!« – ein unethischer Akt. Dass religionsfreie Menschen weniger moralisch als andere agieren, davon ist jedenfalls nichts mitzubekommen, für Selbstmordanschläge aus Glaubensgründen fehlt ihnen schon mal die Motivation. Ganz oft sind »Ungläubige« liebevolle Partner und Eltern, engagieren sich für die Umwelt, kümmern sich um Geflüchtete, verhindern Nazi-Aufmärsche, geben Bettlern Geld, retten Tiere. Niemand hat dafür einen Gott nötig oder gar dessen phallisch gereckten Zeigefinger. Die meisten Menschen sind von sich aus moralisch – weil Jahrmillionen der Evolution sie zu sozialen Wesen gemacht haben.
Jeder Mensch hat denselben Wert, niemand soll sich über andere erheben, niemand andere verletzen. Diese Botschaft wird gern aus dem Wirken des Jesus von Nazareth abgeleitet, doch ist seine Verwendung dabei eher ein Hindernis. Man sollte nämlich nicht bloß gut zu anderen sein, weil es ein magischer Oberaufseher befiehlt. Man sollte es tun, weil man selbst es für richtig hält und weil es für alle das Beste ist.
Gott? Heute brauchen wir uns nicht gemein zu machen mit Jahrtausende alten Gespinsten. Denn wir haben uns, und in uns steckt Hoffnung: ein Häuflein halbwegs intelligenter, halbwegs liebesfähiger, weit überwiegend friedliebender Zweibeiner auf diesem abgelegenen Planeten auf einer ovalen Umlaufbahn um einen minder bedeutenden Stern.
Bärenstark, dubidubidu
Religion im 21. Jahrhundert, muss das wirklich sein?
Es ist der 27. Juni 2017, es ist sehr früh am Morgen in Little Rock, Arkansas, eigentlich fast noch Nacht. Vor dem State Capitol, dem Regierungssitz des Bundesstaates, bleibt ein dunkles Auto aus dem dünnen Verkehr heraus plötzlich stehen, genau auf der Höhe der Zehn Gebote, einer steinernen Gesetzestafel nach biblischem Vorbild, die man gestern erst aufgestellt hat. Vom Auto aus ist es nur ein kurzes Stück über den Rasen bis zu dem tonnenschweren Monument. Ein diensthabender Polizist sieht sofort, dass etwas nicht in Ordnung ist. Aber er kann nichts mehr tun.
Per Livestream dokumentiert der Fahrer des Wagens auf Facebook, was nun passiert. Das Auto setzt sich wieder in Bewegung, zielgerichtet, im Scheinwerferlicht tauchen die Zehn Gebote auf, »Freedom!«, ruft der Mann im Auto mit heiserer Stimme – Freiheit! Er meint Religionsfreiheit. Er meint: Freiheit von Religion. Dann kracht sein Wagen in Gottes Wort. Die Übertragung endet im selben Moment. Die Sicherheitskräfte eilen rasch herbei, um den Fahrer des Wagens, Michael Reed, festzunehmen. Für die Steintafel kommt jede Hilfe zu spät. Zerbrochen liegt sie am Boden.
In einem akuten Zustand geistiger Umnachtung hat Reed also getan, was auch Moses tat – die vom Himmel gefallenen Steintafeln zerschmettert. Wo der allerdings noch das göttliche Gesetz aus einem initialen Impuls heraus zerschmiss, besaß Michael Reed Vorerfahrung in dieser speziellen Disziplin. Bereits im Oktober 2014 hatte er eine solche Tafel umgenietet. Die stand damals auf ebenso öffentlichem Grund, vor dem Oklahoma City Capitol. Auch hier kam Reed mit seinem Wagen angebrummt, auch da traf er den Granit mit der vollen Wucht aller ihm zur Verfügung stehenden Pferdestärken, und keine göttliche Macht verhütete die Zerstörung des Steins.
Seither war Michael Reed in den Archiven und im Internet greifbar, und man wusste auch, dass er kein sehr glücklicher Mann ist. Er wurde abwechselnd als Christ, Satanist und überzeugter Säkularist aktenkundig, und selbst seine Mutter musste schon gegenüber den Medien bekennen, dass er an einer schizoiden Persönlichkeitsstörung leidet. Man könnte die Sache als einen von tausend täglichen Fällen sinnloser Aggression gegen arglose Materie abhaken.
Und bleibt doch an den Bildern hängen. Nicht nur, dass diese Steintafeln so hässlich sind. Sie sehen in beiden Fällen genau gleich aus. Schlecht imitiertes 19. Jahrhundert, autoritätsheischend in den Granit gemeißelt. Wieso stehen baugleiche Monumente an zwei verschiedenen Orten? Wieso sagt der Mann von der Mahnmalfirma, er habe jetzt schon um die zwanzig von diesen Dingern aufgestellt? Und wenn man als Nachrichtenleser in sich geht, hat man nicht denselben Klotz auch schon in anderen Gegenden fotografiert gesehen?
Sie sind nämlich tatsächlich über die gesamten USA verteilt, richtig durchgezählt hat sie bislang nur Gott der Herr, sie stehen vor Regierungsgebäuden, auf Schulgeländen und in Parks, gerne würde man sagen: ein Monument hässlicher als das andere. Aber genau das stimmt eben nicht, sie sind alle gleich furchtbar, und sie verkünden mit der Sturheit eines Bots, was sie halt zu verkünden haben. Wo kommen die alle her, hat der Herr sie vom Himmel geworfen, nachdem ihm klar wurde, dass es immer noch nur einen Augenzeugen für die Übergabe seiner Zehn Gebote gibt?
Die Geschichte dieser Gesetzestafeln ist eine uramerikanische. Sie verbindet schlechtes Pathos, patriarchale Religiosität und Hollywood-PR mit dem absoluten Willen zur Größe. Denn was wäre grandiosere Werbung für einen Film als eine Propagandakampagne, die flächendeckend und unter viel pompösem Getue mit staatlichem wie kirchlichem Segen den öffentlichen Raum erobert?
Genau das geschah 1956 mit dem Paramount-Film »Die zehn Gebote«, dem opulenten Höhepunkt des Technicolorkinos – sozusagen eine filmische Fortsetzung des religiösen Überwältigungsprunks, mit dem man seit dem Mittelalter in den Kirchen auf die Hirne der Gläubigen einwirkt. Gedreht wurde der Kulissenschinken inklusive Teilung des Roten Meeres von Cecil DeMille, als Remake seines eigenen Stummfilmklassikers von 1923. Dem Regisseur war nicht nur der Erfolg des Films ein Anliegen, er nahm auch den religiösen Inhalt sehr viel ernster als man es von einem Menschen im flatterhaften Showbusiness erwarten sollte. Er plante einen religiös grundierten Werbefeldzug, und er plante ihn nicht allein.
Ihm zur Hilfe eilte ein obskurer Herrenbund namens »The Fraternal Order of Eagles«, die Bruderschaft der Adler also, eine wohltätige Vereinigung, die bezeichnenderweise als Schutzbund mächtiger Theaterbesitzer gegen einen Musikerstreik ins Leben gerufen wurde und sich danach zu einer weltumspannenden Organisation auswuchs. Die drehte nun aktiv mit am konservativ-christlichen geistigen Rollback der 1950er Jahre. »Die zehn Gebote«, der Film, war für sie weit mehr als nur der