Freifahrtschein. Mila Roth

Freifahrtschein - Mila Roth


Скачать книгу
die Lippen. »Ja, schon. Aber was soll ich meinen Eltern erzählen, wenn ich ihnen einfach morgen die Kinder aufs Auge drücke? Das ist sonst nicht meine Art.«

      »Was ist denn mit Ihrem Freund, diesem Sandro?«

      »Sander«, verbesserte sie. »Er ist bis Montagabend auf einem Zahnärzte-Kongress.«

      »Und Ihre Schwester? Könnte die nicht aushelfen?«

      Sie runzelte die Stirn. »Sie kennen meine Familie ja mittlerweile ganz gut, was?«

      »Das ist mein Job. Außerdem war das nicht schwierig. Sie haben Ihre Familie ja ständig um sich.«

      »Sie nicht?«

      »Ich habe keine Familie.«

      »Gar keine?« Neugierig musterte sie ihn. Markus’ Gesicht war eine Maske aus Gleichmut.

      Er schüttelte den Kopf. »Hatte ich das nicht schon mal erwähnt?«

      »Aber ... etwas Familie hat doch jeder«, gab Janna zu bedenken. »Eltern?«

      »Vorhanden«, brummte er.

      »Haben Sie keinen Kontakt zu ihnen?«

      »Kaum. Und glauben Sie mir«, er lächelte kühl, »das ist auch besser so.«

      Janna ließ ihren Blick forschend über sein Gesicht gleiten, konnte jedoch nicht feststellen, was genau er damit meinte. Er verstand es, seine Gefühle und Gedanken vollständig vor ihr zu verbergen. Lediglich die Farbe seiner Augen schien sich ein wenig verändert zu haben. Die grauen und grünen Einsprengsel in der braunen Iris traten deutlicher hervor. Dieses Phänomen hatte sie schon früher bei ihm erlebt, kannte ihn aber nicht gut genug, um einschätzen zu können, ob das etwas zu bedeuten hatte.

      »Geschwister?«, hakte sie weiter nach.

      »Keine.«

      »Tanten, Onkel, Großeltern? Ich meine ...«

      »Janna, hören Sie auf!« Er schnaubte unwillig und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Haare. »Mein Familienstand tut doch hier nichts zur Sache. Sind Sie nun morgen mit von der Partie – ja oder nein?«

      Janna verschränkte die Arme vor dem Bauch. »Entschuldigen Sie, dass ich gefragt habe. Aber ich finde, wenn Sie schon so gut wie alles über mich wissen, wäre es nur höflich, wenn Sie mir wenigstens auch ein paar Kleinigkeiten über sich erzählen würden. Ich arbeite nicht gerne mit Fremden zusammen.«

      »Wir arbeiten nicht zu...« Er stockte und fluchte tonlos. »Also gut, wir arbeiten ausnahmsweise zusammen«, schränkte er ein. »Deshalb brauchen Sie doch keinen Lebenslauf von mir, oder?«

      »Das nicht, aber ich weiß rein gar nichts über Sie. Wenn ich nicht wenigstens wüsste, dass Sie ein«, sie senkte die Stimme ein wenig, »Agent sind«, nun sprach sie wieder in normaler Lautstärke weiter, »dann könnten Sie genauso gut auch ein Kettensägenmörder sein.«

      »Ein Kettensägenwas?« Verständnislos blickte er auf sie herab.

      Sie ärgerte sich, dass seine 1,92 m sie zwangen, zu ihm aufzublicken, und seufzte übertrieben genervt. »Also gut, Sie wollen nichts über sich erzählen. Unfair ist es trotzdem. Vermutlich hat Ihnen Ihre Geheimdienstdatenbank sogar die Angaben zu meiner letzten Steuererklärung ausgespuckt oder wie meine Ururgroßmutter mit Mädchennamen hieß. Aber umgekehrt darf ich mich mit einem Phantom ohne Eltern, Verwandte, Freunde oder sonstige Beziehungen herumschlagen. Ganz toll. Ich weiß nicht mal, ob Markus Neumann Ihr richtiger Name ist.«

      »Ist er.«

      »Schön, ein Durchbruch in unserer zwischenmenschlichen Kommunikation«, spottete sie. Sie wusste selbst nicht, weshalb sie plötzlich so heftig reagierte. Etwas an seiner selbstsicheren Art, mit der er einfach davon ausging, dass sie ihm zur Verfügung stand, regte sie auf.

      Er warf ihr einen verärgerten Blick zu. »Sie wollen also mehr über mich wissen?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Vergessen Sie es. Ich glaube, ich will jetzt nach Hause.« Sie wandte sich zum Gehen, doch er hielt sie am Arm zurück.

      »Also gut, wenn es Ihnen so wichtig ist.« Erneut fuhr er sich durch die Haare und schoss einen zornigen Blick auf sie ab. »Meine Mutter ist eine drogensüchtige Alkoholikerin und mein Vater Kriminaldirektor und Dezernatsleiter beim BKA in Meckenheim. Wo sie sich herumtreibt, weiß ich nicht, und es ist mir auch egal. Ihn und seine Frau sehe ich einmal im Monat zum obligatorischen Familiensonntagsbraten. Ist Ihnen das genug oder soll ich noch ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern?«

      Erschrocken über seinen Wutausbruch starrte sie ihn für einen Moment nur an, dann schüttelte sie den Kopf. »Tut mir leid. Ich hätte nicht ...« Sie löste ihre verschränkten Arme und machte einen Schritt auf ihn zu. Instinktiv wollte sie ihm eine Hand auf den Arm legen, um ihn zu beruhigen, aber sie ließ es bleiben. Wer wusste schon, wie dieser Mann auf eine solche Geste reagieren würde. »Ich hatte nicht vor, Sie zu verletzten, Herr Neumann.«

      Seine Gesichtszüge entspannten sich etwas. »Das haben Sie nicht«, sagte er, nun wieder in seinem gewohnt ruhigen Tonfall. »Nur zufällig ist meine Familie nicht gerade ein Thema für leichte Konversation.«

      »Anscheinend nicht.« Sie nickte. »Ihr Vater ist also beim BKA?«

      »Er wollte immer, dass ich auch dorthin gehe«, bestätigte Markus.

      »Aber das wollten Sie nicht.«

      Er hob die Schultern. »Es ist besser so, wie es jetzt ist. Klaus Scherhag ist ein karrieregetriebener Workaholic. Wir kommen so schon nicht besonders gut miteinander aus. An eine Zusammenarbeit unter demselben Dach ist überhaupt nicht zu denken.«

      »Klaus Scherhag ist Ihr Vater?« Janna machte große Augen. Der Kriminaldirektor war schon des Öfteren in Fernsehen und Presse porträtiert worden, vor allem wegen seiner Verdienste im Kampf gegen das organisierte Verbrechen.

      Markus grinste schief. »Ich bin zur Hälfte seinem Genpool entsprungen, ja. Leider ist er ebenso wenig ein Mustervater wie ich ein Mustersohn. Können wir jetzt bitte das Thema wechseln?«

      »Ja, natürlich, Herr Neumann.« Verlegen blickte Janna auf ihre Schuhspitzen.

      »Markus«, sagte er. »Wir sollten uns angewöhnen, einander beim Vornamen zu nennen. Es wirkt glaubwürdiger, vor allem, wenn wir als Arbeitskollegen auftreten.«

      »Ja, da haben Sie wohl recht.« Janna hob den Kopf und erwiderte sein Lächeln, wurde aber gleich wieder ernst. »Haben Sie keine Angst, dass Alim und Abida etwas planen könnten – einen Anschlag vielleicht?« Rasch sah sie sich um, doch da sie sich noch immer in der Nähe der Absperrung befanden, waren sie relativ ungestört.

      »Möglich ist alles«, antwortete Markus nachdenklich. »Ich habe unsere Leute hier vor Ort verständigt und eine Code-Gelb-Alarmierung ausrufen lassen. Das bedeutet, dass auch die anderen Sicherheitsbehörden in Alarmbereitschaft versetzt werden. Sie können sicher sein, dass in diesem Augenblick mindestens hundert Agenten und Polizisten in Zivil auf dem Markt unterwegs sind und nach Sprengsätzen oder anderen Gefahrenquellen Ausschau halten.«

      »Wirklich?« Janna atmete auf. »Das ist gut.« Sie zögerte. »Oder, na ja, was man in so einer Situation eben gut nennen kann.« In diesem Moment knurrte ihr Magen vernehmlich.

      Markus schmunzelte. »Hunger?«

      »Eigentlich hatte ich ja mit meiner Familie zu unserer Stammpizzeria fahren wollen.« Sie lächelte ebenfalls wieder. »Und Sie wollten auch essen gehen.«

      Nach einem Blick auf seine Uhr winkte er ab. »Halb so wild. In den Sachen hätte mich der Oberkellner des Chez Manuel sowieso gleich an der Türschwelle abgewiesen.«

      »Da wollten Sie hin?« Überrascht musterte sie ihn. »Mit Ihrer Kollegin?«

      »Sie hat mich vergangene Woche darauf festgenagelt, nachdem wir Sie und Leitner dort beschattet hatten«, erklärte er mit einem Achselzucken.

      »Und stattdessen sind Sie jetzt hier auf Pützchens Markt und müssen


Скачать книгу