Freifahrtschein. Mila Roth

Freifahrtschein - Mila Roth


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dass sie das Weite suchen soll? Wenn du doch immer wieder mit ihr ausgehst, kommt sie nie über dich hinweg.« Sie hielt kurz inne und zwinkerte ihm zu. »Bei mir hat es schließlich auch funktioniert.«

      »Das ist was anderes.« Er grinste.

      »Ist es das? Na, wenn du meinst. Aber du solltest ihr trotzdem keine Hoffnungen machen. Es sei denn, du hast mehr für sie übrig, als du zugibst ...« Bedeutungsvoll klimperte Melanie mit ihren langen getuschten Wimpern.

      Markus schüttelte den Kopf. »Würdest du mich jetzt bitte hier weitermachen lassen? Ich habe nämlich keine Lust, nachher in diesem Aufzug«, er deutete auf seine Bluejeans und das weinrote, auf der Brust mit einem weißen Buchstabenmuster bedruckte Freizeithemd, »im Chez Manuel auflaufen zu müssen, nur weil ich hier nicht fertig geworden bin.«

      »Schätzchen, in den Sachen lassen sie dich gar nicht erst über die Schwelle zu dem Nobelschuppen.«

      »Eben.«

      3

      Bonn-Beuel

      Pützchens Markt

      Samstag, 10. September, 16:45 Uhr

      »Ach, was habe ich mich gefreut, dich wiederzusehen!« Die nur 1,60 m große, etwas stämmige Senta Rath drückte Janna fest an sich und trat dann einen Schritt zurück. »Tut mir leid, dass ich nicht mehr Zeit für dich habe, aber Peter ist vorhin los, um ein Ersatzteil für den Computer zu besorgen. Und mein Vater sitzt nicht gerne so lange an der Kasse, seit er den dritten Bandscheibenvorfall hatte.« Sie lächelte. »Er kümmert sich lieber um David. Inzwischen hat er sich zum regelrechten Musteropa gemausert.«

      »Du kannst glücklich sein, dass du ihn hast«, stimmte Janna zu. »Wie geht es denn deiner Mutter? Kommt sie bald aus dem Krankenhaus?«

      »Ja.« Senta nickte. »Sie kriegt so eine Schiene, die muss sie mindestens sechs Wochen tragen. Ich sage dir, sie wird es hassen! Sie hat sich derart aufgeregt, dass sie sich den Knöchel so unglücklich angebrochen hat ... Aber was soll’s. Sie wird es überleben. Und wir sind froh, wenn sie wenigstens stundenweise wieder mithelfen kann. Wir brauchen derzeit jede Hand. Es ist verdammt schwierig, heute noch zuverlässiges Personal zu bekommen.« Senta winkte ab. »Das soll deine Sorge nicht sein. Hier.« Sie griff in ihre Hosentasche und förderte eine Handvoll Fahrchips für den Autoscooter zutage. »Für deine zwei Rabauken.«

      »O nein, du hast ihnen doch bereits Chips geschenkt«, wehrte Janna ab. »Das können wir unmöglich annehmen!«

      »Ach was, nun nimm sie schon.« Senta grinste, schob ihre silbern gerahmte Brille ein Stückchen auf dem Nasenrücken hoch und ordnete ihr kurzes blondes Haar. »Ich weiß schließlich, wie wild die beiden auf den Autoscooter sind. Fast so schlimm wie du und Betty damals ...« Sie stockte. »Sorry, ich hätte nicht ...«

      »Ach was, schon gut.« Janna winkte ab. »Ist doch so lange her.«

      »Wirklich, es macht dir nichts aus?« Prüfend blickte sie Janna ins Gesicht.

      Janna zögerte. »Ich habe Bettina seit ... der ... Sache nicht mehr gesehen.«

      »Du weißt also nicht, wie es ihr geht?«

      »Nein. Du?«

      Senta schüttelte den Kopf. »Ich habe sie noch viel länger nicht gesprochen und weiß nicht mal, wo sie heute lebt.«

      »Ich auch nicht.« Janna seufzte. »Ist wohl besser so.«

      »Ich wollte dir nicht die Laune verderben.« Besorgt legte Senta ihr eine Hand auf den Arm. »Tut mir leid.«

      »Das hast du nicht.« Janna rang sich ein Lächeln ab. »Aber ich will dich jetzt nicht mehr länger von deinen Pflichten abhalten.«

      »Komm ruhig wieder vorbei, falls du in den nächsten Tagen noch mal hier bist. Ich freue mich immer, dich zu sehen.«

      Die beiden Frauen umarmten einander ein zweites Mal, dann verließen sie gemeinsam den großen Wohnwagen, in dem Senta mit ihrer Familie während der Jahrmarktsaison lebte. Senta eilte sogleich zum Kassenhäuschen des Autoscooters. Janna ging etwas langsamer in Richtung des Zuschauerbereichs, wo ihre Eltern inmitten einer Gruppe von Teenagern standen und den Zwillingen zusahen, die in ihrem grellgrünen Wagen eine Runde um die andere über die Fläche drehten.

      Sie wusste nicht, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte – eine Bewegung im Bereich hinter dem Autoscooter? Als ihr Blick dorthin wanderte, erschrak sie so heftig, dass sie beinahe ein kleines Mädchen umgerempelt hätte, das an der Hand seiner Mutter an ihr vorbeiging. Hastig entschuldigte sie sich und blickte erneut zur Absperrung, die die Jahrmarktgäste daran hindern sollte, zwischen den Wohnwagen herumzulaufen oder sich womöglich an den oftmals abenteuerlich wirkenden technischen Konstruktionen auf der Unter- und Rückseite der Karussells zu verletzen.

      Jannas Herz klopfte hart gegen ihre Rippen. Sie hatte sich nicht getäuscht! Den dunkelhaarigen Mann mit dem Vollbart und die ebenso schwarzhaarige Frau hatte sie doch damals in der Wohnung von Axel Wolhagen angetroffen! Jenes Geheimagenten, von dem sie wenig später erfahren hatte, dass er ermordet worden war. Jannas Hände begannen zu zittern. Als das südländische Pärchen in ihre Richtung blickte, brachte sie sich rasch mit ein paar Schritten vorwärts aus ihrem Blickfeld .

      Heftig atmend lehnte Janna sich gegen die Wand des Kassenhäuschens, lugte jedoch vorsichtig um die Ecke. Die beiden sprachen jetzt mit einem großen, schlaksigen, grauhaarigen Mann, der ein T-Shirt des Schaustellerbetriebs Rath trug. Offenbar gehörte er zum Personal. Janna meinte sich zu erinnern, ihn schon in den Vorjahren beim Autoscooter arbeiten gesehen zu haben.

      Noch einmal linste sie um die Ecke, doch nun waren alle drei Personen verschwunden. Janna schluckte und versuchte, ruhig zu bleiben. Es bestand kein Grund zur Aufregung. Sie hatte nichts zu befürchten, oder? Wahrscheinlich erinnerten sich die beiden nicht mal mehr an sie. Aber was, wenn doch? War sie in Gefahr? Das Pärchen gehörte einer terroristischen Vereinigung an, die sich Söhne der Sonne nannte. Markus Neumann hatte ihr erklärt, dass diese Gruppierung die Befreiung der Welt von allen Religionen anstrebte – nötigenfalls mit Gewalt. Dass sie es bitterernst meinten, hatte Janna im Juli erfahren müssen, als sie versehentlich mitten ins Fadenkreuz dieser terroristischen Aktivitäten geraten war. Glücklicherweise war die Sache gut ausgegangen, hauptsächlich dank Markus, der Agent war und für einen Geheimdienst arbeitete, der unter dem Deckmantel eines Meinungsforschungsinstituts in Bonn agierte. Unschlüssig, wie sie sich verhalten sollte, blickte Janna zu ihren Eltern, die aber abgelenkt waren und den Zwillingen zuwinkten.

      Sie musste den Geheimdienst verständigen. Was, wenn diese beiden Terroristen etwas Schlimmes im Schilde führten? Weshalb sonst trieben sie sich wohl hier auf dem Jahrmarkt herum? Vor ihrem inneren Auge zeichneten sich Horrorszenarien von explodierenden Bomben inmitten der Marktbesucher ab. Sie schluckte und kramte rasch ihr Handy hervor. Mit fliegenden Fingern blätterte sie durch das Telefonbuch, bis sie die Nummer von Markus Neumann fand.

      ***

      Bonn, Kaiserstraße

      Institut für Europäische Meinungsforschung

      Samstag, 10. September, 17:00 Uhr

      Nicht ganz sicher, ob er sich auf seinen bevorstehenden Feierabend freuen sollte, legte Markus den letzten Bericht in seine Ablage und schickte das dazugehörige elektronische Dokument an die E-Mail-Adresse des Leiters der Abteilung für interne Angelegenheiten. Dr. Schwartz hatte sein Büro wahrscheinlich längst verlassen, doch der Zeitstempel auf der E-Mail würde ihm anzeigen, wann Markus sie verschickt hatte. Er hatte keine Lust auf ein weiteres Zusammentreffen mit Schwartz, da nahm er lieber Überstunden in Kauf. Ein Blick auf seine Armbanduhr sagte ihm, dass er sich jetzt allmählich sputen musste. Ihm stand ein anstrengender Abend bevor, denn Alexa war mit Sicherheit entschlossen, aus dem gemeinsamen Abendessen mehr zu machen, als ihm lieb war. Er würde sich aber auf nichts einlassen, und wenn sie sich noch solche Mühe gab.

      Vermutlich hatte Melanie recht – er sollte Alexa ein für alle Mal den Laufpass geben. Doch diese Frau war nicht nur anspruchsvoll und anhänglich, sondern auch extrem empfindlich.


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