Gott Go Home!. Klaus Ungerer
die Jahrhunderte hinweg Freiheitsrechte erkämpft hat und in der man, so oft man will, öffentlich sagen kann:
Eure Kirchenglocken jeden Sonntag nerven echt hart.
Doch der Gott findet auch andere Mittel und Wege, dem zivilisierten Teil der Menschheit auf den Wecker zu gehen. Etwa ist es schon mehrfach vorgekommen, dass Flugzeuge am Boden bleiben mussten, weil ein paar versteift religiöse Seelen sich standhaft weigerten, ihren Sitzplatz einzunehmen, zum Beispiel im Juni 2018 in New York. Von naturwissenschaftlicher Seite aus war dabei alles geklärt: Auf der Grundlage von Aerodynamik entwickelt, von Düsen angetrieben, wäre das Flugzeug, anders als alle Engel und Heiligen, nachweislich und nachvollziehbar jederzeit in der Lage gewesen, vom Boden abzuheben, um dann einige Zeit später in Tel Aviv wieder zu landen. Zwischen den Istzustand auf dem Asphalt und den planmäßigen Abflug hatte sich der Allmächtige geschoben, in diesem Fall jene Gottesfigur, die ein Teil der ultraorthodoxen Juden sich zurechterfunden hat. Nicht zum ersten Mal weigerten sich Passagiere, den von ihnen gebuchten Sitzplatz im Flugzeug einzunehmen. Denn sie würden dort neben Frauen sitzen. Um die Frauen nicht einmal ansehen zu müssen, so heißt es, hatte einer der Männer die ganze Zeit seine Augen geschlossen.
Nun mag man das merkwürdig finden. Wir selber haben nichts gegen Frauen, einige unserer besten Freunde sind Frauen. Wir haben nicht einmal was gegen Gottisten, solange sie sich freundlich, rücksichtsvoll und tolerant gegenüber dem Rest der Menschheit verhalten. Nur ist es leider so, dass genau das durch Religionen so unsäglich erschwert wird. Denn erstens unterscheiden die immer zwischen »uns« und »denen«, also den Gläubigen ebendieser Religion und den Gläubigen anderer Religionen oder den Menschen, die ganz ohne unsichtbaren Zaubermeister im Himmel auskommen. Zweitens haben alle derzeit angesagten Religionen auf der Welt den Nachteil, dass sie selbst innerhalb ihrer Gemeinschaft wieder spalten, in Menschen erster und zweiter Klasse. Wobei der Clubausweis für die erste Klasse ein Penis ist.
Es ist leicht, sich darüber lustig zu machen, dass erwachsene Menschen sich unter Berufung auf ein dreitausend Jahre altes Buch zu bizarrem Verhalten aufgerufen fühlen. Doch liegt der Fall noch absurder. Der Gott nämlich, der angeblich dem Kultgründer Moses diktierte, dieser Gott auf seiner Wolke hatte, bei aller Frauenverachtung, noch ein halbwegs pragmatisches Verhältnis zu den von ihm selbst erfundenen Dingen des Lebens: Lust zu zähmen und Sexualität zu regeln, schien er als eine wichtige Aufgabe zu sehen, ganz als sei ihm da beim Menschen-Entwerfen etwas gar zu Wildes rausgerutscht, das er nachträglich wieder in den Griff zu kriegen versucht. Im sogenannten 3. Buch Mose (Leviticus) gibt er klare Handlungs- bzw. Vermeidungsanweisungen, die den Anschein erwecken, der von Gott designte Mann sei eine vollkommen wildgelaufene Vögelmaschine, die vor nichts und niemandem haltmacht. Im Abschnitt, auf den sich die ultraorthodoxen Augenschließer berufen, findet sich eine ebenso fantasievolle wie bürokratische Aufzählung, welchen Leuten man sich nicht nähern und ihre Nacktheit entblößen, sprich: Sex mit ihnen haben dürfe.
Man soll nicht mit seiner Tochter schlafen. Man soll nicht mit seiner Schwiegertochter schlafen. Man soll nicht mit den Enkeltöchtern schlafen. Man soll nicht mit seinem Vater oder seiner Mutter schlafen. Männer sollen nicht mit anderen Männern Sex haben. Mit Tieren auch nicht. Viele Dinge davon erscheinen uns recht nachvollziehbar, manche eher weniger. Dass Gott davon ausgeht, die Männer in dieser Richtung belehren zu müssen, sagt eine Menge über ihn. Der nach seinem Vorbild geschaffene Kerl kann offensichtlich keine, aber auch gar keine Frau anschauen, ohne an Sex zu denken.
So weit, so basal. Gott hat den Mann als einen zwanghaften Lustmolch erschaffen. Nur strengste Strafen können ihn davon abhalten, als marodierender Dauererektit über alle Mitglieder seiner Familie herzufallen. Was also der ultraorthodoxe Mann ausdrückt, der sich nur mit geschlossenen Augen durchs Flugzeug manövriert, ist der Gedanke: »Ich bin ein Sexmonster! Ich bin ein Sexmonster! Mein Gott hat mich so geschaffen.« Das allein wäre schon kurios und traurig genug. Gleicht man aber ab, auf welche Stellen im 3. Buch Mose sich hier berufen wird, scheint das Ganze nur noch abwegiger. Denn die Anweisung des Gottes lautet ja gar nicht: »Du sollst dich im Flugzeug neben keine Frau setzen.« Die hierfür bemühten Leviticus 18.6 und 18.19 untersagen Sex mit Blutsverwandten. Und Sex mit Menstruierenden. Die Urangst vor Frauen, die patriarchalem Denken innewohnt, hat es in den vergangenen drei Jahrtausenden geschafft, diese Vorschriften durch originelle Auslegung noch weiterzudrehen. Bei vielen ultraorthodoxen Juden ist schon die Körperberührung zwischen Mann und Frau verboten, ja es genügt bereits ein Blickkontakt, um in Teufels Küche zu geraten. Was wäre das für ein Gott, der alle Freuden der Sexualität schafft, um seine Leute auf Schritt und Tritt mit dieser Versuchung zu quälen? Wie verquer und verbohrt muss ein Mann denken, um in der Frau die Konversationspartnerin, Freundin, Geschäftspartnerin, Bekannte, Verwandte etc. zu negieren, nur weil sie zufällig eine Vagina und keinen Penis besitzt?
Immerhin: El Al, die betroffene Fluglinie, hat nach dem Vorfall Farbe bekannt und angekündigt, in Zukunft jeden von Bord zu werfen, der seinen Sitzplatz verweigert, weil er neben irgendjemandem nicht sitzen möchte. Halleluja! Bis es so weit kam, musste allerdings der Chef der israelischen Tech-Firma Nice, Barak Eilam, massiv drohen: Seine Firma werde bei keiner Fluglinie mehr buchen, die sexistisch, rassistisch oder religiös diskriminierend sei. Hier hat das Toleranzgebot einer aufgeklärten Moderne glücklicherweise einmal den Sieg davongetragen. Dass alle Menschen gleichberechtigt seien, gleich welchen Glaubens, welcher Hautfarbe oder welchen Geschlechts, gehört in dieser Moderne zu den zentralen Überzeugungen, und es sind gute Überzeugungen. Gott und Moses waren vor dreitausend Jahren eben noch nicht so weit, vielleicht sollten sie mal eine aktualisierte Version ihres Buchs vom Himmel fallen lassen.
Solange sie das nicht tun, sind die Religionen weiterhin auf ihre angestaubten Märchenbücher angewiesen, und so müssen sie also die Menschen da abholen, wo man Menschen eben noch mit Märchenbüchern abholen kann. In der Kindheit zum Beispiel. Im Erwachsenenalter käme ja kaum wer auf die Idee, an einen unsichtbaren Zauberer im Himmel zu glauben. Die Religiösen müssen also früh anfangen, auf die Hirne der nachwachsenden Kundschaft einzuwirken, und das mit immer neuen, bunten, peppigen Ideen, die ein wenig über die Kerntristesse der vermeldeten Botschaft (Sünde! Tod! Erlösung durch Hinrichtung und Folter, hooray!) hinwegtäuschen. So gab es bei der Eröffnung der ersten »Kinderkirche« in Bottrop viele bunte Stühle zu bewundern. Auf den Fotografien des Ereignisses lassen sich zudem erstaunlich farbenfroh gemusterte Erwachsenenpullis und -blusen erkennen, die vermutlich böse Dämonen fernhalten sollen, sowie fröhliche und neugierige Kinder, die an dieser Zeitenwende des christlichen Glaubens teilhaben durften. Jetzt kommt die Kinderkirche, ein Konzept, das die Kita-Leiterin Petra Eberhardt ausgearbeitet hat und das vom zuständigen Bischof Franz-Josef Overbeck, der dem Militäreinsatz in Afghanistan seinen Segen gab, homosexueller Liebe hingegen nicht, ausdrücklich gelobt wird: »Ich würde mich freuen, wenn dort viele Kinder Gott mit allen Sinnen erleben.«
Gott? »Mit allen Sinnen«? Das sagt ein katholischer Priester? Da muss man erstmal leise schlucken und sich wieder erinnern, dass ja doch sogar, wenn die Zahlen so bleiben, die Mehrheit seiner Diener die ihnen anvertrauten Kinder nicht sexuell missbraucht hat, wiewohl dies Vergehen in der Bibel eine ehrwürdige Tradition besitzt. Aber wie geht das, Gott mit seinen Sinnen erleben? Wäre nicht ein mit Sinnen erlebbarer Gott das Ende aller Religion, da das Göttliche, nun nachweisbar, mit dem Irdischen zusammenfiele? Gott entzieht sich. Oder vergeht. Er spricht immer nur zu den Einzelnen, den Zeugenlosen, oder eben tief hinten in einer mythischen Vergangenheit, die ebenfalls keiner mehr nachprüfen kann. Den Sinnen im Jetzt erlebbar wäre dieser Gott wohl immer nur, wenn der Heilige Geist einige der Seinen befiele, und selbst da pflegt dieser sich entschieden wirr und unverständlich zu äußern, was man dann »in Zungen reden« nennt.
Wie also erfahren Bottroper Kinder Gott? An einer Stelle sind Decken und Kissen auf dem Steinboden ausgebreitet, mit einem Baldachinlaken darüber, das ist dann ein Beduinenzelt. Im Beduinenzelt kann man sich Geschichten aus der Bibel erzählen lassen, die durch das authentische Zelt erst ihre volle Wirkmacht entfalten. Beduinen! Weiß man ja. Nächtelang lesen die sich Bibelgeschichten vor. Darüber hinaus macht Gott sich erlebbar in der Benutzung von großen bemalbaren Papierrollen. Auch stellt er dem Nachwuchs Instrumente bereit, damit sie frühzeitig durch Hits wie »Einfach spitze, dass du da bist (Komm, wir loben Gott den Herrn)« oder »Bärenstark – dubidubidu« ihre beeinflussbaren Hirne auf das richtige Empfangsniveau herunterpegeln.