Knochenfeuer. Jenny Pieper
»Mein Sohn informierte mich, du hättest es dir anders überlegt.« Seine Stimme dröhnte in meinen Ohren und pulsierte durch meinen Brustkorb.
Kurz schielte ich zu Jaden, der links hinter seinem Vater stand. Er hatte den Blick gesenkt und trug seine gelangweilte Maske.
»Ja, Eure Majestät«, presste ich hervor. Schwer schluckte ich gegen den Kloß in meinem Hals an. Mich vor dem König zu beugen gefiel mir nicht. Doch ich trieb mich weiter an. »Ich habe meine Lektion gelernt.«
Der König legte den Kopf schräg und tippte sich mit einem Finger ans Kinn.
»Bitte verzeiht mein Verhalten. In Zukunft werde ich gehorchen«, log ich und presste im Anschluss die Zähne aufeinander, bis mein Kiefer schmerzte.
»Ich begrüße deine Entschuldigung«, antwortete der König und nahm damit eine Last von meinen Schultern. Wieder huschte mein Blick zu Jaden, der mich ansah. Dankbarkeit lag in seinem.
»Ja, ich bin wahrlich erleichtert über deinen Sinneswandel«, fuhr der König fort. »Aber wirst du dich tatsächlich zügeln?« Mit seinen Augen musterte er mich intensiv.
»Das werde ich.«
Kopfschüttelnd breitete er die Arme aus. »Du solltest noch einige Tage darüber nachdenken.« Er drehte sich um und entfernte sich.
Unsicher tastete ich nach dem Gitter, dessen Entfernung ohne mein zweites Auge schwierig einzuschätzen war, und schlang die Finger um die Stäbe. »Bitte«, flehte ich und sah dabei Jaden an, der widerwillig seinem Vater folgte. »Lasst mich nicht hier zurück. Ich verspreche es.« Mit jedem Wort, das ich aussprach, kam ich mir schmutziger vor.
Doch der König kehrte nicht zurück.
Jaden besuchte mich jeden Tag im Kerker, doch je länger ich hier unten war, desto qualvoller schien der Besuch für ihn zu sein. Mit jedem Tag erdrückte mich die Kälte und Dunkelheit mehr, und mit jedem Besuch wünschte ich mir mehr, Jadens Qualen lindern zu können.
Wenn er sich mir öffnete, erkannte ich, wer er wirklich war. Nur ein Junge, der in eine Rolle gezwängt worden war, die er nicht wollte.
Während ich in der Zelle saß, auf den staubigen Boden starrte und an ihn dachte, wurde mir klar: Es gab viel mehr in ihm. Etwas Gutes. Etwas Zerbrochenes. Einen Teil, der Ardra liebte.
Als ich drei Tage nach meiner Entschuldigung in meine Gemächer zurückgebracht wurde, legte ich mich als Erstes ins Bett und vermied es, Richtung Spiegel zu sehen. Ich war nicht bereit, mein Gesicht zu sehen. Den Verband und das … was fehlte. Die Eisenmänner hatten mir ein Auge entnommen und sosehr ich auf meine Selbstheilungskräfte hoffte – das Auge würde nicht ohne Weiteres nachwachsen. Das spürte ich.
Mit geschlossenem Auge wickelte ich mich fester in die Decke, gab mich der Erschöpfung hin und versank in einem traumreichen Schlaf. Dort fand ich mich auf einer Wiese in Grünfrey wieder und starrte in den Himmel. Saki lag neben mir und nahm meine Hand. Die Berührung durchflutete mich mit einem Gefühl von Heimat.
Als ich erwachte, verschwand das Wohlgefühl und zurück blieb ein schlechtes Gewissen. Für Jaden hatte ich mich beim König entschuldigt und versprochen, gehorsam zu sein. Was würde Saki von mir denken, wenn er das wüsste?
So schräg es auch war, im Prinzen hatte ich einen Freund gefunden. Jemanden, der mich verstand.
Ein Klopfen ließ mich aufschrecken, ich richtete mich auf und starrte zur Tür. Erleichtert atmete ich aus, als nicht der König, sondern Jaden mit einem magischen Licht ins Zimmer trat.
Jadens Kiefer war angespannt und als sein Blick meinen traf, trat ein gequälter Ausdruck in seine Augen. Er gab sich keine Mühe, seine Gefühle vor mir zu verstecken.
Mit schnellen Schritten durchquerte er den Raum und blieb vor mir stehen. Das Licht wärmte meine Wangen und ich begrüßte den kurzen Anflug von Wohlgefühl. Jaden schüttelte leicht den Kopf.
»Dein Verband!«, sagte er in einem tadelnden Ton. »Setz dich!«, forderte er mich auf und zeigte auf einen der Sessel.
Schweigend gehorchte ich und ließ ihn dabei nicht aus dem Auge. Er ging zu meinem Nachttischschränkchen und holte einen frischen Verband und einige Salben heraus. Natürlich gehörte dies zur Grundausstattung eines Zimmers, in dem ein Goldkind einquartiert war. Vorsichtig legte er mir Tiegel mitsamt Stoffbahnen in den Schoß und wickelte mir den Verband vom Kopf. An einigen Stellen klebte er an meiner Haut. Die Wunde pochte, aber es war nicht das gewohnte Kribbeln, das die Heilung andeutete. Es war anders. Mein Körper hatte genug. Genau wie ich.
Jaden sog scharf die Luft ein, als er die Höhle erblickte, in der sich früher mein rechtes Auge befunden hatte. Schmerz und Wut loderten in seinem Gesicht auf und er trug vorsichtig eine Salbe auf. Dann legte er einen neuen Verband an. Als er fertig war, stand er auf und flüsterte: »Es tut mir so leid.«
Erschöpft sah ich zu ihm empor und schüttelte leicht den Kopf. Ich konnte ihm nicht die Schuld an der Ernte geben. Nicht mehr. »Du kannst nichts dafür«, sagte ich und meinte es so. Dafür erinnerte er mich zu sehr an mich selbst. Er war Teil der Ernte, weil seine Geburt es besiegelt hatte.
Kurz rieb er sich mit einer Hand über das Gesicht. Als er mich wieder ansah, war es, als würde ich ihn das erste Mal sehen. Den echten Jungen, den Jaden, der er wirklich war. Mit klarem Blick, die Augen nicht pechschwarz wie alles verschlingende Finsternis, sondern wie ein ausgebranntes Feuer, das langsam zu Asche zerfiel. Seine Stimme war rau: »Es ist für mich.«
Erst verstand ich nicht, was er damit meinte. Dann weitete sich mein linkes Auge, bevor meine Schultern zu beben begannen. »Das Auge ist für dich.«
Er nickte, unfähig zu sprechen.
»Wann setzen sie es dir ein?«, fragte ich und konnte mich nicht gegen die Übelkeit wehren, die in mir aufwallte.
»Morgen«, krächzte er und ließ sich vor mir im Schneidersitz auf den Boden sinken, den Blick zu mir erhoben. »Ich will es nicht«, sagte er leise. »Aber mein Vater meint, ich soll das erste erhalten. Es ist eine Premiere, es ist …« Seine Stimme versagte und er schluckte. »Es ist ein neuer Versuch.«
»Wie meinst du das?«, raunte ich. »Kann es schiefgehen?«
Er antwortete nicht, aber das musste er nicht.
»Der König nimmt sich das zweite, wenn ihr Erfolg habt?«, fragte ich.
Wieder nickte Jaden. In seinen Augen kämpften Scham, Schmerz und Wut miteinander. Er streckte die Hand aus und packte meinen Knöchel. Eine Weile strich er mir mit den Fingern über die Haut. Es war die erste Berührung, das erste Mal seit Monaten, dass mir jemand körperliche Nähe schenkte.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, trotzdem konnte ich nicht anders, als es zu genießen. Waren wir uns emotional schon so nah? Das Mädchen mit der Magie und der Junge, der sie sich einverleibte?
»Danke«, flüsterte er.
»Wofür?«
»Dass du dich bei meinem Vater entschuldigt hast.«
Ich senkte den Blick und kämpfte gegen die Schuldgefühle an. »Dich so zu sehen …«, stotterte ich und dachte an Ardra. An Jadens Gefühle für sie und seinen Schmerz. »Es gibt jemanden, dem mein Herz gehört. Daher kann ich dich verstehen.« Die Worte kamen über meine Lippen, bevor ich sie aufhalten konnte.
»Ist er umgekommen? Bei dem Überfall?« Jadens Stimme bebte.
Mein Blick verlor sich in der Ferne, während meine Gedanken an einen Tag zurückkehrten, den ich gern aus meinem Gedächtnis streichen würde. »Ich weiß es nicht. Er war bei mir, als die Flut kam. Aber ich spüre, dass er da draußen irgendwo ist.«
»Wie war er?«
Sein tiefes Lachen dröhnte in meinen Ohren, begleitet von